Mit Der lange Tag der Rache legt Explosive Media einmal mehr einen klassischen Italowestern in einem noblen Mediabook vor. Ein Film mit etlichen Härten und vielen guten Ideen. Ob er auch heute noch begeistern kann, erfahrt Ihr hier.
Titel | Angel Face – Der lange Tag der Rache |
Jahr | 1967 |
Land | Italy |
Regie | Florestano Vancini |
Genres | Drama, Western |
Darsteller | Giuliano Gemma, Francisco Rabal, Conrado San Martín, Gabriella Giorgelli, Manuel Muñiz, Nieves Navarro, Franco Cobianchi, Pedro «Pedrucho» Basauri, Carlos Otero |
Länge | 90 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: GRJNGO Amazon Channel |
Die Handlung von Der lange Tag der Rache
Ted Barnett (Giuliano Gemma) sitzt in Der lange Tag der Rache seit drei Jahren unschuldig in einem Strafgefangenenlager. Er soll seinen Vater ermordet haben. Nachdem ihm die Flucht gelungen ist, macht er sich auf die Suche nach den wahren Schuldigen. Seine erste Station führt ihn zu dem ehemaligen Barbier Gomez (Jésus Puche), dessen falsche Aussage maßgeblich an seiner Verurteilung schuld gewesen war. Nach einer letzten Rasur segnet der Gute genretypisch das Zeitliche, leider ohne Ted verraten zu haben, wer denn nun seinen alten Herrn ins Jenseits befördert hatte.
Doch allzu lange muss er nicht rätseln. Schließlich ist der machtgierige Sheriff Douglas (Francisco Rabal) nur allzu bereit, dem Helden, während er ihn mit einem Revolver bedroht, den Mord zu gestehen. Dass er nach dieser Tat Ted aus dem Bett seiner Geliebten Dolly (Nieves Navarro) heraus verhaftet hatte, kam ihm damals auch recht. Schließlich fand die Braut an der Seite des Sheriffs eine breite Brust zum Anlehnen. Das freimütige Geständnis bekommt Douglas indes nicht gut, und Ted kommt allmählich der ganzen Tragweite des Komplotts auf die Spur. Die Gauner, angeführt von dem Großgrundbesitzer Cobb (Conrado San Martín) hatten es auf die von Teds Vater gegründete Eisenbahn abgesehen, mit der sie nun einen einträglichen Schmuggel von Waffen und Sklaven organisieren. Ted setzt seinen Rachefeldzug fort, unterstützt von dem Zahnklempner Dr. Pajarito (Pajarito aka Manuel Muñiz) und dessen Tochter Dulcie (Gabriella Giorgelli).
Ein Start mit Knalleffekt
Schon die Anfangssequenz von Der lange Tag der Rache gibt die Tonlage dieses Italowesterns vor. Man sieht einen uniformierten Wachsoldaten in ein Horn stoßen. Es folgt eine Explosion. Eine riesige Staubwolke erhebt sich, über die sich die ersten Credits mit dem Namen des Hauptdarstellers legen: Guiliano Gemma, schon damals ein Star des Genres. Sein Name erscheint gleichsam aus einem mystischen Nebel der Zerstörung heraus. Gleichzeitig ertönt Trompetenmusik, die an das klassische Deguello, den Todesmarsch aus Rio Bravo erinnert. Ein in Italowestern gern und oft benutztes Motiv – zumindest bei Filmen der musikalisch besseren Kategorie. Schon hier wird mit einfachsten Mitteln klar, dass unser Held nicht viel Federlesen machen wird.
Als sich der Staub senkt, sieht man die Strafgefangenen, die hier im Steinbruch Fronarbeit leisten. Ihr Leid wird mit schonungslosen Bildern eingefangen, ihre schleppenden Bewegungen verdeutlichen vielleicht etwas plakativ die Schwere ihres Loses. Eine der Wärter zeigt sich besonders sadistisch: „Das Wasser ist für die Pferde, nicht für Euch“, sagt er. Einer der Häftlinge ist an einen Pfahl gebunden. Dass er noch lebt, merkt man erst an seiner Reaktion, als ihm der Wachsoldat einen Peitschenhieb versetzt. Die von den Ketten an den Beinen der Gefangenen verursachten Wunden in Großaufnahme runden das Szenario gelungen ab.
