Mein Mann ist eine Kuh, ein kleines Kind oder doch eine alte Frau? Der Berlinale-Film Alle die du bist verbindet Liebesfilm mit magischen Elementen. Geht diese ungewöhnliche Mischung auf?
Titel | Alle die Du bist |
Jahr | 2024 |
Land | Germany |
Regie | Michael Fetter Nathansky |
Genres | Drama |
Darsteller | Aenne Schwarz, Carlo Ljubek, Youness Aabbaz, Sara Fazilat, Naila Schuberth, Sammy Schrein, Jule Nebel-Linnenbaum, Moritz Klaus, Alexandra Huber, Nadja Zwanziger, Dagmar Sachse, David Hürten, Frank Stüdgens, Sascha Mahlberg, Peter Brachschoss |
Länge | 108 Minuten |
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Die Handlung von Alle die du bist
Nadine (Aenne Schwarz) arbeitet in einer Fabrik, der die rheinische Braunkohle-Industrie unterstützt. Unter ihren Kollegen und Kolleginnen steigt sie schnell zum Sprachrohr für die Geschäftsleitung auf, dabei hat sie als alleinerziehende Mutter alle Hände voll zu tun, den Lebensunterhalt zu sichern. Wie gut, dass sie auf ihrer Arbeit Paul (Carlo Ljubek) kennenlernt und sich ein Leben mit ihm aufbaut. Was vollkommen normal klingt, ist es aber nicht. Denn für Nadine erscheint Paul in immer neuen Gestalten, die ihr zeigen, was Paul für sie bedeutet. Wie stark ist diese Liebe und bleibt sie über die Jahre bestehen, wenn mal der eine und mal die andere nicht mehr weiter weiß?
Eine Frau im Spannungsfeld
Zwei Dinge in Alle die du bist sind höchst vergänglich: Die Kohleindustrie und die Liebe. Beide bedrohen Nadine und Paul, die innerhalb dieser Industrie arbeiten und auch privat zueinander finden.
Es ist vor allem Nadines Perspektive, aus der heraus Regisseur und Autor Michael Fetter Nathansky seine Geschichte erzählt. Sie ist diejenige, die an allen Fronten gleichzeitig gefordert wird. Sie muss ein Kind (später zwei) großziehen, ihren Mann Paul, der unter Panikattacken leidet, unterstützen und für ihre Kollegen und Kolleginnen einstehen.
So durchdringt ihr Job auch ihr Privatleben bis in die Abendstunden. Denn eine Massenentlassung steht im Raum und Nadine wird die undankbare Rolle zugeschoben, diese mit abzuwickeln und die Teammitglieder darauf vorzubereiten. Hinter dieser Krise steht der Kohlekonzern Rhein Strom, Teil einer niedergehenden Industrie, der um Einsparungen bemüht ist.
Alle die du bist wird durch seine Figuren aus dem Arbeitermilieu auch zum Sozialdrama. Ein Sozialdrama, das allerdings mehr abbildet statt kritisch kommentiert und damit weit vom anklagenden Gestus eines Sozialkritikers wie Ken Loach entfernt ist (z.B. Ich, Daniel Blake). Hier wie dort zeigt sich aber, dass der Zusammenhalt unter den Arbeitern das höchste Gut ist und tatsächlich etwas bewegen kann.
Größere Zusammenhänge beleuchtet der Film allerdings nicht, so ist es vor allem Geschichte einer Frau im Spannungsfeld.
Authentisch und trotzdem magisch
Neben dem Sozialdrama-Aspekt ist Alle die du bist vor allem ein Film über die Liebe und die Beziehung von Paul und Nadine. Was gibt Paul Nadine und was bekommt Nadine von Paul? Nathansky findet hier eine großartige Darstellungsweise, indem Paul immer wieder von anderen Darsteller:innen verkörpert wird. Was in der grandios immersiven Eröffnung des Films noch mächtig irritiert, ist alles andere als willkürlich.
Denn so wird für das Publikum visualisiert, welche Facetten Nadine in Paul sieht. Mal Facetten, bei denen sie als der starke Part unterstützen muss. Dann wiederum Facetten, bei denen Nadine Kraft und Anteilnahme von Paul für sich selbst zurückbekommt. So erscheint Paul als unerfahrener, überforderter kleiner Junge, verwandelt sich in den Augen von Nadine aber auch in die rührend-feinfühlige Oma, die bedingungslos unterstützt.
Es ist generell eine große Stärke von Alle die du bist, dass diese Verwandlungen, die jeder Szene schon eine Interpretationsmöglichkeit geben, nie kommentiert oder eingeordnet werden. Dabei inszeniert Nathansky so naturalistisch-echt, wie es fast nur geht. Dazu gehört, dass alle Beteiligten kein glatt geschliffenes Hochdeutsch sprechen (man denke an den häufigen Vorwurf der gestelzten Theater-Dialoge im deutschen Kino). Stattdessen wird hier oft mit so starker dialektaler Färbung gesprochen, dass genau hingehört werden muss. Das wirkt echt, nicht aufbereitet für ein Publikum.
Am Ende ist Alle die du bist keine leichte Unterhaltung. Dafür steckt in den Bildern, Stimmungen und Ereignissen zu viel typisch deutsche Tristesse. Die Dramaturgie versandet oft genug, mäandert durch eingeschobene Rückblicke umher und steuert auch nicht auf ein Ende hin, was einen mit einer fertig gepackten Botschaft und Erkenntnis entlässt. Dieses Wissen hilft vorab als kleine Anweisung, um besser wertzuschätzen, was Nathanskys zweite Regiearbeit für ein kompromisslos-eigeständiges Werk ist.
Unser Fazit zu Alle die du bist
So authentisch, so kraftvoll, so aus dem Leben: Alle die du bist zeigt auf direkte, unverstellte und schauspielerisch mitreißende Art und Weise sowohl das Leben und den Zusammenhalt in der Tagebau-Industrie als auch das komplexe und rätselhafte Wirken der Liebe. Garniert mit einem magischen Kniff, der zwar mit der Zeit an Faszination und Schlagkraft verliert, aber dennoch frisch und anregend für das Genre des Liebesfilms wirkt.
Michael Fetter Nathanskys Film ist zwar nicht über die gesamte Spielzeit gleichermaßen unterhaltsam und auch die kaum vorhandenen Zugeständnisse an ein Massenpublikum mögen etwas abschrecken. Aber es sind gerade diese Ecken und Kanten, die Alle die du bist aus dem Einheitsbrei abheben und ihm eine eigene Identität verleihen.
Unsere Wertung:
Alle die du bist erscheint am 30. Mai offiziell in den deutschen Kinos.
© Port au Prince Pictures