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Die Frau im Nebel – Decision to Leave

In Park Chan-wooks wohl harmlosestem, aber nicht minder herzzerreißenden Film, Die Frau im Nebel, trifft das Katz-und-Maus-Spiel eines Hitchcock-Krimis auf die schmerzhafte Tragik eines Wong Kar-wai-Liebesdramas. 

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TitelDie Frau im Nebel (OT: Heeojil gyeolsim)
Jahr2022
LandSüdkorea
RegiePark Chan-wook
DrehbuchPark Chan-wook, Chung Seo-kyung
GenreKrimi, Drama, Liebesfilm
DarstellerTang Wei, Park Hae-il, Lee Jung-hyun
Länge139 Minuten
FSKab 16 Jahren freigegeben
VerleihPLAION Pictures
Auf dem Mediabook-Cover von Die Frau im Nebel, schaut Tang Wei als Song Seo-rae geradeaus in die Kamera. Nur ihr Kopf und Oberkörper ist zu sehen, während hinter ihr das offene Meer und darüber der wollige Himmel abgebildet sind.
Das Cover zum Mediabook von „Die Frau im Nebel”. © PLAION Pictures

Die Handlung von Die Frau im Nebel

Geplagt von unzähligen ungelösten Mordfällen sowie der resultierenden Schlaflosigkeit leitet Kommissar Hae-joon nun die Ermittlungen im Falle eines tödlich verunglückten Hobbykletterers. Sogleich nimmt er dessen eingewanderte chinesische Frau ins Visier. Die Hauptverdächtige scheint seltsam unberührt. Indes lässt seine Faszination für die wunderschöne und verletzlich wirkende Seo-rae ihn langsam zunehmend professionelle Grenzen überschreiten – Verhöre werden zu Rendezvous, Observierungen zur wahren Erfüllung. Seine Gefühle für die verführerische Frau trüben endgültig seine Sicht und sein Urteilsvermögen…

Vertigo meets In the Mood for Love

Die Silhouette von Alfred Hitchcock thront selten so deutlich erkennbar als Inspiration hinter Parks Werken wie bei diesem Film, sei es auf rein technischer Ebene mit Hitchcockschen Wechseln zwischen Nah- und Großaufnahmen, Point-of-View-Shots plus dem besonderen „Augenmerk“ auf den Spiegeln der Seelen, oder strukturell mit einer vertraut schwindelerregenden Prämisse samt Thematik, stark beeinflusst von Vertigo.

Beginnend in Gestalt eines stringenten Murder-Mystery-Plots, ähnelt Die Frau im Nebel dem Vorbild in der Metamorphose hin zu einem bunter ausgeschmückten Melodram: Je länger wir unserem Protagonisten folgen, desto ersichtlicher wird, dass es sich lediglich um eine Ehrerbietung an klassische Kriminalgeschichten und deren Konventionen handelt, der Fokus andererseits darauf liegt, die innersten Wünsche der Charaktere zu erforschen, bzw. eine zärtliche Liebesgeschichte zu erzählen.

Während Hitchcocks Einfluss also in Story, Stil plus dem Spaß am Morbiden liegt, erinnert die Tonalität und das Pacing an Wong Kar-wai und dessen intensive slow-burn Romanzen bestehend aus insgeheimen Begierden und verpassten Chancen.

Tang Wei als Song Seo-rae (links) und Park Hae-il: Chang Hae-joon (rechts) stehen sich gegenüber und schauen sich fragend an. Hinter ihnen liegt ein Fluss und am Horizont eine Bergkette.
Besonders die Romantik aus In The Mood for Love wird aufgegriffen – zaghafte Andeutungen statt offensichtlichen Liebesbekundungen. © PLAION Pictures

Verhaltener im Hinblick auf Lust und Gewalt

In Die Frau im Nebel wandelt Park zwar auf vertrautem Terrain rund um Liebe und Obsession, verzichtet allerdings auf drastische Gewalt-/Erotik-Szenen. Seine Markenzeichen – schockierende Brutalität, provozierende, exzentrische Darstellung von Liebe und komplexe, twistreiche Erzählungen – weichen Romantizismus und Leidenschaft. Unerwartete Wendungen sind weniger handlungsführend im Vergleich zu z.B. Stoker. Rätsel, die er nach langer Zurückhaltung stets in Form eines plötzlichen Payoffs gen Ende enthüllt, sind hier eher einsickernde Erkenntnisse. Härten finden kaum Einzug. Während es bei Oldboy reicht, lediglich Schlagworte zu nennen („Hammer“), veranschaulicht Die Frau im Nebel, dass Liebe schließlich genauso schmerzhaft/gnadelos sein kann.

