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Rainer Werner Fassbinder und Brigitte Mira umarmen sich in Enfant Terrible glücklich, während El Hedi ben Salem aus der Ferne zuschaut.

Enfant Terrible

Rainer Werner Fassbinder ist nicht nur einer der wichtigsten Regisseure des Neuen Deutschen Films, sondern auch privat eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Für Oskar Roehler ist dies ein klarer Grund, um am 01. Oktober 2020 mit dem Biopic Enfant Terrible das wilde Leben dieser Filmlegende zu präsentieren. Ob ihm dieses Vorhaben gelungen ist, erfahrt ihr hier.

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TitelEnfant Terrible
Jahr2020
LandDeutschland
RegieOskar Roehler
DrehbuchKlaus Richter, Oskar Roehler
GenreBiografie, Drama
DarstellerOliver Masucci, Katja Riemann, Götz Otto, Alexander Scheer, Hary Prinz, Antoine Monot Jr.
Länge134 Minuten
FSKtba
VerleihWeltkino Filmverleih

Darum geht’s in Enfant Terrible

Fassbinders große Reise in die Filmwelt beginnt in einem vergleichsweise kleinen Theater. Dort reißt er mit seiner bestimmenden Persönlichkeit schnell das Ruder an sich. Zwar sind alle von seiner Ausstrahlung fasziniert, doch zu dem Zeitpunkt ahnt niemand, dass sie gerade Teil deutscher Filmgeschichte werden. Ab hier geht es los. Fassbinder zieht Schauspieler und Liebhaber in seinen Bann und beginnt, seinen Traum zu verwirklichen: Als großer Name im selben Atemzug mit Godard, Melville und Co. genannt zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, dreht Fassbinder Filme wie am Fließband und muss sich gegen den Spott der Kritiker durchsetzen. Doch mit der Zeit kommen die Erfolge und mit den Erfolgen die Probleme. Der junge Regisseur, der Alkohol zuvor noch vermieden hat, verfällt eben diesem und springt vom Regen in die Traufe. Kokain, Mescalin, Isolation, Seitensprünge, Schlafmangel. Sein Leben wird zu einer extravaganten Achterbahnfahrt, bei der sich ein Skandal an den nächsten reiht.

Fassbinder (rechts) redet mit seinem Liebhaber Günther Kaufmann (links) in einer Bar, während Fassbinder seine blutige Nase verheilt und eine Zigarette in der Hand hält. Eine Szene aus dem Film Enfant Terrible.
Fassbinder (rechts) im Gespräch mit seinem Liebhaber Günther Kaufmann (links) © Bavaria Filmproduktion

Der Tyrann und der tragische Held

Fassbinder ist nicht nur ein schwieriger, sondern vor allem zwiespältiger Charakter. Anders wäre es ihm auch nicht möglich gewesen, eine Stamm-Crew um sich zu scharen. Doch wie genau sah sein zwiespältiger Charakter aus? Das ist die Frage, die der Film aufwirft und einigermaßen zufriedenstellend beantwortet. Schon von der ersten Szene an ist Fassbinder durch seine Arroganz und einem sehr bestimmenden Ton unsympathisch. Trotzdem fasziniert er seine Mitmenschen. Bei den Filmdrehs steigert es sich sogar. Der Regisseur diktiert seine Crew nicht nur mit eiserner Hand, sondern schikaniert sie, indem er private Details verrät, ihnen Beleidigungen an den Kopf wirft und nicht mal vor physischer Gewalt zurückschreckt. Teilweise geht seine wortwörtliche Tyrannei so weit, dass er Schauspieler zu gefährlichen Stunts zwingt oder seine männlichen Kollegen mit Frauennamen erniedrigt. Diese Entscheidungen trifft er üblicherweise in seinen regelmäßigen Wutausbrüchen, die an Klaus Kinski erinnern.

