Der gefeierte Regisseur Richard Linklater widmet sich in seinem neuen Werk der eigenen Jugendzeit und wählt dafür als stilistischen Kniff erneut das Rotoskopieverfahren. Ob dieser Animationsstil der Nostalgie gut zu Gesicht steht, erfahrt ihr in dieser Kritik zum Netflixfilm Apollo 10 1/2.
Titel | Apollo 10½: Eine Kindheit im Weltraumzeitalter |
Jahr | 2022 |
Land | Netherlands |
Regie | Richard Linklater |
Genres | Animation, Komödie, Science Fiction |
Darsteller | Milo Coy, Jack Black, Lee Eddy, Bill Wise, Natalie L'Amoreaux, Josh Wiggins, Jessica Brynn Cohen, Sam Chipman, Danielle Guilbot, Zachary Levi, Glen Powell, Larry Jack Dotson, Mona Lee Fultz, Jennifer Griffin, Holt Boggs, Reese Armstrong, Natalie Joy, Suzanne Deal Booth, Chris Olson, Samuel Davis, Mia Gonzalez, Brian Villalobos, Chris Zurcher, Alexander Fink, Zia Kinzy, David DeLao, Noah Randall, Athena Wintle, Xavier Patterson, Nick Stevenson, William Carroll, Avery Joy Davis, Christian Moran, Nicholas Andrew Rice, Keslee Blalock, Brent A. Riggs, P. Michael Hayes II, Flint Nattinger |
Länge | 98 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Apollo 10 ½: Eine Kindheit im Weltraumzeitalter – Die Handlung
Apollo 10 ½: Eine Kindheit im Weltraumzeitalter handelt von der ersten Mondlandung im Sommer 1969 aus zwei miteinander verwobenen Perspektiven. Dabei geht es einerseits um den triumphalen Moment aus der Sicht der Astronauten und des Kontrollzentrums und andererseits um den Blickwinkel eines Kindes aus Houston, Texas, mit seinen ganz eigenen intergalaktischen Träumen.
Für seinen Film schöpfte der Oscar-nominierte Filmemacher Richard Linklater aus seinen eigenen Erinnerungen und entwickelte so eine Momentaufnahme des Lebens in den Vereinigten Staaten in den 1960er-Jahren, die zu gleichen Teilen Coming-of-Age-Story, Sozialstudie und Weltraumabenteuergeschichte ist.
Ein Trend setzt sich fort
Vor wenigen Jahren machte Netflix Schlagzeilen mit dem schwarzweiß gefilmten Drama Roma, in dem Regisseur Alfonso Cuarón seine eigene Jugend reflektierte. In jüngster Zeit folgten dann mit Kenneth Branaghs Belfast und dem ebenfalls bei Netflix zu sehenden Hand of God von Paolo Sorrentino zwei weitere Filmemacher, die in semiautobiografischer Art und Weise Spielfilme ihrem Erwachsenwerden widmeten. Es liegt also im Trend einen teils akkuraten und teils verklärenden Blick in die Vergangenheit zu werfen. Allen diesen Filmen ist gemein, dass man nicht nur etwas über die jeweiligen Erzählfiguren, die stellvertretend für das junge Ich des Regisseurs fungieren, erfährt, sondern gleichzeitig auch etwas lernt über die damaligen Zeiten, die sozialen Milieus und die individuellen Kulturkreise, in denen die Handlung dabei im Einzelnen stattfindet.
Unterscheiden lassen sich die einzelnen Werke einerseits in ihrem Grad an Romantisierung oder Dramatisierung, die sich durch die Wahrnehmung durch die Kinderaugen des jeweiligen Regisseurs ergibt. Andererseits wählen die Schaffenden gänzlich andere visuelle Ansätze, um den individuellen Werken von Vornherein auch schon eine gewisse Tonalität mitzugeben. Branagh und Cuarón haben durch das monochrome Bild jeweils betont, dass zu ihren Geschichten eine klare Distanz aus heutiger Sicht unterstrichen wird. Sorrentino hingegen hat mit der warmen Farbgebung herausgestellt, dass die italienische Dolce Vita damals wie heute sehr prägend war und ist. Nun wählt Linklater für Apollo 10 1/2 einen Zeichenstil, der zwar eher realistisch als stilisierend einzustufen ist, aber dennoch von Sekunde eins an unterstreicht, dass seiner Erzählung etwas märchen- oder sagenhaftes innewohnt.