Im Gegensatz zu Die Taschendiebin geradezu züchtig, ist hier die Intimität mehr auf die räumliche Nähe zueinander als auf tatsächlich visuell dargestellte Akte zu verstehen. Die sexuell aufgeladene Spannung besteht aus Avancen – geringster körperlicher Kontakt ist elektrisierend – doch es bleibt bei feinen Berührungen, sehnsüchtigen Blicken und Tagträumen.

Dekonstruktion des Film-Noir…

Park Hae-il darf als Detective erkennbar mehr Bandbreite zeigen, denn er vereint in seiner Figur gleich diverse Archetypen mit Charakterzügen, die sonst alleine für sich stehend den Ermittler ausmachen müssen. Vom einsamen Wolf, zum schlaflosen Workaholic bis einfühlsamen Gentleman. Er führt eine reizarme Beziehung mit einer Wissenschaftlerin, die seinen Safe Haven darstellt, ein sicherer Ort, bei dem er regelmäßig Rückzug findet, vergleichbar mit Midge in Vertigo.

Hae-joon ist ungeachtet dessen sehr distanziert von ihr. Reichlich Interaktion bekommen die beiden nicht, was zu seiner Charakterisierung beiträgt, sie dagegen auf der Strecke bleiben lässt. Obwohl seine Frau denkt, dass Hae-joon nur durch Gewalt und Tod glücklich werden kann, ist der Polizist, der in seiner Wohnung eine Wand mit ungelösten Fällen hat, keineswegs glücklich. Vielmehr braucht er seinen Job, insbesondere die Herausforderungen, Mysterien zu lösen, um einen Sinn in seinem Leben zu finden. Das ist anfänglich der Grund, warum er Seo-rae näher kommt – sie würde perfekt an seine Wand mit ungelösten Fällen passen, da sie selbst ein wandelndes Mysterium ist.

… wie Hommage ans Genre

Nachdem Seo-rae und Hae-joon zum ersten Mal aufeinander treffen, erreicht der Film eine erfrischende Intensität. Schon bei ihrem zweiten Verhör wirkt der Polizist mit seiner Verdächtigen wie ein eingespieltes verheiratetes Paar. Die Frage nach ihrer Schuld wird zunehmend unwichtiger. Hauptsächlich ist man auf die Entwicklung dieser vielschichtigen Beziehung gespannt, weil sie lange Zeit undurchschaubar bleibt. Ferner müssen sich Hae-joon und das Publikum gleichermaßen fragen, ob Seo-rae ihn ausschließlich benutzt. Das Zusammenspiel dieser drei Figuren, ihre permanente Anziehung und Abstoßung, erzeugt eine packende Dynamik.

Seo-rae verkörpert mit ihrer Herkunft und Sprache etwas exotisches, müssen doch beide auf Sprachapps zurückgreifen, um kommunizieren zu können. Als Nicht-Muttersprachlerin verwendet sie aus der Zeit gekommene Wörter, was sie altmodisch, nobel, aber auch unschuldig erscheinen lässt. Wenn sie beginnt, ihre gesamte Persönlichkeit zu offenbaren, macht es sie umso verführerischer, stets mit einem Hauch von unmittelbarer Gefahr.

Je mehr sich ihre Geschichte entblättert, desto stärker wird Tang Wei in ihrer Rolle gefordert. Die Schauspielerin beeindruckt mit einer wahnsinnigen Wandlungsfähigkeit: In einem Moment den Tränen nahe, im nächsten in sich gekehrt und dann plötzlich überzeugend selbstbewusst. Sie gibt dem oft sehr festgefahren Femme fatale-Stereotypen ebenfalls einen ganz neuen Spin durch eine gekonnte Ambiguität.