Der Held lässt sich rasieren
Da wirkt der gefangene Jüngling, der mit nacktem Oberkörper und kurzer Hose eher einem homoerotisch angehauchtem Sandalenfilm entsprungen sein könnte, etwas deplatziert. Doch was solls. Er ist jedenfalls der Partner Teds, der ihm bei seinem Ausbruch hilft. Der geht recht spektakulär mit Hilfe einer Kanone von statten. Und während den Jüngling auf der Flucht zu Pferde eine Kugel niederstreckt, lässt das den Helden nur ganz kurz innehalten, bevor er sich denn endgültig absetzt. Bemerkenswert an dieser Sequenz ist vor allem, dass Gemma dem Zuschauenden hier nur den Rücken zuwendet, sein Gesicht ist nicht zu erkennen.
Schließlich ist dies ja nicht das Gesicht, dass die Fans von Angelface – so ein alternativer Titel von Der lange Tag der Rache – zu sehen erwarten. Mit langem Haar und struppigem Bart ähnelt er einem Wurzelsepp aber nicht dem Strahlemann, als den man ihn kennt. Sein Antlitz sieht man erst, als Ted den ehemaligen Barbier aufsucht, von dem er nicht nur Auskünfte erhofft, sondern eben auch eine Rasur.
Wobei auch hier wieder ein genretypisches Motiv gut in Szene gesetzt ist: Eigentlich möchte der Schurke ihm ja am liebsten die Gurgel durchschneiden, traut sich aber nicht. Und der obercoole Held, ganz im Bewusstsein sein Überlegenheit, lässt ihn seelenruhig das Messer ansetzen. „Nanu, woran denkst Du, Gomez?“ fragt Ted süffisant provozierend. „Du musst nur das Messer etwas tiefer ansetzen.“ Und die Kamera fährt ganz dicht ran an das Rasiermesser. Bis Gomez schließlich doch etwas Mut fasst. Doch wozu hat man einen Revolver unter dem Friseurumhang…
Der lange Tag der Rache mit politischer Dimension
Zwischen dieser ersten Racheszene und der starken Anfangssequenz wird uns der Oberschurke Cobb in schnörkelloser Grausamkeit präsentiert. Er sucht in einem Dorf zwei entlaufene Sklaven und droht, alle Einwohner an die Wand zu stellen, wenn sie die beiden nicht ausliefern. Einer wird weich und verrät die Sklaven, was weder ihm noch den Geflüchteten gut bekommt. Die gesamte Sequenz war in der ursprünglichen deutschen Kinofassung nicht enthalten, weshalb sie im Mediabook im untertitelten Original vorliegt. Der deutsche Verleiher hatte seinerzeit kräftig die Schere angesetzt. Leider fielen auch in Der lange Tag der Rache dabei vor allem Szenen weg, die eine politische Dimension des Filmes andeuteten. So wurde aus dem skrupellosen Machtmensch, der eine korrupte Oberschicht um den Finger wickelt, ein geldgieriger Bandenchef.
Inszenatorisch hat der Film von Florestano Vancini einiges zu bieten. Schon in der Anfangssequenz mit einer minutiös ausbalancierten Parallelmontage zwischen dem in der Zelle wartenden Ted und seinem Gehilfen, der die Kanone für den Schuss vorbereitet. Untermalt von einem die Spannung gelungen steigernden Score mit hart angeschlagenen Gitarrensaiten. Wenig später gibt es eine für den Italowestern ungewöhnliche, knapp zweiminütige Plansequenz. Ted wartet auf der Kuppe eines Berges auf vier Verfolger, die im Halbkreis zunächst in die eine, dann in die andere Richtung versuchen, um den Berg herumzureiten. Seelenruhig legt Ted drei von ihnen einen nach dem anderen um, die Kamera schwenkt dabei die Reiter verfolgend von links nach rechts.
Ein Stern für alle Fälle
Einen schönen Cut dagegen gibt es im Anschluss an Teds Konfrontation mit seiner Ex Dolly. „Ich muss mit Douglas reden, unter vier Augen“, sagt Ted zu ihr. Dann Schnitt auf einige Särge, die gerade über die Straße getragen werden – und ein paar von Teds Opfern enthalten. Man ahnt, was Ted unter einem Vier-Augen-Gespräch versteht. Auch der fiese Sheriff Douglas wird bei seinem ersten Auftritt in Der lange Tag der Rache gleich treffend porträtiert. Nutzt er seinen Stern zunächst, um seine Fingernägel zu reinigen, wirft er ihn kurz darauf wie einen Shuriken und spießt damit ein Insekt auf. Ein übler Bursche, der bestimmt keine Katze rettet.
