Die 70. Berlinale steht in den Startlöchern. Wer sich nun überlegt diesem Festival einmal einen Besuch abzuschatten, läuft schnell Gefahr von der Menge an Filmen und Kategorien überfordert zu werden. Immerhin werden insgesamt 342 in 15 verschiedenen Sektionen auf Europas größtem Filmfestival präsentiert. Daher sollen im folgenden einmal ein paar Filme und Zusammenhänge vorgestellt werden, an denen man auf der Berlinale 2020 nicht vorbeikommt.
Die neue Leitung der Berlinale
Alle Augen des diesjährigen Festivals liegen auf der neuen Leitung des Festivals. Die Doppelspitze Carlo Chatrian und Marinette Rissenbeek folgen auf 19 Jahre Dieter Kosslick. Rissenbeek widmet sich den Aufgaben der Geschäftsleitung von Deutschlands größtem kulturellen Ereignis, wohingegen Chatrian die Position des künstlerischen Leiters einnimmt. Ein Motto für die Berlinale 2020 wollte der früher für das Festival arbeitende Cinephile dennoch nicht nennen. Dieses sollten die Journalisten und Journalistinnen doch bitte selbst entdecken und selbstständig nach einem roten Faden suchen. Ansonsten liefe man Gefahr jeden Film unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu betrachten. Doch was lässt sich denn nun erstmal anhand des Programms sagen?
Ein erster Blick auf das Programm der Berlinale 2020
Auffallend ernst wird es diesmal. Waren in den letzten Jahren mit Andersons Isle Of Dogs oder Mitevskas Gott existiert, ihr Name ist Petrunya auch heitere Stoffe zu sehen, so sind diese im Jahr 2020 nur rar gesät. Es seien ernste Zeiten, gibt der Festivalleiter bei der Pressekonferenz bekannt und dieser Umstand müsse sich auch in der Kunst wiederfinden. Vielleicht lässt sich unter diesem Punkt auch die Schaffung der neuen Sektion „Encounters“ erklären. Besonders kreatives und bedeutendes Kino soll hier präsentiert werden. Es gibt für diese Sektion auch eine eigene Jury sowie eine eigene Preisverleihung für die insgesamt 15 Filme. Wie sich das auf die 18 Filme des Hauptwettbewerbs auswirkt ist noch fraglich. Kann besonders kreatives Kino jetzt also nicht mehr den Goldenen Bären in der Hauptkategorie gewinnen? Angela Schanelecs Ich war zuhause, aber … stach im letzten Jahr beispielsweise noch deutlich heraus und wurde für die Beste Regie ausgezeichnet.
Es bleibt also spannend. Neben „Encounters“ und der Hauptkategorie, dem „Wettbewerb“, sind auch die Sektionen „Berlinale Special“ und das „Panorama“ (in dieser Kategorie darf das Publikum durch Abstimmung nach jedem Film die Rolle der Jury einnehmen) nicht uninteressant. Ergänzt werden diese durch Sektionen für den Experimentalfilm, das deutsche Kino oder das Kino für Jugendliche. Der Fokus liegt allerdings auf dem Wettbewerb und Encounters. Daher folgen nun ein paar konkrete Empfehlungen, für alle interessierten Berlinale-Besucher/innen. Natürlich ist zu bedenken, dass es sich hierbei lediglich um Prognosen handelt, welche Filme im Anschluss des Festivals besonders diskutiert werden.
Politisches zum Einstieg
Einer der am meisten erwarteten Filme ist der neue Streifen von Burhan Qurbani namens Berlin Alexanderplatz. Der Regisseur setzte sich bereits in der Vergangenheit (zum Beispiel in Wir sind jung. Wir sind stark.) mit dem politischen Geschehen in Deutschland auseinander. Nun verlegt er die Handlung von Döblins Romanvorlage über den Lohnarbeiter Franz Biberkopf von den 1920er Jahren in die heutige Zeit. Dem aktuellen Zeitgeschehen entsprechend interpretiert Qurbani seine Hauptfigur als Flüchtling aus Westafrika, der versucht in der deutschen Hauptstadt Fuß zu fassen. Unter anderen ist beispielsweise auch Jella Haase (Fack ju Göhte) mit dabei. Der Film ist nominiert für den Goldenen Bären und wird auch als möglicher Anwärter für eine Nominierung beim deutschen Filmpreis gehandelt.
