Ein SciFi-Film mit hohem Drama-Anteil? Oder ein Drama im Science-Fiction-Gewand? Auf jeden Fall entwickelt Mike Cahills philosophische Independent-Perle Another Earth von Beginn an einen faszinierenden Sog, dem sich der Zuschauer nur schwer entziehen kann.
Titel | Another Earth |
Jahr | 2011 |
Land | United States of America |
Regie | Mike Cahill |
Genres | Drama, Science Fiction |
Darsteller | Brit Marling, William Mapother, Matthew-Lee Erlbach, Meggan Lennon, AJ Diana, Kumar Pallana, Bruce Colbert, Paul S. Mezey, Ana Valle, Jeffrey Goldenberg, Joseph A. Bove, Jordan Baker, Flint Beverage, DJ Flava, Robin Lord Taylor, Rupert Reid, Natalie Carter, Richard Berendzen, Shannon Maliff, Stephanie Le Blanc, Jasmine Andrade, Kara Tweedie, Ana Cruz Kayne, Yuval Segal, Diane Ciesla, Robert Phillips, Hollyce Phillips, Luis Vega, Rich Habersham, Jennifer Jaramillo Valkana, Ari Gold, Steve Giammaria, Rebecca Price |
Länge | 92 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Disney Plus Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload, Freenet meinVOD |
Inhalt
Die angehende Astrophysikerin Rhoda (Brit Marling) verursacht einen Unfall, bei dem die Familie des Komponisten John Burroughs (William Mapother) getötet wird. Getrieben von Schuldgefühlen sucht sie nach Verbüßung ihrer Haftstrafe Kontakt zu dem Mann, dessen Leben sie für immer zerstört hat. Verbunden durch die tragische Vergangenheit nähern sich beide einander an. Doch wie wäre es in einer anderen Welt ein neues Leben zu beginnen, das frei von Schuld und Trauer ist? Die Beantwortung dieser Frage scheint plötzlich greifbar, als sich ein mysteriöser neuer Planet am Firmament als exakte Kopie unserer Erde und ihrer Bewohner herausstellt. Ist diese Entdeckung ihre Chance auf Erlösung und Vergebung?
Faszinierend und hypnotisch
Elektronische Beats begleiten den Beginn des Films. Wir sehen Aufnahmen des Gasriesen Jupiter, die zu den Klängen der Musik in rascher Abfolge zum Leben erweckt werden. Aus dem Off erzählt uns Rhoda Williams, dass sie gerade am renommierten Massachusetts Institute of Technology angenommen wurde. Ein Grund zum Feiern. Natürlich.
Es ist eine Einstellung, die geradezu hypnotisch wirkt. Sofort wird der Zuschauer hineingezogen und kann sich diesem faszinierenden Sog im Verlauf des Films nicht mehr entziehen. Gebannt betrachten wir simple Szenen, in denen Rhoda schlicht am Pier spazieren geht. Sie werden untermalt von Piano- oder Cellostücken, während im Hintergrund die zweite Erde Stück für Stück näher rückt. Eines kalten Winterabends entkleidet sich Rhoda, legt sich, vielleicht zum Sterben, in den Schnee und schaut, halb ängstlich, halb sehnsüchtig, hinauf zu dem neuen Himmelskörper am Firmament. Wir wagen es dabei kaum zu blinzeln und versuchen, die Hintergründe des Gesehenen zu verarbeiten und zu verstehen.
Wo bitte gibt’s hier die Weltraumschlachten?
Earth 2, mysteriöse Parallelwelten…wer mit der Erwartungshaltung eines klassischen Science-Fiction-Films an Another Earth herangeht, kann zweifelsohne nur enttäuscht werden. Raumschiffe, Laserkanonen und Alieninvasionen sucht man hier vergeblich. Und so können wir die einleitende Frage dieses Beitrages an dieser Stelle wohl ziemlich eindeutig beantworten: Another Earth ist allenfalls im weitesten Sinne ein Science-Fiction-Film, weist allerdings nur in seiner Prämisse Parallelen zu diesem Genre auf.
Der Film ist vielmehr ein emotionales Drama über Schuld und Sühne sowie eine philosophische Parabel über die Notwendigkeit von Selbstreflexion und -erkenntnis. Das Motiv wird dabei geradezu auf eine Meta-Ebene gehoben, wenn John mit Rhoda über das berühmte Höhlengleichnis aus der antiken griechischen Philosophie spricht und ihr damit zu erklären gedenkt, weshalb er kein Interesse daran hat, die neue Erde zu bereisen.
Another Earth und der steinige Weg zur Erkenntnis
An dieser Stelle möchte ich den Leser freilich nicht mit einer genauen Analyse des Gleichnisses abschrecken (zumal ich auch nicht behaupten würde, dies in seiner Gänze überhaupt zu können). Entscheidend ist jedoch, dass es darin letztlich um die Erkenntnis des Menschen geht. Und zwar um den schwierigen Aufstieg aus dem sinnbildlichen Dunkel der wahrnehmbaren Welt in das Licht außerhalb der Höhle. John betont dabei das Ende der Geschichte, in denen die Menschen in ihrem bequemen Alltag der Höhle den Rückkehrer aus dieser Erkenntnis letztlich mit Hohn und Spott begegnen.
