Mit dem historischen Agentfilm Cliff Walkers betritt der chinesische Regie-Star Zhang Yimou für sich Neuland. Ob der Film genauso brilliert wie seine bekannten Wuxia-Epen, erfahrt ihr in unserer Review!
Die Handlung von Cliff Walkers
Mitte der 30er-Jahre landen vier chinesische Agenten, zwei Paare, namentlich Xianchen (Zhang Yi) und Yu (Qin Hailu) sowie Chuliang (Zhu Yawen) and Lan (Liu Haocun), in Mandschukuo. Dies ist ein von japanischen Besatzern ins Leben gerufener Marionettenstaat. Sie sollen sich im winterlichen Hinterland bis zur Stadt Harbin durchschlagen, um dort einen brisanten Auftrag zu erledigen. Schon früh müssen sie erkennen, dass sie verraten worden sind. Auf dem Weg in die Stadt werden sie getrennt, Xian, Yu und Chuliang stehen unwissentlich unter Beobachtung, während Lan vom in Harbin stationierten Agenten Zhou Yi (Yu Hewei) aufgenommen wird. Unabhängig voneinander starten sie die Planungen zur Durchführung des Auftrags…
Nach gutem Einstieg verstolpert der Film
Der chinesische Regisseur Zhang Yimou ist vor allem für seine bildgewaltigen Wuxia-Epen, wie Hero (2002), Der Fluch der goldenen Blume (2006) und zuletzt Shadow (2018), bekannt. Auch Cliff Walkers besticht vor allem durch seine atmosphärischen Shots in der verschneiten Winterlandschaft und den beeindruckenden Kulissen der Stadt Harbin. Das Terrain des historischen Agentenfilms hingegen bedeutete für den Filmemacher Neuland. Dennoch ist seine Handschrift unverkennbar, etwa die Aufspaltung des Ensembles in mehrere Fraktionen ein typischer Kniff seiner Erzählweise. Die zugrunde liegende Geschichte einer Gruppe von Agenten, die im japanisch besetzten und zum Marionettenstaat umfunktionierten Gebiet einen brisanten Auftrag ausführen, erhält so zusätzliches Konfliktpotenzial innerhalb seiner Protagonisten. Zumal sich die Helden aus zwei Pärchen zusammensetzen. Doch das soll sich leider noch als dramaturgischer Stolperstein erweisen.
Am besten funktioniert der Film noch im ersten Drittel, denn bereits nach der Ankunft trennen sich die vier in zwei Gruppen. Dabei geraten sie jeweils prompt an feindliche Agenten, ihre Mission wurde längst verraten. Eine Zweiergruppe kann sich der Feinde sofort entledigen, die anderen treten mit ihren Begleitern die Zugfahrt nach Harbin an. In dieser ersten halben Stunde fährt Cliff Walkers ein hohes Tempo, etabliert nebenher ein Geflecht aus Agenten und Doppelagenten, ein Gefühl der Paranoia. In Harbin angekommen, wird die im Zug von den anderen getrennte Lan mit dem erfahrenen Agenten Zhou Yi zusammengebracht. Zhang Yimou nutzt das fortan immer wieder mal, um das Innenleben seiner Protagonisten auszuleuchten. Dabei driftet er zusehends in melodramatische Gefilde, die die Geschichte kaum vertiefen, aber das Tempo verschleppen. Es gelingen ihm zwar auch einzelne schön konzipierte Spannungssequenzen, aber im Ganzen zieht sich das Geschehen an vielen Stellen.
Entmenschlichung light
Den Hintergrund der Geschichte bildet das berüchtigte Lager der Einheit 731 am Rande der Stadt, in dem die japanische Armee grausame Menschenversuche durchführte. Der Kern des Auftrags der vier Agenten hängt damit zusammen, denn sie sollen im Endeffekt die grausigen Geschehnisse in der Anlage ans Licht bringen helfen. Hinter ihren Mauern verrichtete die Armee Experimente an Menschen u.a. mit bakteriellen Waffen. Aber auch Foltermethoden sowie die Widerstandsfähigkeit menschlicher Körper unter verschiedensten Voraussetzungen stellten die Verantwortlichen hier auf die Probe. Cliff Walkers begnügt sich mit wenigen Szenen im Lager selbst, auch enthält er uns die abscheulichen Experimente vor. Allerdings gibt es Szenen der Folter, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Sowieso bemüht der Regisseur einen beachtlichen Härtegrad, die Gewalt im Film ist blutig, realistisch, tut weh.
