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Misaki (Toko Miura) sitzt am Steuer des roten Saabs 900, während Yusuke (Hidetoshi Nishijima) hinter ihr auf der Rückbank sitzt und seitlich aus dem rechten Fenster blickt. Beide wirken angestrengt und erschöpft. Zudem ist die Umgebung außerhalb des Autos nicht erkennbar.

Drive My Car

In Cannes hat Drive My Car die Goldene Palme für das beste Drehbuch gewonnen. Jetzt erscheint die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami zum Ausklang des Kinojahres auch in deutschen Lichtspielhäusern. Ob uns der japanische Film allerdings genauso begeistern kann wie die Jury in Südfrankreich?

DRIVE MY CAR Trailer German Deutsch (2021) OmU

TitelDrive My Car
Jahr2021
LandJapan
RegieRyusuke Hamaguchi
DrehbuchHaruki Murakami, Ryusuke Hamaguchi, Takamasa Oe
GenreDrama
DarstellerHidetoshi Nishijima, Toko Miura, Reika Kirishima, Masaki Okada
Länge179 Minuten
FSKab 12 Jahren freigegeben
VerleihRapid Eye Movies
Die beiden Protagonisten des Films, Yusuke und Misaki, stehen gegenüber an Fahrer- und Beifahrerseite des roten Saab 900s und blicken sich in die Augen. Dabei falten sie beide ihre Hände in deren Jackentasche. Drive My Car - © Rapid Eye Movies
Zentrales Element der Prämisse: ein feuerroter Saab 900 © Rapid Eye Movies

Die Handlung von Drive My Car

Yusuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima) ist Schauspieler und Theaterregisseur, seine Ehefrau Oto (Reika Kirishima) Drehbuchautorin. Die beiden haben eine einzigartige und intime Beziehung, in derer sie sich fast schon symbiotisch für ihr jeweiliges künstlerisches Schaffen inspirieren und motivieren. In diesem Zuge verschwimmen mitunter die Grenzen zwischen tatsächlichen Gesprächen des Paares und der Rezitation von Geschichten und Dialogen aus den Werken dieser. Dabei entsteht eine einzigartige Dynamik in der lange andauernden Beziehung der beiden.

Jedoch hat das Ehepaar vor einigen Jahren ihre einzige Tochter mit vier Jahren an einer Lungenentzündung verloren. Zudem erwischt Yusuke seine Frau zufällig bei einer Affäre mit einem anderen Mann, einem jungen Schauspieler, der in einer ihrer Produktionen mitwirkt. Er konfrontiert diese allerdings nicht, aus Angst sie zu verlieren. Stattdessen distanziert sich Yusuke einige Zeit emotional von seiner Frau, bis er diese kurze Zeit später aus dem Nichts tot in der Wohnung auffindet.

Zwei Jahre später wird der Regisseur dann eingeladen, auf einem Theaterfestival in Hiroshima das Stück „Onkel Wanja“ von Anton Tschechow umzusetzen. Dabei castet er auch den jungen Schauspieler Koshi Takatsuki (Masaki Okada), mit dem ihm seine Frau zwei Jahre zuvor betrogen hat. Ebenso bittet Yusuke um eine Wohnung, die weit vom Theater entfernt ist, damit er während der Autofahrt proben kann. Dazu benutzt er eine Audiokassette, die seine verstorbene Frau Oto vor ihrem Tod für ihn aufgenommen hat.
Als ihm dann aus Versicherungsgründen die introvertierte Fahrerin Misaki Watari (Toko Miura) gestellt wird, reagiert Yusuke zunächst ablehnend. Im Zuge der täglichen Fahrten baut sich gleichwohl eine langsame Beziehung zwischen dem Duo auf, in der sich beidseitig dem jeweils anderen immer weiter geöffnet wird. Langsam lernen die beiden dadurch, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Yusuke sitzt in seinem dunklen Arbeitszimmer, das lediglich von einer Schreibtischlampe beleuchtet wird, an seinem Drehbuch. Im Vordergrund des Bildes liegen dabei einige Bücher, während der Protagonist sich angestrengt ans Kinn greift und einen Kugelschreiber mit seinen Fingern umschließt.
Vielbeschäftigt: Yusuke grübelt vertieft über die Umsetzung seines Stückes © Rapid Eye Movies

