1973 wurde Electra Glide in Blue des Regie-Debütanten James Guercio in Cannes als faschistisch beschimpft. Ob das Krimi-Drama, mit nun fast 50 Jahren Abstand betrachtet, auch noch derart reaktionär wirkt, erfahrt ihr in unserer Besprechung!
Electra Glide in Blue – Handlung
John Wintergreen (Robert Blake) ist Motorradpolizist und patroulliert mit seinem Kollegen Zipper (Billy Green Bush) einen Highway in der Wüste Arizonas. Er vollzieht seinen Dienst gewissenhaft und unbestechlich, auch wenn er seinen Job hasst und viel lieber zur Kriminalpolizei wechseln würde. Sein einziger Lichtblick sind die amourösen Treffen mit seiner Freundin Jolene (Jeannine Riley). Als die beiden Cops eines Tages den alten Willie (Elisha Cook Jr.) aufgreifen, erzählt der verwirrte Mann davon, dass sich sein Freund Frank umgebracht hätte. Sie finden Frank darauf mit Flinte in der Hand und einer Kugel im Kopf. Trotz aller Indizien ist John davon überzeugt, es hier mit einem Mord zu tun zu haben, wittert seine Chance, bei der Kriminalpolizei ein Fuß in die Tür zu bekommen. Eine Überzeugung, die der genervte Coroner (Royal Dano) nicht teilen will.
Allerdings zieht er damit die Aufmerksamkeit des ermittelnden Beamten Harve Pool (Mitchell Ryan) auf sich, der eine Obduktion anordnet. Und tatsächlich stellt sich heraus, dass Frank sich rein physikalisch nicht selbst erschossen haben kann. Wintergreen hat damit seinen ersten Mordfall, denn er wird nun abkommandiert, um für Harve Pool den Fahrer zu geben. Doch der Mordermittler stellt sich als von Selbstzweifeln und Vorurteilen zerfressen heraus. Ihre Ermittlungen führen sie über verschwundenes Geld und versteckte Drogen zu einer Hippie-Kommune und zum Dealer Bob Zemko (Peter Cetera), dem sie aber nicht habhaft werden können. Desillusioniert kehrt John zum Streifendienst zurück…
Der Anti-Easy-Rider
„Love, Peace & Happiness“ galt Anfang der 70er ja schon als gescheitert. Der Vietnam-Krieg entließ hunderte traumatisierte Soldaten zurück nach Hause, die genau wie die Polizei als Handlanger des Systems und sogar Mörder beschimpft wurden. Recht untypisch für einen Film des New Hollywood, nimmt Electra Glide in Blue nun den Blickwinkel eines linientreuen Gesetzeshüters ein, der zudem noch ein Vietnam-Veteran ist. Regisseur James Guercio bezeichnete seinen Debüt-Film als eine Art „Anti-Easy Rider“, was sicherlich als überspitzt und provozierend formuliert anzusehen ist, aber wohl der Hauptgrund dafür war, dass der Film schließlich als faschistisch oder zumindest faschistoid abgestempelt wurde.
Denn inhaltlich gibt das Krimi-Drama nicht wirklich einen Anlass für solch wüste Beschimpfungen. Vielmehr handelt es sich hierbei um die Charakterzeichnung eines getreuen Staatsdieners, der selbst von den faschistoiden und rassistischen Anwandlungen und dem Machtmissbrauch unter seinen Kollegen angewidert ist. Die Krimihandlung ist dabei nur ein Katalysator, durch den der Protagonist Realität und Ideal trennen kann.
Ein integerer Mann
John Wintergreen – schon der Name mit „Winter“ und „Grün“ offenbart Gegensätze – wird als ein klein gewachsener, integerer Mann vorgestellt, dessen größtes Herausstellungsmerkmal, gerade im privaten Bereich mit seiner Freundin, seine unglaubliche Standhaftigkeit ist. Aber auch er ist nicht frei von Fehlern, schon in den Eingangsszenen werden wir Zeuge, wie er sich vor dem Dienst die kleinen Pillchen einwirft, die ihn über den Tag bringen sollen. Danach wird die gesamte Mannschaft in fast militärischen Drill mit Schimpfwörtern angebrüllt, mit der folgenden Anweisung, im Dienst nicht darauf zu reagieren. Das braucht man John Wintergreen nicht zu sagen, denn er verrichtet immer stoisch und korrekt, geradezu pedantisch, seinen Dienst. Er nimmt keine Rücksicht auf den Kollegen aus Los Angeles, der zu schnell die Straße langbraust. Auch kennt er kein Mitleid mit dem LKW-Fahrer, der wie er Vietnam-Veteran ist.
Er ist derjenige, an dem sich die anderen Personen um ihn herum reiben. Sein Kollege Zipper nutzt seine Stellung gerne aus, um Frauen anzumachen oder den ungeliebten Hippies Drogen unterzuschieben. Der Coroner am Tatort will den toten Frank nur schnell „vom Tisch“ haben und hat kein Ohr für Johns Theorien. Auch der Ermittler Detective Pool spannt den Highway-Cop nur mit ein, weil er sich so einen schnellen Erfolg erhofft. Als der sich nicht einstellt, lässt er ihn wieder fallen. Er ist der Idealist in Uniform, der in den eigenen Reihen ob seiner ehernen Pflichterfüllung verachtet und von der Gegenkultur, eigentlich ohne Grund, geschmäht wird. Eigentlich scheint John auf verlorenen Posten, dennoch knickt er nicht ein.
