Damien Chazelle gilt derzeit als Wunderkind Hollywoods. Mit seinen beiden Debütarbeiten Whiplash und La La Land konnte er Kritiker und Publikum von seinem Können mehr als überzeugen. Doch nun widmet er sich in seinem neuen Film Aufbruch zum Mond erstmalig einem nichtmusikalischen Thema – der Mondlandung von Neil Armstrong. Ob er auch in diesem Genre überzeugen und den Erwartungen entsprechen kann, erfahrt ihr im Folgenden…
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No data available.Aufbruch zum Mond – Handlung
Neil Armstrong muss 1961 einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen. Als seine dreijährige Tochter an einem Hirntumor stirbt, wünscht er sich einen Wandel der Lebensumstände und bewirbt sich für das GEMINI-Projekt. Dort angenommen, bereitet er sich auf die Raumfahrt vor. Schließlich wird er aufgrund seiner starken Nerven, seiner fachlichen Kompetenzen und nicht zuletzt seiner Aufopferungsbereitschaft für die Reise zum Mond ausgewählt. Daraufhin nimmt er sich dieser gefährlichen Aufgabe an, welche den Abschluss und gleichzeitigen Höhepunkt des Films markiert.
Eine altbekannte Geschichte?
Tatsächlich lässt sich die gesamte Handlung des Films mit diesen wenigen Sätzen zusammenfassen. Da selbstverständlich auch jeder den Ausgang der Mission kennt, stellt man sich als Zuschauer bzw. Zuschauerin die Frage, wie der Streifen es schaffen will, eine spannende und interessante Geschichte zu erzählen. Erstaunlicherweise gelingt aber gerade das ausgesprochen gut. Chazelle lässt den Film weder zu einem klischeehaften Biopic verkommen noch verliert er sich in technischen Beschreibungen und Darstellungen. Vielmehr wird die Figur Neil Armstrong als leidender Mensch in den Mittelpunkt gerückt. Daher fühlt sich der Film zu jeder Sekunde wie ein waschechtes Drama an. Humor oder freudige Momente kommen praktisch nicht vor. Wer also einen unterhaltsames und spannendes Science-Fiction-Abenteuer im Stile von Interstellar oder Apollo 13 erwartet, der wird eventuell enttäuscht.
Neil Armstrong versucht krampfhaft, sich von dem Tod seiner Tochter zu erlösen. Zu diesem Zweck unternimmt er alles, um sich abzulenken. Er sieht die Welt mit depressiven Augen und will unbedingt einen neuen Blickwinkel erlangen, der ihn von seinen Schmerzen befreit. Eine wortwörtliche Auslegung diese Gefühls findet sich auch in seinem neuen Berufswunsch wieder, denn genau dieses Streben nach einer neuen Perspektive und der damit einhergehenden Möglichkeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen, gibt er als Motivation für das GEMINI-Projekt an. Interessanterweise wird der Film also nicht aus der Sicht der heroischen amerikanischen Geschichte erzählt, sondern in langsamem Tempo aus der subjektiven Sichtweise eines leidenden Menschen. Somit gelingt nicht nur Armstrong die Änderung eines Blickwinkels, sondern auch dem Werk von Damien Chazelle.
Subjektives Erleben der Realität
Um diese subjektive Perspektive dem Publikum vermitteln zu können, greift Aufbruch zum Mond (First Man ist der wesentlich treffendere Originaltitel) auf besondere Stilmittel zurück. Bereits in der ersten Szene, einem Testflug in die Atmosphäre, bekommt das Publikum den Eindruck, selbst Passagier des wackligen Gefährts zu sein. Linus Sandgren (La La Land, American Hustle) wendet die sogenannte Shaky-Cam in solchen Sequenzen ausgesprochen effektvoll an. Dabei muss man hervorheben, dass insbesondere Personen, die Probleme mit Schwindel haben, ernsthafte Probleme bekommen könnten, einigen Szenen zu folgen. Dennoch wirken die erkennbaren Bilder ausgesprochen realistisch. Das liegt auch daran, dass Damien Chazelle nahezu vollkommen auf den Einsatz von CGI verzichtet und stattdessen mit Nachbauten und handwerklichen Tricks gearbeitet hat.
Sandgren geht allerdings noch einen Schritt weiter und dreht auch die Szenen auf der Erde ungewohnt wackelig, körnig und stellenweise sogar mit einer spürbar hinterherhängenden Schärfeziehung bei Bewegungen. Von vielen Kritikern wird dieses Stilmittel als Nachahmung der visuellen und technischen Möglichkeiten der entsprechenden Zeit gedeutet. Manche empfinden den Einsatz dieser Technik sogar als lästig und unnötig. Meiner Ansicht nach verbirgt sich dahinter jedoch weitaus mehr. Wie Neil Armstrong findet die Kamera keine Beständigkeit und Sicherheit. Die Realität wird im wahrsten Sinne des Wortes erschüttert und verschwimmt teilweise. Diese These lässt sich insbesondere im Finale verdeutlichen, denn hier fährt Damien Chazelle sämtliche technischen Register auf.
Eine spektakuläre neue Sichtweise
Bereits der Raketenstart wird mit einer tollen Bildkomposition und ruhigen Bildern eingefangen und auch die Landung auf dem Mond wirkt auf einmal erstaunlich sicher geführt. Armstrong sagt in dieser Szene bezeichnend, dass sich das Gefährt wie die Verlängerung seines Armes anfühle. Mit der Öffnung der Luke entdeckt auch das Publikum einen neuen Blickwinkel: Aus dem körnigen, verzerrten Bild entspringt plötzlich das IMAX-Format. Die Szenen auf dem Mond (ebenfalls komplett ohne CGI gedreht) wirken auf einmal gestochen scharf und extrem ruhig. Der Perspektivenwechsel wird somit geschickt über den gesamten Film aufgebaut und kann letztendlich effektvoll seine volle Ausdruckskraft auf dem Höhepunkt entfalten. Auch in der finalen Szene bleibt die Kamera still, um den Kontrast beizubehalten.
