Wong Kar-Wai inszeniert abermals einen melancholischen Strudel aus Begierde, Leidenschaft, Einsamkeit, Sex und Liebe. 2046 ist eine bereits verflossene Gegenwart und eine noch bevorstehende Zukunft. Auf welche Weise bestimmen Erinnerungen, wie eine Person ihr Leben lebt? Alles einsteigen, denn hier erfahrt ihr, ob sich das Lösen einer Fahrkarte wirklich lohnt!
Titel | 2046 |
Jahr | 2004 |
Land | Germany |
Regie | Wong Kar-wai |
Genres | Drama, Science Fiction, Liebesfilm |
Darsteller | Tony Leung Chiu-wai, Gong Li, Faye Wong, 木村拓哉, 章子怡, 劉嘉玲, 張震, 董潔, Maggie Cheung, Thongchai McIntyre, Wang Sum, Siu Ping-lam, 康華, Farini Cheung Yui-Ling, Sabrina Cheung, Jiang Xinyu, 江道海, Alice Lee, Fei-lin Miao, 吳廷燁, Ben Yuen Foo-Wah, Siu-Lung Ching, Li Hsiao-Ming, 張國雄 |
Länge | 123 Minuten |
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Die Handlung von 2046
Ein Zug im Jahr 2046. Alle, die einsteigen, haben die gleiche Absicht: verlorene Erinnerungen wiedererlangen. Aber niemand, der/die dort verweilte, kam bisher zurück. Der Protagonist des Buches macht sich jedoch auf den Weg des Wandels, hinaus aus 2046, das eher eine Ortsangabe darstellt, und verliebt sich während der Reise in eine Androidin.
Chow, der Autor dieser Sci-Fi-Geschichte, lebt im Hongkong der 60er Jahre. Beim Schreiben verarbeitet er die Begegnungen mehrerer Frauen. Unterdessen wünscht sich Chow mehr als oberflächliche Plänkeleien, kann sich hingegen nie vollends binden, nachdem die Beziehung zu der Liebe seines Lebens gescheitert war. Die Erinnerungen sind sein einziger Trost. Je stärker er versucht zu vergessen, desto stärker wird er von der Nostalgie/Vergangenheit heimgesucht. Ist die Zeit in 2046 stehen geblieben?
In the Mood for Love
Vergleichbar mit Chungking Express und dem Nachfolgewerk Fallen Angels wird 2046 nicht als direkte Fortsetzung angesehen. Mit dem gleichen Protagonisten aus In the Mood for Love kann der Film aber als solche verstanden werden. Thematisch passend bezeichnete der Regisseur beide Projekte als „zwei Kapitel eines Buches“, denn ursprünglich unabhängig zueinander stehend, kristallisierten sich Berührungspunkte heraus, sodass nicht nur viele Einstellungen In the Mood for Love nachempfunden wurden, sondern sogar ganze Szenen entnommen wurden. Viele Kleinigkeiten bilden Verknüpfungen, z.B. eine Fabel um Geheimnisse, gleichwohl wird Liebe teilweise anders, deutlich impulsiver interpretiert. Die Kenntnis von Kar-Wais vorherigem Film wird für das gänzliche Verständnis von Chows Motivation vorausgesetzt, obwohl dies nicht unbedingt erforderlich ist.
2046 – der Ausbruch aus dem eigenen Gefängnis
Chow sagt, dass Leute sich wundern würden, dass er Science-Fiction schreibe. Für ihn wäre 2046 nur ein Hotelzimmer. Die Zahlensymbolik ist anfangs nichtsdestotrotz irritierend. Warum ist das wichtig? Weil der Titel und dessen konträre Bedeutungen – Vergangenheit, Gegenwart, Zeit, Raum – sowie einhergehende Verwirrung die non-lineare Erzählstruktur perfekt widerspiegelt.
Romanadaption im Film und Filmadaption im Roman
Bei Kar-Wai sind Emotionen alles. Die Struktur ordnet sich unter. Da es sich um einen fragmentartigen Film handelt, lesen sich die Bruchstücke ähnlich einiger Kurzgeschichten. Handlungsstränge, die tief ineinander verwoben bzw. umschlungen präsentiert werden. 2046 springt munter, fast unkoordiniert zwischen den Zeit- und Realitätsebenen umher. Es wirkt, als wenn der Regisseur die verschiedenen Schwerpunkte nach Gefühl setzt, traumähnlich erforscht, also abstrakt mit Ebenen, die ineinander verschmelzen. Auf wundersame Weise passt am Ende alles stimmig zusammen, 2046 ist dennoch anstrengend. Ja, das negativ konnotierte Wort lässt keine zwei Meinungen über den vorausgesetzten Fokus des Publikums zu, sodass die ungewohnte Erzählweise erst bei wiederholtem Ansehen an Verständnis gewinnt.
Die Eindrücke des, im wahrsten Sinne des Wortes, bunten Gewirrs lassen 2046 bei der ersten Sichtung überkompliziert wirken, andererseits machen diese kleinen nahtlosen Vignetten auch den Charme des Filmes aus. Die Figuren können ebenso frustrieren, werden sie schließlich nicht gründlich eingeführt, sind kühler, leerer als üblich bei Kar-Wai. Motive sind mitunter schwer auszumachen. So leidet die Charakterentwicklung.