Es läuft nicht wirklich rund
Der Titel Electra Glide in Blue steht für das Dienstfahrzeug der Highway Patrol, der Harley Davidson Electra Glide. An einer Stelle im Film gibt John zu, dass er das Motorrad hasst, gleichbedeutend seinen Job. Er hat den Traum, eine Karriere hinzulegen, etwas zu bewirken. Dies wirkt zwar ein wenig spießig, aber doch ehrlich, sein Charakter dadurch sogar sympathisch. Doch durch die Zusammenarbeit mit Pool muss er einsehen, dass der Traum eigentlich nichts wert ist und sich nur das gleiche Spiel in einer höheren Gehaltsklasse wiederholen würde. Nur die Uniform, die die Projektionsfläche für allerlei Hass ist, unterscheidet sie. Hier setzt der Film am Ende noch einen obendrauf.
Interessant ist, dass der Film sich, genau wie der Detective, so manches Mal verzettelt. Es gibt Handlungsstränge, die im Sande verlaufen, Figuren die auftauchen, um dann einfach wieder zu verschwinden. Das liegt schlicht daran, dass einige Szenen wegen einer Überziehung des Drehplans nicht gedreht werden konnten. Andere Szenen ließ Guercio nachdrehen, so bemerkt man in einer groß angelegten Verfolgungsjagd sehr deutlich, dass man sich nicht mehr in der ebenen Wüste Arizonas, sondern im hügeligen Kalifornien befindet.
Dennoch verzeiht man Electra Glide in Blue diese Unzulänglichkeiten. Für den Genuss des Films, für seine Geschichte und seine Aussage sind sie ehedem nur zweitrangig. Das Drehbuch klebt nahezu durchgängig an dem von Robert Blake verkörperten Idealisten, seine Sichtweise auf die Dinge hält die Handlung zusammen. Genau wie die wunderschönen Bilder des DoP Conrad Hall, der erst 1971 mit einem Oscar für Zwei Banditen ausgezeichnet wurde und später noch zwei für American Beauty (2000) und Road to Perdition (2003, posthum) erhielt. Er fotografierte das Geschehen meist in weiten, langen Einstellungen, nutzt das Panorama des Valley großartig aus.
Ein Dreh mit Tücken
Das Drehbuch von Electra Glide in Blue basierte auf einem wahren Fall über einen ermordeten Polizisten. Die Dreharbeiten entwickelten sich zunehmend chaotisch, da James Guercio schlicht die Erfahrung fehlte. Er war eigentlich Musikproduzent und durch seine Arbeit u.a. mit Chicago bekannt geworden. Nachdem er als Produzent in das Projekt eingestiegen war, setzte er sich auch als Regisseur durch. Doch mit der Organisation der Dreharbeiten in der Wüste zeigte er sich schließlich überfordert. Wenn man den verschiedenen Quellen um ihn herum, u.a. Hauptdarsteller Robert Blake, glauben schenken darf, kümmerte sich eben dieser um die Schauspielführung, während Hall alle Entscheidungen über die Bildgestaltung fällte.
Guercio brachte dafür aber seine Kontakte im Musikgeschäft mit ein, zahlreiche Musiker von Chicago, u.a. Peter Cetera, sind in Nebenrollen und Cameos zu sehen. Außerdem schrieb er auch noch den Score. Auf den Regiestuhl kehrte er danach nur einmal kurz zurück, er sollte mit Steve McQueen dessen letzten Western Ich, Tom Horn (1980) drehen, wurde aber vom Star nach drei Tagen gefeuert. Er war aber als Musikproduzent, u.a. mit Brian Wilson von den Beach Boys, weiterhin sehr erfolgreich.
Robert Blake ist ein ehemaliger Kinderstar aus Die kleinen Strolche aus den 30er-Jahren. Als Charakterdarsteller wurde er dann im Thriller Kaltblütig (1967) nach Truman Capote bekannt. Seine überragende Leistung in Electric Glide in Blue brachte ihn zudem eine Nominierung für den Golden Globe ein. Von 1975-78 war er der Star der Polizei-Serie Baretta, in den 80ern spielte er in drei TV-Filmen den Privatdetektiv Joe Dancer. 2002 wurde er wegen Mordes an seiner Frau angeklagt, jedoch 2005 freigesprochen.
Unser Fazit zu Electra Glide in Blue
Als Krimi-Drama zieht Electra Glide in Blue seine Stärken zum einen aus den starken Schauspielleistungen, denn neben Robert Blake glänzen alte Hasen wie Elisha Cook Jr, Mitchell Ryan und vor allem auch Billy Bush als Blakes Partner, der seinen starken Schlussmonolog selbst geschrieben haben soll. Zum anderen rahmt der meisterliche Conrad Hall die bezaubernde Landschaft des Monument Valley gebührend ein, hält den Zuschauer mit aufregenden Kamerafahrten und langen, lebendigen Einstellungen gebannt am Geschehen. Und auch James Guercios Vorstellung des Films als einen Western, sein Gespür für die richtige Musik und die Darstellung der Menschen der Gegenkultur, die hier nicht zur Karikatur verkommen, hat sicherlich sein Scherflein dazu beigetragen.
Camera Obscura präsentiert Electra Glide in Blue als deutsche HD-Erstveröffentlichung in einem schönen Mediabook. Der Print des Films ist astrein, die Tonspuren sind klar verständlich. Als Extras befinden sich ein Vorwort und ein Audiokommentar von Regisseur James Guercio sowie ein Video-Essay von Mike Siegel auf der Disc. Es ist spannend, die Aussagen der beiden zu vergleichen, da es teils eklatante Abweichungen zwischen den Darstellungen gibt, was Siegel in seinem Essay auch gerne aufgreift. Im Booklet befindet sich zudem ein weiterer Essay zum Film von Prof. Dr. Marcus Stiglegger. Das ist ein Gesamtpaket, dass man nur empfehlen kann.
Das Mediabook von Camera Obscura ist seit dem 28. Mai 2021 im Handel erhältlich!
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