Trotz aller Härten gibt es lustige Momente. Verantwortlich dafür ist der Komiker Manuel Muñiz, der hier unter seinem Künstlernamen Pajarito firmiert, der erstaunlicherweise auch sein Rollenname ist. Als Kurpfuscher sorgt er mit seiner Tochter Dulcie für ein paar entspannende Momente in dem ansonsten harten Stoff, leider auch mit der obligatorischen Saloonprügelei.
Regisseur Vancini reizt das Genre aus, und bewegt sich darin wie auf vertrautem Terrain. Was ungewöhnlich ist, denn Der lange Tag der Rache ist sein einziger Ausflug in den Italowestern. Vom Dokumentarfilm kommend ist er am ehesten bekannt für einige politisch ambitionierte Filme wie Die Ermordung Matteottis oder Gewalt – die fünfte Macht im Staat. Von Damiano Damiani übernahm er in der zweiten Staffel das Zepter bei der erfolgreichen TV-Serie Allein gegen die Mafia.
Hochkarätige Stars im Ensemble
Hauptdarsteller Guiliano Gemma war einer der meist beschäftigten Schauspieler im italienischen Genrekino der 60er bis 80er Jahre. Ursprünglich Stuntman setzt er seine ausgeprägten akrobatischen Fähigkeiten auch hier ein, etwa wenn er sich von einem fahrenden Zug mitziehen lässt. Erste Sporen erntete er im Sandalenfilm, auch in der beliebten Angelique-Reihe. Doch der Durchbruch gelang ihm im Western mit der Rolle des Ringo in zwei äußerst erfolgreichen Streifen. Sein gutes Aussehen trug dazu bei, dass auch seine Westernrollen eher glatte, noble Charaktere waren. Seine darstellerischen Fähigkeiten konnte er indes später in Filmen wie Die Tatarenwüste von 1976 unter Beweis stellen. Er starb 2013 mit 75 Jahren an den Folgen eines Autounfalls.
Nicht erst beweisen musste sich der Darsteller des sadistischen Sheriffs Douglas. Francisco (Paco) Rabal gehörte zur ersten Garde spanischer Schauspieler, filmte mehrmals mit Luis Buñuel und Carlos Saura. Er war sich aber auch nicht zu schade, regelmäßig in Genrefilmen aufzutreten. So kann man ihn etwa auch in der verunglückten Karl-May-Verfilmung Das Vermächtnis des Inka von 1966 sehen. Mit Gemma stand er erneut in Die Tatarenwüste vor der Kamera. In Der lange Tag der Rache gibt er seinem Douglas ein außerordentlich bösartiges Profil als sadistischer Machtmensch.
Unser Fazit zu Der lange Tag der Rache
Florestano Vancinis Ausflug in den Italowestern ist ein außerordentlich gelungener Genrebeitrag, der sicher zu den besten Vertretern seiner Art gehört, nach den Meisterwerken von Leone oder Corbucci. Der Film bietet einige tolle Regieeinfälle, die nötige Langsamkeit in den richtigen Momenten, das nötige Tempo in den Actionszenen. Er zeichnet sich durch eine für Gemma-Western eher untypische Härte aus. Hinzu kommt ein wunderbar-typischer Score von Armando Trovaioli, der eigentlich auch in dem Genre nicht gerade zu Hause war. Umso bemerkenswerter, dass seine Musik alles enthält, was man sich von einem Italowestern wünscht: Düstere Trompetenklänge, scharf angeschlagene Gitarrensaiten, dumpfe Trommeln. Das Bonusmaterial des Mediabooks enthält neben einem deutschsprachigen Audiokommentar auch die um 20 Minuten gekürzte Kinoversion und ein 30-minütiges Interview mit Nieves Navarro. Das kommt allerdings etwas zäh daher, da sich die Gute nur mühsam interessante Anekdoten aus der Nase ziehen lässt. Alles in allem aber ein Muss für Genrefans.
Der lange Tag der Rache ist als Mediabook mit Blu-ray und DVD am 8. Dezember 2022 erschienen.
Unsere Wertung:
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