In Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten, der Verfilmung der gleichnamigen Graphic Novel, erleben wir den streitbaren Regisseur an einem Scheideweg seines Schaffens. Ob das unterhält oder informiert, oder vielleicht sogar beides, erfahrt ihr bei uns![su_youtube url=“https://www.youtube.com/watch?v=b0sLXzB5WyM“]
No data available.Handlung von Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten
Am 28. November 1930 feiert der zweite Film von Luis Buñuel, Das goldene Zeitalter, seine Premiere in Paris und sorgt für einen handfesten Skandal. Der Fotograf Eli Lotar trägt darauf das Projekt eines Dokumentarfilms über ein Dorf in Extremadura, Las Hurdes – Land ohne Brot, heran, das er zuerst ablehnt, ihn in der Folge aber nicht mehr loslässt. Von der katholischen Kirche als obszön und gotteslästerlich verurteilt, kündigen Produzenten und Geldgeber jedoch bereits getroffene Abmachungen mit dem umstrittenen Surrealisten auf. Auch mit seinem Freund, dem Künstler Salvador Dalí hat sich Buñuel schon in der Vorbereitung von Das goldene Zeitalter überworfen. Dann geschieht so etwas wie ein Wunder: Der befreundete Bildhauer und Anarchist Ramón Ancin verspricht dem verzweifelten Buñuel, sein nächstes Projekt zu finanzieren, sollte er in der Lotterie gewinnen – und tatsächlich wird seine Nummer gezogen.
In Spanien trifft Luis Buñuel mit Ancin die Vorbereitungen für die Dreharbeiten in Extremadura. Schon im Vorfeld stellt der Filmemacher die Freigiebigkeit seines Freundes mit seinen Marotten auf die Probe. Am Drehort angekommen, verschlimmert sich die Beziehung zwischen den beiden zusehends. Der Surrealist besteht darauf, der ohnehin schon trostlosen Realität des abgelegenen Dorfes durch gestellte Szenen noch auf die Sprünge zu helfen. Er lässt zuerst zwei Ziegen einen Abhang hinunter stürzen, später setzt er einen angebundenen Esel wütenden Bienen aus. Doch die Arbeit in dieser verarmten Gegend hinterlässt Spuren bei Buñuel und öffnet seine Augen für die sozialen Belange der Menschen…
Graphic Novel als Vorlage
Der Animationsfilm basiert nicht primär auf der Biografie des angesehenen Filmemachers, sondern auf der gleichnamigen Graphic Novel von Fermin Solis. Ohne die Vorlage zu kennen, gehe ich davon aus, dass sich schon diese sicherlich einige künstlerische Freiheiten in Bezug darauf genommen hat. Dabei verzichtet die Darstellung darauf, irgendetwas zu beschönigen, sondern fasst nur einige Zusammenhänge und Beziehungen zusammen. Den Umstand, dass Luis Buñuel nach Das goldene Zeitalter von seinen Förderern in Frankreich fallen gelassen wird, präsentiert der Animationsfilm als eher belustigende Montage. Und auch seinen Umgang mit Freunden, seinen ungezügelter Fluss an Ideen während des Drehs verpassen Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten einen eher heiteren Grundton. Dies nutzt die Erzählung wiederum geschickt als Kontrast zu den schweren Themen, die sie behandelt.
Auf der einen Seite wird hier die Momentaufnahme eines Künstlers in der Krise dargestellt, auf der anderen markiert dies aber auch eine Zäsur im Schaffen Buñuels. Der Surrealist, der vorher die Gesellschaft als Ganzes verspottete, erhält angesichts des Elends, das ihm in Extremadura begegnet, einen Blick auf die Realität des Lebens der armen, von der städtischen Bürgerlichkeit abgehängten Landbevölkerung. Es öffnet ihm die Augen für die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten, die fortan in seinem Werk eine große Rolle einnehmen.