Ein weiteres Merkmal des Films sind die Kostüme. In Harbin selbst sind alle Agenten, egal von welcher Seite, stets in dicke schwarze Mäntel gekleidet. Die Männer tragen dazu große, schwarze Hüte. Schon rein optisch sind hier Freund und Feind schwer bis gar nicht zu unterscheiden, was das aufgezogene Verwirrspiel um Spionage und Gegenspionage in den besten Momenten noch intensiviert. Diese Entmenschlichung wird durch die melodramatischen Momente leider zu häufig konterkariert. Das ist in eben diesen Momenten dann sehr schade, denn man merkt, dass in Cliff Walkers alle Zutaten für einen erstklassigen, düsteren Agententhriller gesteckt hätten.
Technische Brillanz mit Abzügen
Die Filme von Regisseur Zhang Yimou hatten in der Vergangenheit oftmals Probleme mit der chinesischen Zensurbehörde, fanden international dafür großen Anklang. Inzwischen hat sich der Filmemacher mit dem Regime gut gestellt. Er arrangierte u.a. die Eröffnungs- und die Abschlussfeierlichkeiten der Olympiade 2008 in Peking. Diesbezüglich ist es schon bezeichnend, dass Cliff Walkers sich im Mittelteil tatsächlich auf das Wesentliche konzentriert und Anflüge von Propaganda nur am Anfang und am Ende des Films erkennbar sind. Die japanischen Besatzer und deren chinesische Kollaborateure sind zwar auffällig negativ überzeichnet, was man aber im chinesischen Film allgemein als Klischee abhaken kann. Sein Hauptaugenmerk gilt seinen Protagonisten, deren Aktionen in Harbin in andauernder Wechselwirkung stehen. Die Tiefe, die er seinen Figuren erfolglos einzuhämmern versucht, hätte es dabei gar nicht gebraucht.
Vor allem optisch kann Zhang Yimou seine Stärken ausspielen, die Bildkompositionen aus detaillierten Sets, grandioser Kameraführung und exzellenten Schnitt verwöhnen das Auge. An nur wenigen Stellen wirkt alles etwas steril und unwirklich, was dem Einsatz von CGI geschuldet ist. Allerdings fügt sich diese für einen chinesischen Film an den meisten Stellen sehr gut in das Gesamtbild ein. Auch einzelne Spannungssequenzen in Harbin heben sich deutlich ab, gerade weil sich auf den verschneiten, fast menschenleeren Straßen der Stadt eigentlich nur Jäger oder Gejagte bewegen. Ausstattungstechnisch ist Cliff Walkers Kino auf ganz hohem Niveau. Das Ensemble kann durchweg überzeugen, auch wenn die junge Liu Hoacun ein wenig abfällt. Das Drehbuch und die Inszenierung abseits von Optik und Action halten nur leider nicht Schritt.
Unser Fazit zu Cliff Walkers
Großartig fotografiert und mit allen Ingredenzien für einen erstklassigen Thriller ausgestattet, verzettelt sich Cliff Walkers nach dem ersten Drittel in seinem eingestreuten Melodram. Anstatt die Figurenkonstellation dazu zu nutzen, die Atmosphäre des Films zu verdichten, verschleppt Zhang Yimou leider immer wieder das Tempo. Das führt dann unweigerlich zu Längen, weil er die Spannung einfach nicht auf konstant hohem Level halten kann. Ganz im Gegenteil, zeitweise bricht diese sogar komplett ein. Damit bleibt Cliff Walkers immer hinter seinen Möglichkeiten, verspielt großzügig Chancen für mitreißende Momente. Es ist ein Film, an dem man sich satt sehen kann. Und ist man gesättigt, wird er mitunter zur Geduldsprobe. Wer Zhang Yimous Filme mag, kann gerne ein Auge riskieren, aber eine klare Empfehlung für jeden Cineasten mag ich nicht aussprechen.
Cliff Walkers ist seit dem 23. Juni 2022 auf Blu-ray & DVD sowie im Mediabook erhältlich!
Unsere Wertung:
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