Hier verpasst es der Film auch etwas, zu verdeutlichen, wieso sein Team trotz der Schikane immer noch jahrelang mit ihm zusammengearbeitet und zusammengelebt hat. Trotzdem kann Fassbinder einem auch leidtun, denn er ist ebenfalls ein tragischer Held. Besonders sein Liebesleben ist geprägt von dieser Tragik. Er fühlt sich missverstanden, da er ein offeneres Verständnis von Beziehungen als die Allgemeinheit hat. Dadurch und durch sein unkontrollierbares Temperament verletzt er die Personen, die er liebt. Enfant Terrible schreckt auch nicht davor zurück, diese Probleme schonungslos darzustellen, um sie nicht versehentlich zu rechtfertigen. Gleichzeitig kriegen wir auch genug Einblicke in die sensible Seite Fassbinders, wodurch der faszinierende Zwiespalt in seinem Charakter gezeigt wird. Fassbinder steht seinem eigenen Glück im Weg und verliert die eigentlich wichtigen Dinge aus den Augen. Der Film zeigt das ziemlich deutlich und mitreißend, da er den beiden Facetten seines Lebens genug Zeit einräumt.

In Enfant Terrible streichelt Fassbinder die Wange seines Liebhabers Armin Meier in ihrer gemeinsamen Wohnung.
Fassbinder und sein Liebhaber Armin Meier in der gemeinsamen Wohnung © Bavaria Filmproduktion

Enfant Terrible – Die wichtigsten Stationen in Fassbinders Leben

Enfant Terrible erzählt seine Geschichte im Prinzip episodenhaft. Während einige der wichtigsten filmischen Stationen seines Lebens behandelt werden, konzentriert man sich besonders stark auf ausgewählte Lebensabschnitte, denen dementsprechend viel Laufzeit geschenkt wird. Bei seiner Produktivität wäre es auch unmöglich, jeden wichtigen Film zu beleuchten. Stattdessen sucht sich Oskar Roehler die Filme aus, die auch privat äußerst wichtig für Fassbinder waren. Dazu zählt beispielsweise Angst Essen Seele auf, da Fassbinder eine komplizierte und tragische Liebesbeziehung mit dem Hauptdarsteller El Hedi ben Salem durchlebt hat. Das ist vielleicht die interessanteste Phase des Films, der sich im Mittelteil beim Drogenkonsum, den Wutausbrüchen und den sexuellen Eskapaden im Kreis dreht. Dafür nimmt er im letzten Drittel noch einmal richtig Fahrt auf, wenn es um die letzte Lebensphase des Regisseurs geht. Erstaunlicherweise erwischt sie einen auch noch kalt, obwohl oder gerade weil man weiß, worauf es hinausläuft.

Während andere Biopics ihre Nebenfiguren häufiger austauschen als Fassbinder seine Zigarettenstummel, sehen wir hier hauptsächlich die gleichen Gesichter. Dadurch kann der Zuschauer auch zu ihnen eine emotionale Bindung aufbauen. Selbst die regelmäßig durchwechselnden Partner werden im Laufe des Films noch aufgegriffen, um nicht beliebig zu werden. Leider gibt es trotzdem sehr austauschbare Stereotypen, deren Existenz jeweils für eine einzelne Szene berechtigt ist. Das wirkt dann teils gar arg konstruiert, wenn man beispielsweise Freddie Mercury in seinem Wembley Outfit auf der Couch sitzen sieht. So möchte man zwar zeigen, dass Fassbinder es geschafft hat, zu den ganz Großen zu gehören und wahrscheinlich auch schon mit Freddie Mercury in seiner München-Phase in Kontakt gekommen ist, aber es fügt sich nicht organisch in die Szene ein, da es zu plakativ und gleichzeitig zu nebensächlich ist.