Der Film feiert am 26. Februar Premiere und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen.
An einen Eröffnungsfilm werden immer ganz besondere Erwartungen gestellt. Er soll Lust auf das bevorstehende Festival machen, die Zuschauerinnen und Zuschauer thematisch einstimmen und zudem qualitativ hochwertig sein, um das Festival entsprechend zu repräsentieren. Diese Last und gleichzeitige Ehre kommt in diesem Jahr dem kanadisch-irischen My Salinger Year von Phillippe Falardeau zu. Dieser oscarnominierte Regisseur war bereits mit Monsieur Lazhar in Cannes vertreten und hat in Locarno einige Preise gewonnen. Nun inszeniert er die Geschichte einer angehenden Schriftstellerin (Margaret Qualley) im New Yorck der 90er Jahre. Ihre Chefin ist dabei mit Sigourney Weaver hochkarätig besetzt. Da es jedoch aktuell noch kaum Bildmaterial gibt, ist noch unklar, in welche Richtung sich der Film entwickeln wird. Auch wenn der Film „nur“ in der Sektion Berlinale Special gezeigt wird, darf man gespannt sein.
Der Film feiert am 20. Februar Premiere und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen.
Coming-Of-Age und Feminismus
Melanie Waelde hat mit ihren bisherigen Kurzfilmen für Furore gesorgt. Mit ihren experimentellen Drehbüchern zu Kurzfilmen wie Euch oder der mehrfach ausgezeichneten Kurzdokumentation Like in Africa konnte sie sich einen Namen machen und darf nun in der Sektion „Encounters“ ihren ersten Langspielfilm präsentieren. Der lebendige Coming-Of-Age-Streifen Nackte Tiere gilt als ein besonders mit Spannung erwarteter Vertreter des deutschen Kinos und klingt vielversprechend. Fünf junge Menschen verbringen den letzten gemeinsamen Winter vor dem Schulabschluss in einer kleinen deutschen Provinz. Jeder und jede weiß, dass sie sich langsam entscheiden müssen, was sie mit ihrer Zukunft anfangen wollen und wollen dafür herausfinden, wer sie selbst sind.
Der Film feiert am 21. Februar Premiere und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen.
Bereits ein Dauergast auf der Berlinale ist die britische Regisseurin Sally Potter. Ihre Filmen drehen sich meist um Geschlechterrollen sowie Beziehungen zwischen Mann und Frau und stoßen damit gerade in der aktuellen Zeit auf Interesse bei Kritikern, Kritikerinnen und Publikum. In ihrem neuen Streifen The Roads Not Taken spielt Javier Bardem einen geistig zerrütteten Menschen, der sich in der modernen Gesellschaft nicht mehr zurückfindet. Halt gibt ihm nur noch seine Tochter, gespielt von Elle Fanning, die er allerdings nicht mehr als solche erkennt. In weiteren Rollen sind auch Salma Hayek und Laura Linney zu sehen. Der Film ist bei der Berlinale 2020 für den Goldenen Bären nominiert und stellt ein absolutes Muss beim diesjährigen Festival dar.
Der Film feiert am 26. Februar Premiere und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen.
Phantastisches in Kunst und Alltag
Alexander Kluge ist eine konstante Größe in der deutschen Kunstfilmbranche. Nun hat er sich mit dem künstlerischen philippinischen Allrounder Khavn zusammengetan, um gemeinsam ein überaus ambitioniertes Projekt zu realisieren. Die Legende des Orpheus ist bereits hinlänglich bekannt und interpretiert. Das Regieduo wählt daher einen radikaleren Ansatz: ein Geschlechtertausch. Orphea will in dem gleichnamigen Film nicht nur ihren geliebten Euridiko, sondern gleich alle Toten mit der Macht der Musik zum Leben erwecken. Die schöpferischen Kräfte der Weiblichkeit und der Musik werden in diesem beeindruckend klingenden Streifen vereint, um über tiefgreifende philosophische Aspekte des neuen Jahrtausends zu sinnieren. Wer also künstlerisches und philosophisches Kino liebt, sollte sich diesen Streifen in der Sektion „Encounters“ keinesfalls entgehen lassen.