Der Ton macht die Musik
Für den Sound der Raketen wurden zum Teil Originaltonaufnahmen technisch nachbearbeitet, mit weiteren Klängen neu abgemischt und schließlich in einer Dolby-Atmos-Spur aufgenommen. Herausgekommen ist ein wahres Feuerwerk an auditiven Eindrücken. Der Kinosaal erbebt förmlich und erschüttert das Publikum. Dadurch entsteht eine einzigartige Atmosphäre, die sich kaum in Worte fassen lässt.
Zu diesem phänomenalen Sound tritt außerdem ein neues Meisterwerk von La La Land-Komponist Justin Hurwitz. Hurwitz passt sich mit metallenen Klängen und maschinenartigen Rhythmen so herausragend der Atmosphäre an, dass es kaum noch auszumachen ist, ob die Geräusche Teil der Musik oder der Tonspur sind. Für die privaten Momente hingegen komponierte er den Armstrongs wunderschöne Minimal-Klänge, welche die lethargische Stimmung des Films wundervoll unterstreichen. Bei der Landung auf dem Mond vermischen sich diese schließlich mit einem Dröhnen, welches durch den Kinosaal schallt und einem den Atem verschlägt.
Einen besonderen Platz innerhalb der Komposition kommt dem Einsatz des Theremins zu. Einerseits handelt es sich um eine Anspielung auf einige 50er-Science-Fiction-Filme. In diesen stand das Instrument stellvertretend für das Außerirdische und Unbekannte. Andererseits versteckt sich hier ein kleiner Verweis auf den echten Neil Armstrong. Er soll das Instrument sehr geliebt und sogar auf der echten Mondmission einige Stücke mit diesem Instrument gehört haben.
Minimale Schwächen im Drehbuch
Josh Singer (Spotlight, Die Verlegerin) und Nicole Perlman haben es zwar geschafft. die Person Neil Armstrong für die Zuschauenden nahbar zu gestalten und trotz bekannter Geschichte, einen Spannungsbogen zu erzeugen, allerdings wirken ein paar Szenen etwas gestellt und zu sehr nach Schema F geschrieben. Zum Beispiel werden die Figuren weder interessant eingeführt noch verleiht man den Randfiguren einen echten, tiefgründigen Charakter. Besonders der Tod der Tochter wirkt plötzlich und wenig vorbereitet. So hätte man entweder mit diesem direkt beginnen können oder die Beziehung noch eindringlicher porträtieren müssen.
Dafür erschafft das Autorenteam eine sehr realistische Darstellung der 60er Jahre. Die Situation fühlt sich zu jedem Zeitpunkt, trotz bekannten Ausgangs, gefährlich an. In diesem Zusammenhang werden auch Fehlschläge eindrucksvoll beschrieben und selbst der politische Kontext wird erwähnt. Dies erhöht den Druck auf unseren leidenden Protagonisten noch zusätzlich. In seiner wahnhaften Flucht in die Arbeit vernachlässigt Armstrong sogar seine Familie. Der unbedingte Wille zur Erreichung eines Traumes ist ein Thema, welches Chazelle bisher in allen seinen Filmen verwendet hat und somit eine Konstanz in seinem bisherigen Schaffen darstellt.
Auch die Darsteller sind fantastisch. Ryan Gosling kann den depressiven, lethargischen, nichtssagenden, aber gleichzeitig zielstrebigen Blick sehr gut vermitteln. Claire Foy als seine Frau weiß ebenfalls zu überzeugen, wurde, meiner Meinung nach, aber nicht mit sehr guten Dialogen ausgestattet. Die beiden wissen insbesondere, in der für Chazelle typischen wunderschönen Abschlusszene zu brillieren. Der restliche Cast (unter anderem mit Jason Clarke) spielt zudem solide mit, sticht aber nicht heraus. Der Realismus entsteht auf der Leinwand außerdem noch durch die hervorragende Verwendung von Originalrequisiten, tollen Kostümen und Szenenbildern.
Unser Fazit zu Aufbruch zum Mond
Aufbruch zum Mond ist ein ausgesprochen sinnliches Drama, welches die bekannte Geschichte aus neuen Perspektiven heraus erzählen kann. Leider ergeben sich minimale Drehbuchschwächen, welche jedoch durch die herausragenden filmtechnischen Leistungen mehr als wettgemacht werden. Für mich stellt der Film somit einen heißen Anwärter auf zahlreiche Oscar-Nominierungen dar. So bleibt der Streifen besonders durch die Bereiche Ton, Tonschnitt, Kamera, Musik, Szenenbild, Kostüme und Regie lange im Gedächtnis. Filmkennern dürften zudem einige musikalische, aber auch filmische Anspielungen an 2001 – Odyssee im Weltraum oder Interstellar nicht entgangen sein. Zum Schluss des Abspanns können geduldige Kinobesucher außerdem einigen Originalfunksprüchen lauschen.
Wer sich also auf die extreme Wackelkamera und die sehr persönliche Seite einer dramatischen Geschichte einlassen kann, der wird ein wahres technisches Meisterwerk zu sehen bekommen. Dieses ist besonders auf einer IMAX-Leinwand mit Dolby-Atmos zu empfehlen. Damien Chazelle kann sein Talent in diesem Fall eindrucksvoll in einem neuen Genre beweisen.
Unsere Wertung:
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