Der Enfant Terrible Rainer Werner Fassbinder (Oliver Masucci) trifft Andy Warhol (Alexander Scheer). In Sachen extravaganter Kleidung schenken sich die beiden nichts.
Rainer Werner Fassbinder (Oliver Masucci) trifft Andy Warhol (Alexander Scheer) © Bavaria Filmproduktion

Zwischen Hommage und Karikatur

Oskar Roehler wählt einen interessanten Ansatz für sein Biopic. Er möchte sich vor Fassbinders künstlerischen Schaffen verbeugen, indem er sich inszenatorisch seinem Stil annimmt. Was nach einer super Idee klingt, ist leichter gesagt als getan, denn Roehler ist eben kein Fassbinder. Er kopiert inszenatorische Stilmittel von Fassbinder, ohne seine Bildsprache auch ansatzweise zu erreichen. Dadurch ist es lediglich eine eher oberflächliche Hommage, die sich anfangs sogar wie eine Parodie anfühlt. Er übernimmt die leicht gestellten Dialoge, das manchmal bühnenhafte Szenenbild und die Belichtung von Filmen wie Lola. Wären diese Stilmittel eine Musikbox, hätte Fassbinder die zu 60 Prozent aufgedreht, während Roehlers Hand wohl ausgerutscht ist und sie auf mindestens 90 Prozent aufgedreht hat. Das Szenenbild erinnert stellenweise an den Deutschen Expressionismus eines Das Cabinet des Dr. Caligari.

Zum Glück zügelt er sich dann später und setzt die Mittel deutlich dezenter ein. Nur das künstliche Bühnenbild bleibt, doch das passt auch gut in die Stimmung des Films. Eine Person bleibt jedoch bis zum Schluss eine schwer ertragbare Karikatur. Kurt Raab (gespielt von Hary Prinz), bei dem Overacting noch harmlos ausgedrückt ist. Raab kann in Realität noch so eine überzeichnete Persönlichkeit gewesen sein, das Schauspiel von Hary Prinz ist einfach zu viel des Guten und reißt einen stark aus dem Film heraus. Bei den anderen Darsteller halten sich die bekannten Charakterzüge ihrer Rollen im subtileren Bereich. Das ist natürlich besonders bei unserem Protagonisten wichtig. Oliver Masucci verkörpert oder besser gesagt, vereinnahmt Fassbinder. Dadurch bewegt er sich auf einer Grenze zum Übertriebenen, doch überschreitet sie nicht. Er ist bekannterweise ein talentierter Charakterdarsteller und man kauft ihm die Rolle vom Bierbauch bis hin zu den Haarspitzen ab.

Rainer Werner Fassbinder und sein "Klan" sitzen gemeinsam in der Küche und besprechen ihren nächsten Film. Die Kulisse ist wie in einem Theaterstück aufgemalt.
Rainer Werner Fassbinder und sein „Klan“ besprechen ihren nächsten Film. © Bavaria Filmproduktion

Unser Fazit zu Enfant Terrible

Enfant Terrible bietet einen faszinierenden Einblick in das kontroverse Leben von Rainer Werner Fassbinder. Es ist schwer, etwas Neues zu zeigen, wenn dekonstruktiver Drogenkonsum oder sexuelle Eskapaden schon in vielen anderen Biopics, wie Walk The Line oder Bohemian Rhapsody rauf und runter gespielt werden. Auch wenn man ihm seine Laufzeit dadurch stark anmerkt, wird die Tragik, die mit diesem Lebensstil einhergeht, mitreißend herübergebracht. Zudem bekommt man noch mal andere Blickwinkel auf die Filme Fassbinders und besonders auf die Darstellung der Ehe in diesen Werken. In seiner Inszenierung trifft Roehler zwar nicht immer den richtigen Ton, doch es ergibt sich ein schonungsloses, interessantes, sowie durchaus sperriges Biopic. Somit ist es fast ausschließlich für diejenigen eine Empfehlung, die wirklich Interesse an dieser Person haben. Dafür bleibt der Film dann aber auch im Kopf hängen und übermittelt Fassbinders Lebensgefühl besser als es jede Doku könnte.

Enfant Terrible feiert am 24. September 2020 auf dem Filmfest Hamburg Premiere und startet ab dem 01. Oktober 2020 regulär in den deutschen Kinos!

Unsere Wertung:

 

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