Der Film feiert am 25. Februar Premiere und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen.
Ähnlich phantastisch geht es in in Undine zu. Christian Petzold ist mit diesem Film bereits zum fünften Mal im Wettbewerb vertreten und für den Goldenen Bären nominiert. Den für die Beste Regie hat er mit dem Streifen Barbara bereits gewonnen und sein letzter Film Transit hat internationale Bekanntheit erlangt. Undine, gespielt von Paula Beer, ist Historikerin und arbeitet als Museumsführerin in Berlin. Ihr geliebter Johannes (Franz Rogowski) verlässt sie, woraufhin ihre Welt zusammenbricht. Petzold inszeniert diese Geschichte im Stile eines modernen Märchens, der den Mythos der geheimnisvollen Wasserfrau aufgreift und dadurch über die Ohnmacht der Verratenen und der gewollten oder nicht gewollten Abhängigkeiten reflektiert. Das neue Werk des routinierten Regisseurs klingt ambitioniert, weshalb man es sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.
Der Film feiert am 23. Februar Premiere und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen.
Willem Dafoe und Pixar
Wer von dem verrückten Willem Dafoe in Der Leuchtturm einfach nicht genug bekommen kann, der oder die sollte sich unbedingt Abel Ferraras neuen Film Siberia vormerken. Der Regisseur inszeniert die Reise seines Alter Egos (gespielt von Willem Dafoe) in die Isolation. Zurückgezogen vor der Welt flüchtet sich die Hauptfigur in eine abgeschiedene Höhle und blickt dabei tief in sein innerstes Ich. Wenn jemand die Erforschung und Vermischung der Realität mit Träumen und Erinnerungen eindrucksvoll in Szene setzen kann, dann ist es vermutlich dieser weltbekannte Filmemacher. Bekannt wurde er in den 80ern und 90ern mit Filmen wie King of New York oder Bad Lieutenant und wurde bereits mehrfach zur Berlinale eingeladen. Bei der Berlinale 2020 ist er ein weiteres Mal für den Goldenen Bären nominiert.
Der Film feiert am 24. Februar Premiere und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen.
Abschließend sei an dieser Stelle der wohl populärste Film der Berlinale 2020 genannt. In der Sektion „Berlinale Special“ präsentiert Disney Pixar seinen neuesten Animationsfilm: Onward: Keine halben Sachen. Der Regisseur Dan Scanlon arbeitet bereits seit fast 20 Jahren für die Animationsschmiede, war beispielsweise auch am vielgelobten Toy Story 3 beteiligt und gab 2013 sein Langfilmdebüt mit Die Monster Uni. Die neue Geschichte spielt in einer Fantasywelt, in der die beiden Elfenbrüder feststellen müssen, dass Magie, entgegen ihrer Erwartungen, doch noch in der Welt existiert. Sie wurde lediglich von der bequemeren Technologie verdrängt. Die für Pixar typische Kreativität und Emotionalität sollen auch hier wieder das Herzstück des neuen Streifens bilden. Mit Sicherheit ist ein großer Spaß für Jung und Alt zu erwarten.
Der Film ist ab dem 21. Februar auf dem Festival zu sehen.
Die Berlinale 2020 kann kommen
Natürlich hat die 70. Berlinale noch zahlreiche weitere spannende Streifen zu bieten. Weitere Programmpunkte sind auf der Homepage zu finden. Und in diesem Sinne: Möge die 70. Berlinale beginnen!
Der Kartenverkauf erfolgt stets drei Tage vor dem entsprechenden Termin um 10 Uhr. Für den günstigeren Besuchersonntag am 01. März gibt es bereits ab dem 17. Februar Tickets online und an den entsprechenden Kassen. Nähere Infos sind auf der Homepage zu finden.