Song Seo-rae steht mitten in einem Raum, links von ihr hängen Bilder an der Wand, rechts eine Lampe von der Decke. Sie hält mit komplett ausgestrecktem Arm jemandem rechts vom Bild ihr Handy entgegen.
Undurchsichtig, enigmatisch, überzeugend – zu jeder Zeit wird verständlich, wie sich jeder von uns in Seo-rae hätte verlieben können. © PLAION Pictures

Highlight: Editing!

Kommunikation ist ein wichtiges Thema. Zum einen zwischen den Figuren, zum anderen auch zwischen der Erzählung des Films und dem Zuschauer ist diese jedoch umnebelt. Parks Stil und seine Erzählung irritieren die Wahrnehmung des Publikums im selben Maße. In einem rasanten Tempo springt die komplexe Handlung zwischen Szenen hin und her. Obgleich beide Hauptfiguren an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten ihrem Leben nachgehen, schneidet Park ihre Blicke ständig zusammen, lässt sie sich zueinander imaginieren.

Somit ist Die Frau im Nebel keineswegs nur sprachlich poetisch, wenn Seo-rae exemplarisch Konfuzius zitiert und zahlreiche Dialoge auf zwei Ebenen verstanden werden können. Ebenso der lyrische Detailreichtum der Inszenierung setzt sich Mittels eines verspielten Schnitts, den Park wahrhaftig als „Match Cut Masterclass“ verkaufen könnte, über räumliche Dimensionen hinweg. Häufig ist es scheinbar allein dem Medium Film möglich, eine Brücke zwischen den beiden zu schlagen. Gerade diese filmischen Täuschungsmanöver führen gelegentlich dazu, dass es für den Zuschauer schwierig ist, der Handlung zu folgen.

Blind vor Liebe – Der Nebel der Emotionen in Die Frau im Nebel

Neben der Schlaflosigkeit der Hauptfigur, verstärken die nebligen Straßen die Assoziationen zu Insomnia – Schlaflos. Die Atmosphäre ist geprägt vom Nebel, der förmlich nach einem greift und die Konzentration behindert. Der Schnitt versucht kontinuierlich durch kleine Details ein wenig Klarheit zu schaffen. Beispielsweise fokussiert er auf Hae-joons Ringfinger, wo aus einem bestimmten Winkel eine Lücke zwischen dem Ring und dem Finger erkennbar wird. Entgleitet ihm seine langjährige Ehe?

In Die Frau im Nebel stehen Song Seo-rae (links) und Chang Hae-joon (rechts) in einem offenen, schön verziertem Tempel an einer riesigen Trommel. Beide schauen zum jeweils anderem herüber.
Die Kamera lässt sich Zeit, um das intrinsische Spiel einzufangen. Kameraführung wie Sound-Mixing erzeugen zugleich Intimität und Distanz. © PLAION Pictures

Die Kameraeinstellungen sind teilweise sehr einzigartig gewählt: Shots aus Gegenständen, Handys und aus trüben, glasigen Augäpfeln über die Ameisen krabbeln. Das ist nicht nur Spielerei, sondern mit hoher Symbolik verbunden. Hae-joon muss regelmäßig Augentropfen verwenden, ohne dass der genaue Grund dafür erklärt wird. Sein Blick ist hingegen, ähnlich den anderen Männern, beruflich wie emotional getrübt. Er versucht, für eine gewisse Klarheit zu sorgen. Andernfalls droht ihm die Situation aus der Hand zu gleiten… .

Unser Fazit zu Die Frau im Nebel

Der Beschreibung nach könnte man mit Parks Basic Instinct rechnen. Stattdessen bekommen wir seinen In the Mood for Love, eine Anti-Erotik-Romanze, die mit dem Blick für Einzelheiten sowie präziser Bildkomposition dennoch ein sinnliches Erlebnis bietet. Warum Die Frau im Nebel 139 Minuten gebraucht hat, dieses verworrene Puzzle zu entwirren, ist komplett ersichtlich. Trotzdem hätte sich der Nebel gerne etwas schneller lichten dürfen.

Die Frau im Nebel ist ab 25.05.23 auf DVD/Blu-ray sowie als 4K-Mediabook erhältlich.

Hier findet ihr unsere detaillierte Podcastfolge zum Film!

Unsere Wertung:

 

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