Von Schuld und Sühne, von Trauma und Trauer

„Ich glaube, dass die Wahrheit, egal wie sie aussieht, gar nicht so schrecklich ist. Was am schrecklichsten ist, ist die Ungewissheit.“

Ganze 40 Minuten dauert es bis der erste Akt, der von der Beziehung zwischen Yusuke und Oto erzählt, zu Ende geht und die Opening Credits eingeblendet werden. Selbst bei einem dreistündigen Epos, wie es Drive My Car ist, ist das schon eine stolze Zeit, bis die eigentliche Prämisse des Filmes eingeleitet wird. Dementsprechend gemächlich lässt sich auch die restliche Erzählgeschwindigkeit des Filmes charakterisieren. Doch das ist keinesfalls negativ zu verstehen. Durch die eher observierende Narrativstruktur und die lange Laufzeit des Filmes wird den Dialogen der Figuren deutlich mehr Gravitas und Eindrücklichkeit verliehen. Die ruhigen Momente ergänzen die toll geschnittenen und gefilmten Gespräche im Auto, die nach und nach immer mehr Tiefe verliehen bekommen.

Insofern wirken die emotionale Offenheit und die Intimität, die sich vor allem zwischen Yusuke und Misaki, später aber auch zu anderen Figuren, aufbaut stets authentisch und nachvollziehbar. Allerdings muss man sich schon sehr darauf einlassen: Einlassen auf die reservierte und klimaxlose Erzählweise des Filmes. Manche Sequenzen, wie die immergleichen Theaterproben, die selbst die Figuren im Film bemängeln, wirken zwar teilweise äußerst redundant und repetitiv. Jedoch dienen sie aber in gleicher Weise einem vielschichtigen Blick in das Innenleben unserer Hauptfigur und dessen KollegInnen. Ryusuke Hamaguchis Werk ist keines, das unterhalten will, vielmehr beschäftigt sich der Film in allen kleinen und großen Geschichten, die er erzählt, mit dem Thema Trauerbewältigung.

Takatsuki (links) und Yusuke (rechts) sitzen an einer stimmungsvoll beleuchteten Hotelbar. Yusuke trinkt gedankenverloren ein Glas Whiskey, während Takatsuki sein Vorbild interessiert beobachtet.
Zwei Männer, die die selbe Frau geliebt haben: Takatsuki und Yusuke © Rapid Eye Movies

Von Audiokassetten und einem roten Saab 900

In diesem Zuge präsentiert sich auch das Ursprungsmaterial, eine Kurzgeschichte von Haruki Murakami aus dem Buch „Von Männern, die keine Frauen haben“, mit Männern, die auf die ein oder andere Weise den Verlust ihrer Frau zu beklagen haben – sei es durch den Tod oder durch andere Männer. Dabei besonders hervorzuheben, ist der rote Saab von Yusuke, der eine Art Safe Space für diesen ist und in dem er nun von Misaki chauffiert wird. In den Rückzugsort des Protagonisten wird also gewissermaßen eingedrungen und somit eine aktive Konfrontation mit den eigenen Dämonen initiiett.

Mit seiner veralteten Haptik ohne elektronischen Schnickschnack, Scheibenhebern zum Kurbeln und einem Audiokassettendeck ist das rote Gefährt ein echter Hingucker. Passend dazu auch die feuerrote Lackierung, die in vielen Topdown-Shots aus der vielerorts grau-weißen Betonlandschaft, grüner Natur sowie weißen Schneegebieten heraussticht. Allerdings ist das Auto viel mehr als das. In diesem Saab kapselt sich Yusuke mittels Tonaufnahmen seiner Frau von der hektischen Außenwelt ab. Ein Auto, in dem noch geraucht wird, ein Auto, das aus der Zeit gefallen scheint, ein Auto, das gewissermaßen selbst eine Art nostalgisches Relikt aus der Vergangenheit ist. Ein Auto als Antithese zur Welt da draußen, aber auch ein Auto, in dem sich Yusuke als besonders produktiv erweist.