Zwischen Kinderfantasie und popkulturellem Nostalgietrip
Mitunter erinnert die Geschichte hier an die Flunkereien eines Käpt’n Blaubär. Jack Black als Ich-Erzähler schildert die Ereignisse derart detailliert und gleichzeitig nüchtern, dass man diese Kinderfantasterei vollends abkauft. Natürlich ist es ein Märchen, dass ein Jugendlicher Teil einer Raumfahrtsmission war. Wie man es aber vorträgt, sorgt dafür, dass man meinen könnte, es habe wirklich so stattgefunden. Das streckenweise montageartige Abhaken von wichtigen Etappen innerhalb der Geschichte und das fast schon beiläufige Einweben der realen, weltgeschichtlichen Ereignisse macht diese Zeitreise in die 60er-Jahre an der ein oder anderen Stelle beinah zur trögen Geschichtsstunde. Dem Einfallsreichtum der Animationsexpert:innen zum Dank sorgt die Visualisierung der teils lapidaren Ereignisse aber trotzdem dafür, dass man allein wegen des Detailreichtums in den Bildern den Blick nicht vom Bildschirm abwenden kann.
Gespickt wird der nostalgische Trip von den Kommentaren des Erzählers, mit denen er seine Meinung und Einschätzung zu den damaligen Modetrends, Erziehungsmethoden oder den musikalischen Trends kundtut. Das sorgt für einiges Schmunzeln und betont die Schrulligkeit des Kreativkopfes Richard Linklater. Die subjektive Wahrnehmung von beispielsweise Joni Mitchell oder Johnny Cash kann also nicht nur vom Musikgeschmack abhängen. Auch davon, wie ein Geschwisterkind die Frisur oder wie ein Elternteil die politische Bedeutung einer solchen Popfigur empfindet, spielt in die Meinungsbildung mit rein.
Vor allem für Zeitgenossen eine warmherzige Offenbarung
Für den ein oder anderen Jugendlichen unserer Zeit mag Apollo 10 1/2 vielleicht etwas kitschig, nostalgisch verklärend und in seiner Coming-of-Age-Story zu fantastisch daherkommen. Wenn man jedoch selbst ein Kind dieser Zeit ist und quasi live beim Space Race am Fernsehgerät hing, dann wird genau diese Romantisierung einem auch das Herz erwärmen. Die Musik von damals wird exzellent eingesetzt und viele Momente, die wohl jeder, der in den 60ern, egal ob in den USA oder in Europa, herangewachsen ist, so ähnlich in der Kindheit erleben durfte, werden einem voller Feingefühl ins Gedächtnis gerufen. Gleichzeitig hat die Geschichte des Protagonisten aber auch etwas zeitloses in seiner Botschaft. Der Mensch neigt generell dazu im Rückspiegel betrachtet zufälligen Ereignissen eine Schicksalshaftigkeit beizumessen. Und genau das ist dann die Quintessenz getreu John Lennon: “Life is what happens to you while you’re busy making other plans.”
Die Lebensweisheit, die in dieser Coming-of-Age-Geschichte mitschwingt, ist nichts Neues und gerade deswegen so universell und zeitlos. Erneut beweist Linklater hier seine Beobachtungsgabe und sein Feingefühl. Bei aller Nüchternheit mit der hier diese Episode aus der Jugend eines kleinen Fantasten vorgetragen wird, fehlt es im Endeffekt etwas an Pointiertheit im Humor. Und leider will emotional der letzte Funke nicht wirklich zünden. Dadurch ist der Ausflug in die Vergangenheit zwar kurzweilig und informativ. Aber wirklich tief ins Herz trifft der Animationsfilm am Ende die Wenigsten.
Unser Fazit zu Apollo 10 1/2: Eine Kindheit im Weltraumzeitalter
Die Coming-of-Age-Geschichte in Apollo 10 1/2 überzeugt vor allem diejenigen, die davon selbst in die Zeit zurückversetzt werden. Die Liebe zum Detail in der außergewöhnlichen Animationstechnik ist ein Argument diesem Film unabhängig davon eine Chance zu geben. Wirklich ans Herz geht das neue Werk Linklaters aber mit hoher Wahrscheinlichkeit einzig seinen Altersgenossen.
Apollo 10 1/2 ist ab dem 1. April bei Netflix abrufbar!
Unsere Wertung:
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