John möchte sein Leben ebenso sehr zurückgezogen in seinem Haus verbringen wie die Menschen im Gleichnis in der Höhle. Er verweigert sich einer Aufarbeitung seiner Trauer, ertränkt sie stattdessen in Alkohol. Anders als Rhoda, die zwar auch als Selbstbestrafung den Kontakt zu John aufbaut, letztlich darin vor allem jedoch den Versuch sieht, das Geschehene zu verarbeiten, ja, das unvorstellbare Unglück zu bewältigen, das sie verursacht hat. Denn ein weiteres grundlegendes Motiv dieser Schuld-und-Sühne-Geschichte ist Vergebung. Nicht nur die Vergebung der Sünden eines anderen, sondern inbesondere die Vergebung der eigenen Sünden sich selbst gegenüber.
John steht einer Reise zur zweiten Erde ablehnend gegenüber. Rhoda nimmt hingegen an einer Gewinnspielausschreibung teil, um ein Ticket zu der parallelen Welt zu ergattern. „Wenn Sie sich selbst begegnen würden, was würden Sie sagen?„, überlegen John und Rhoda an einer Stelle und bringen damit die Frage nach der Selbsterkenntnis auf den Punkt. Während John (bezeichnenderweise) nur wenig ernsthaft erwidert, dass er gegen sein anderes Ich versuchen würde, ein Videospiel zu gewinnen, ist Rhoda auffallend selbstreflektierend. „Viel Glück beim nächsten Mal“, antwortet sie zunächst, gibt dann jedoch zu, dass sie vermutlich sprachlos wäre…
Aus der Not eine Tugend gemacht
Another Earth ist eine Low-Budget-Produktion. Gerade einmal 200.000 US-Dollar hat der Film gekostet, was angesichts horrender Millionenausgaben in Hollywood natürlich ein Witz ist. Vermutlich verschlingt bei einer Marvel-Produktion allein das Catering eine solche Summe. Aber Spaß beiseite: Regisseur Mike Cahill hat aus der Not eine Tugend gemacht und das Maximum aus dem Betrag herausgeholt. Das Ergebnis kann sich daher sehen lassen.
Gedreht hat er dabei mit einer (vergleichsweise, versteht sich) preiswerten Sony EX3 HD-Kamera. Dadurch fehlt dem Film zwar der klassische „Kinolook“, er erhält aber ein geradezu dokumentarischen Stil. Ich kann nicht sagen, ob Cahill das ohnehin im Sinne hatte oder ob dies ein Resultat der begrenzten Geldmittel ist. Auf jeden Fall ist der Stil äußerst passend und trägt zudem zur dichten Atmosphäre bei. Wie ein stiller Beobachter begleiten wir Rhoda und John. Und genauso, wie die zweite Erde immer näher kommt, kommen sich die beiden Protagonisten im Film schließlich immer näher.
Große Herausforderung für die Darsteller
Die Natur der Sache bedingt natürlich, dass der Film mit seinen Schauspielern steht und fällt. Story und Inszenierung machen es daher zwingend erforderlich, dass die Darsteller überzeugend agieren, um glaubwürdig zu bleiben. Nur auf diese Weise kann der Zuschauer dazu bewegt werden, mitzufühlen. Brit Marling und William Mapother (der übrigens für gerade einmal 100 Dollar pro Drehtag gearbeitet hat) gelingt es dabei durch ihr feinfühliges Spiel, Authentizität in allen darzustellenden Facetten ihres Gefühlslebens zu vermitteln. Die Trauer, die Verzweiflung, aber auch der langsam aufkommende Keim der Hoffnung während ihrer Annäherung, alles ist komplett nachvollziehbar.
Marling selbst war im Übrigen auch maßgeblich am Drehbuch beteiligt und ihre Handschrift ist durchaus zu erkennen. Parallelen zu ihrer Netflix-Serie The OA sind nicht gänzlich zu leugnen, allerdings ist Another Earth weitaus weniger esoterisch. Natürlich ist der Film auch weit davon entfernt, wissenschaftlich zu sein (so werden die Auswirkungen der Gravitationskräfte des neuen Himmelskörpers außer Acht gelassen). Aber das möchte er auch gar nicht sein. Daher kann ich mich nur wiederholen und jedem davon abraten, angesichts der Story einen Science-Fiction-Film zu erwarten.
Fazit
Another Earth ist eine wunderbare Independent-Perle, die eine klassische Schuld-und-Sühne-Geschichte in ganz und gar ‚unklassischem‘ Gewand zu erzählen versteht. Die Prämisse ist nur auf den ersten Blick die eines Science-Fiction-Films. Sie stellt dabei jedoch nur den Rahmen für ein emotionales Filmdrama über Vergebung, Selbsterkenntnis und Selbstreflexion. Was würdest du tun, wenn du dir selbst begegnen würdest?
© Fox Searchlight Pictures