Die Hände der beiden Protagonisten Yusuke und Misaki ragen aus dem Dach des Saabs hervor und recken während der Fahrt eine brennend Zigarette in den Nachthimmel. Währenddessen verschwimmen die Lichter der Stadt im Hintergrund zu unscharfen Flecken.
Drive My Car punktet mit vielen eindrücklichen Bildern © Rapid Eye Movies

Von der melancholischen Nacht

Apropos Welt da draußen: Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Theaterfestival ausgerechnet in Hiroshima angesiedelt ist. Denn die Geschichte in einer Stadt spielen zu lassen, die wohl wie keine andere auf der Welt mit Kummer und Trauer vertraut ist, passt zur Bedacht, mit der jedes einzelne Versatzstück in Drive My Car ausgewählt wurde.

Ebenso passend ist die technische Umsetzung des Filmes. Denn in ruhigen, langen Szenen, die oft ohne jede Kamerabewegungen auskommen, kreiert Kameramann Hidetoshi Shinomiya jederzeit harmonische und teils wunderschöne Perspektiven. Dabei stehen jedoch immer die Figuren im Vordergrund. Stellenweise erweckt der Schnitt fast sogar den Eindruck etwas zu lange auf den einzelnen Einstellungen zu verweilen, sodass sich die Figuren scheinbar „unbeobachtet“ von der Kamera noch zu einzelnen kleinen Gefühlsregungen und wichtigen Momenten kurz vor Einstellungswechsel hinreißen lassen.
Insgesamt drängt sich die Kameraarbeit jedoch nicht auf, sondern betont Gesprächsdynamiken und emotionale Stimmungen.

Insofern arbeitet der Film auch oft mit verschieden Schärfen und Schärfewechseln, die je nach Erforderlichkeit einzelne Abschnitte des Bildes in oder aus dem Fokus rücken. Zudem machen sie das Bild plastischer, da oft auf verschiedenen Bildebenen gearbeitet wird. Sei es die Fahrerin Misaki, die am Lenkrad ein Gespräch zwischen Yusuke und Takatsuki hinter ihnen beobachtet – oder Yusuke, der durch einen Spiegel hindurch seine Ehefrau beim Akt erwischt.

Allein die Eröffnungssequenz, in der Horizont Tokios in ein violett-orangenes Licht getüncht den Hintergrund der Einstellung ausmacht, ist einer der schönsten Shots des Jahres. Rein bildsprachlich und durch seine träumerische Vieldeutigkeit erinnert der Film oft an Burning, eine weitere filmische Umsetzung eines Werks von Murakamis.

Von einem der eindrücklichsten Filme des Jahres – unser Fazit zu Drive My Car

Drive My Car ist eine intensive Elegie auf Trauma und dessen Bewältigung, das mit seiner langen Laufzeit und seiner fast schon meditativen Erzählweise sicherlich viele vor den Kopf stoßen wird. Allerdings ist der Streifen eben ein Arthaus-Film durch und durch. Ein Film, der von seinen Figuren und deren Gefühlswelten verlangt, die Erzählung zu tragen. Sicherlich hätte man hier und da jedoch die Schere ansetzen können. Wer allerdings das nötige Sitzfleisch mitbringt und sich auf so eine Art von Film einlassen kann, wird mit einem der eindrücklichsten Seherlebnisse des Jahres belohnt werden. Denn letztendlich hat Ryusuke Hamaguchis Werk auch so viel zu erzählen, das auf dem ersten Blick verborgen bleibt. Die Antworten auf die Fragestellungen, die dabei aufgeworfen werden, die bleiben dem Publikum letztendlich jedoch selbst überlassen.

Insgesamt ist Drive My Car also ein Seherlebnis, das noch einige Zeit nachklingt und durch eine Vielzahl an Deutungsebenen lange im Kopf verharrt. Verdient hat der Film zahlreiche Auszeichnungen eingeheimst und stellt eine volle Empfehlung zum Ausklang des Kinojahres 2021 dar!

Drive My Car ist ab dem 23.12.2021 in ausgewählten Kinos zu sehen!

Unsere Wertung:

 

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