Zäher Alltag
Demgegenüber wirken die Charaktere dadurch fast realer, nicht nur auf ein, zwei Besonderheiten heruntergebrochen. Wie im echten Leben passieren Dinge aus dem Affekt, sind nicht immer zu erklären. So inszeniert Kar-Wai den schnöden Alltag als melancholisches Drama um die Vergeudung von Zeit.
Vergeudet? Nein! Langatmig? Ja, besonders das Techtelmechtel mit Bai Ling. Dementsprechend ist das Ende des zweiten Aktes besonders zäh, Richtung Finale fängt 2046 sich jedoch neuerlich.
Loslassen im Zug ohne Wiederkehr
2046 versucht gar nicht erst der Liebe auf den Grund zu gehen, Erklärungen zu suchen, wo keine sind, sondern stellt sie in einigen Facetten dar, erforscht Konsequenzen, nicht Ursprünge. Passend zur Darstellung des chaotischen Alltags und der diffusen Struktur, verläuft somit auch das übergeordnete Thema teilweise ins Nichts, kommt und geht wellenartig. Derweil schafft es 2046, Mitgefühl für die Charaktere zu erzeugen, welche mit ihrer fehlenden Entwicklung im Grunde gar nicht darauf ausgelegt sind. Monologe/Dialoge transportieren die Leiden, Mimiken/Gestiken verstärken die Eindrücke durch ein Thema, das völlig authentisch auch mal keine Höhen und Tiefen hat. „Manches kann man nun einmal nicht erzwingen.“
Anti-Liebesfilm, Antithese
Oftmals sind Menschen in ihrer Vergangenheit gefangen, die das Einlassen auf eine neue Liebe durchweg torpediert. Letztlich ist 2046 damit ein Anti-Liebesfilm, weshalb der alternative deutsche Titel „2046 – Der ultimative Liebesfilm“ die eigentlich Aussage verfehlt.
Der Film selbst ist fast schon eine Antithese zu dem Spruch: „Die Zeit bleibt stehen, wenn sich jemand verliebt.“ Kar-Wai veranschaulicht die außergewöhnliche Dynamik der Romantik und ihre Veränderungen unserer Zeit- und Raumwahrnehmung.
Tanzende Bilder
Die Kameraarbeit kann man am besten als einen rauschartigen Sog aus Farben bezeichnen: Blutrot, Meeresgrün und Gelb erschaffen durch Lichtsetzung oder den Interieurs eine bizarre Atmosphäre, lassen jeden Shot in schönen warmen/kalten Tönen erstrahlen.
Passend zum wilden „Tanz“ der Struktur/des Inhalts und den stimmigen Musikstücken ist 2046 symphonisch fotografiert – eine poetische Gesamtkomposition. Oft sind die Blickwinkel limitiert, die Außenwelt wird gewissermaßen ausgeschlossen. Paradoxerweise wird so allerdings auf Gefühlsebene das gesamte Spektrum zur Geltung gebracht. Wie in Star Wars sieht man weniger mit den Augen und fühlt Geschehnisse mehr.
Erforsche deine Gefühle
Der Film kreiert kontinuierlich Déjà-vu-Momente, wenn schon gesehene Bilder ähnlich oder in einem anderen Kontext wiederholt werden. Die Bilder lassen einen so kurzerhand Gefühle durchlaufen, ohne das Gesehene verstanden zu haben, Auflösungen folgen erst später.
Die Bildästhetik hypnotisiert, entführt in traumverlorene Montagen. Vor allem die Fusion aus dem Zusammenlaufen von Historie und Sci-Fi begeistert und sorgt für Abwechslung. Der Zug in/von 2046 schnellt durch ein animiertes futuristisches Schienennetz und liefert dabei atemberaubende Bilder, welche an Welt am Draht erinnern, hingegen am ehesten zu Blade Runner passen, mit jener Tristesse der endlosen Fahrt.
Unser Fazit zu 2046
Vergangenheit, Gegenwart , Zukunft – ein Reigen der Poetik, Bilder, Gefühle. Von den 60ern bis zu einem Cyber-Zug. Wie auch immer man den Film betrachtet – als prägnante Darstellung über unsere schnelllebige Welt, als Gegenüberstellung von Realität, Erinnerungen, Fiktion, oder einfach als Fortführung der Geschichte aus In the Mood for Love – Kar-Wai zeigt mit 2046 erneut, dass er ein Meister im Zusammenbringen aller filmischen Ingredienzien ist.
Typisch „Kar-Wai“ in Häppchen präsentiert, schaut man bei 2046 weniger dem Handeln zu, sondern dem Fühlen. Gewöhnlich sind innere Turbulenzen verborgen vor der Außenwelt, 2046 schafft es aber, aus einer Mixtur von vielschichtigen Momenten, grandiosen Bildern und unvergesslicher Soundkulisse, diese zu visualisieren und greifbar zu machen.
2046 erschien am 13.10.22 in einer Special Edition mit 4K-UHD, Blu-ray und DVD!
Unsere Wertung:
© Plaion Pictures