Ein weiteres großes Thema ist die Manipulation der Wirklichkeit. Buñuels Drängen, Bilder zu stellen, inwieweit man der abgebildeten Realität trauen darf. Er inszeniert es so, dass es einen gewollten Effekt beim Zuschauer erzielt. In dieser Geschichte stellt es sich nun so dar, dass die Szenen mit den Ziegen und mit dem Esel der spannungserzeugenden Dramatik zuzuordnen sind. Eine nachgestellte Beerdigung eines Kindes zum Ende jedoch soll der Intention dienen, auf das Leid, was hier vorherrscht, aufmerksam zu machen. Gleichzeitig wird hier der Wandel in der Weltsicht des Künstlers verdeutlicht.
Wahl der Stilmittel
Als erstes ist es natürlich interessant, wie hier Form und Inhalt miteinander verbunden sind. Wird im Film, wie gerade beschrieben, darauf eingegangen, dass der Filmemacher eine Aussage über die, hier geradezu niederschmetternde, Realität in Extremadura durch überspitzt dramatische Einlagen unterstreicht, aber genauso dabei fiktionalisiert, trifft das auf das Verhältnis dieses Zeichentrickfilms zum reellen Buñuel genauso zu. Natürlich nimmt die Geschichte sich künstlerische Freiheiten, was Personen und Ereignisse angeht. Es wird vereinfacht aufgearbeitet, um den Bedürfnissen einer Dramaturgie zu entsprechen.
Simó, oder wahrscheinlich schon Autor Solís haben sich für sie wichtige Stationen des Künstlers herausgepickt: der Skandal um Das goldene Zeitalter, das vorangegangene Zerwürfnis mit Dalí, die Geschichte mit dem Lotterielos. Und immer wieder wird auch das schwierige Verhältnis von Buñuel zu seinem Vater thematisiert. Um diese äußeren Einflüsse und inneren Konflikte zu visualisieren, greift der Film auf surreale Traumbilder zurück. Hier bewegt er sich mehr auf der Ebene von Gefühlen denn Fakten. Am Ende steht dennoch eine Aussage über diese wichtige Zäsur in seinem Schaffen, und die Dramaturgie Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten führt dorthin.
Der Zeichenstil ist angenehm altmodisch und schön anzusehen. Ein sehr cleverer Schachzug des Films ist es außerdem, die fragwürdigen, gestellten Aufnahmen an den entsprechenden Stellen direkt aus Las Hurdes – Land ohne Brot zu importieren. Diese Szenen in animierter Form zu zeigen oder gleich ganz weg zu lassen, hätte einfach nicht die gleiche Wirkung gehabt. So aber ist der Zuschauer plötzlich der (gestellten) Realität ganz nahe. Man muss aber auch sagen, dass gerade die Bilder des unter Bienenstichen verendenden Esels einen ganz schön an die Nieren gehen können. Wäre das nicht in einem Zeichentrickfilm eingebettet, der den kurzzeitigen Schock gleich darauf etwas abzumildern vermag, hätte man wohl kaum noch ein positives Bild des streitbaren Regisseurs zeichnen können.
Unser Fazit zu Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten
Dieser Zeichentrickfilm ist weniger als ein biografischer Beitrag zu diesem Ausnahmekünstler zu verstehen, sondern eher als eine liebevolle Annäherung an Facetten seiner Person und ihrer Entwicklung. Genauso greift Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten einige interessante, sich anbietende Themengebiete auf, wie etwa das Verhältnis von Kunst und Dramaturgie zur Realität. Dabei gelingt es dem Film, dies alles unterhaltsam und mit Sympathie für die Personen aufzuarbeiten. Seine Intention geht natürlich weiter als oberflächlich zu unterhalten. Er will für das Werk und die Person Buñuels, für Umstände und Motive, aber auch die Kunst an sich neugierig machen. Es ist ein sehr anregender Film, der die Konfrontation mit unbequemen Wahrheiten nicht scheut. Dennoch verzichtet er darauf, sie in irgendeiner Weise auszuschlachten. Durch diese Sensibilität und den Ansatz als Zeichentrickfilm dürfte es auch eher unbeleckten Zuschauern leicht fallen, zu dieser Thematik Zugang zu finden. Eine klare Empfehlung für Filminteressierte!
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Unsere Wertung:
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