Mit Aretha Franklin: Amazing Grace werden wir Zeuge zweier denkwürdiger Abende, in denen die Queen of Soul ihr bekanntes Live-Gospel-Album aufnahm. Die filmischen Aufnahmen von Sydney Pollack wurden nach 47 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht.
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Titel | Aretha Franklin: Amazing Grace |
Jahr | 2018 |
Land | United States of America |
Regie | Alan Elliott |
Genres | Musik, Dokumentarfilm |
Darsteller | Aretha Franklin, James Cleveland, C.L. Franklin, Bernard "Pretty" Purdie, Chuck Rainey, Clara Ward, Mick Jagger, Sydney Pollack, Charlie Watts, Alexander Hamilton |
Länge | 87 Minuten |
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Worum geht’s in Aretha Franklin: Amazing Grace?
Mit 29 Jahren hatte die 1942 in Memphis, Tennessee geborene Aretha Franklin bereits über 20 Studioalben aufgenommen, fünf Grammys gewonnen und war mit elf aufeinanderfolgenden Pop- und R&B-Singles auf Platz 1 der Charts gelandet. Mit Respect hatte sie Ende der Sechziger außerdem eine Art Hymne für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung erschaffen. Im Januar 1972 entschloss sie sich schließlich, karrieretechnisch riskant, zu ihren Wurzeln zurückzukehren und nahm live das Gospelalbum Amazing Grace auf – bis heute das meistverkaufte Album des vom christlichen Glauben geprägten Genres. Der Regisseur Sydney Pollack (Oscar für Jenseits von Afrika) wurde damals von Warner Brothers engagiert, einen Film zu realisieren. Doch nach technischen und juristischen Problemen wurden die Aufnahmen erst jetzt, 47 Jahre nach den beiden Konzertabenden, veröffentlicht. Es entstand ein Konzertfilm über die beiden Abende, der ausschließlich aus Originalaufnahmen besteht.
Die Entstehungsgeschichte von Aretha Franklin: Amazing Grace
Sydney Pollack, damals noch relativ frisch mit Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss (1969) für den Oscar nominiert, erhielt von Warner Brothers den Auftrag, einen Konzertfilm aus den Live-Aufnahmen des Albums zu erstellen. Doch in Dokumentarfilmen war er komplett unerfahren und entschied sich gegen den Gebrauch von Filmklappen. Das führte allerdings bei der Synchronisierung von Bild und Ton zu enormen Problemen und so verstaubten die Aufnahmen jahrelang im Archiv des Filmstudios. Als Pollack 2007 Magenkrebs diagnostiziert wurde, vermachte er die Rechte an den Produzenten Alan Elliott, der mit Hilfe neuer, digitaler Technik den Film schließlich doch noch fertigstellte. Nun wehrte sich Aretha Franklin – aus unbekannten Gründen – jedoch selbst gegen die Veröffentlichung der Aufnahmen. Nachdem auch sie im Hochsommer 2018 an Krebs verstarb, stimmte ihre Familie einer Aufführung schließlich zu. In Europa feierte Aretha Franklin: Amazing Grace auf der letztjährigen Berlinale Premiere und erscheint nun auch endlich fürs Heimkino.
Authentisch, nah, fast familiär
Technisch sind dem Film das Alter und die ursprünglichen Probleme deutlich anzumerken: Das Bild flimmert etwas, die Aufnahmen sind sehr körnig und teilweise gar unscharf. Das ist allerdings auch das große Glück des Films, denn: So fühlt sich der Zuschauer erst recht zurück ins Jahr 1972 versetzt und live dabei; fast als wären es alte, private Familienaufnahmen. Verstärkt wird das durch teils extreme Nahaufnahmen, die jede noch so kleine Gefühlsregung der Queen of Soul erkennen lassen. Der Schnitt verleiht diesem musikalischen Zeitdokument zudem einen Flow, dem sich wohl kaum jemand entziehen kann. So werden auch kleinere technische Schwierigkeiten (es geriet während eines Abends anscheinend Wasser auf ein paar Geräte und Kabel) nicht herausgeschnitten. Ebenso sieht der Zuschauer, wenn die Diva höchstpersönlich einen Song noch einmal von vorne anfängt, aus unerklärlichen Gründen scheinbar unzufrieden mit der eigenen Performance. Maximal authentisch.
„Can she sing?“
Für den besonderen Flow ist neben dem Schnitt auch eine besonders charismatische Persönlichkeit verantwortlich. Reverend James Cleveland, bei dem Aretha Franklin als Kind Gesangs- und Klavierunterricht in Anspruch nahm, führt mit seiner charmanten und witzigen Art durch die beiden Gesangsabende. Da fragt er die Anwesenden im Bezug auf Franklin auch mal rhetorisch wie ironisch: „Can she sing?“ Musikalisch begleitet wird die „First Lady of Music“, so nennt Cleveland sie einmal (und passender könnte es nicht sein), von ihrer Stammband und dem Southern California Community Choir, den James Cleveland selbst ins Leben gerufen hat. Dass es sich um einen beziehungsweise um zwei äußerst persönliche Abende handelte, unterstreichen neben der Anwesenheit des Reverends und Gospelsängers auch die geladenen Gäste: Neben Aretha Franklins Ikone Clara Ward ist auch ihr Vater, C. L. Franklin, vor Ort, der gegen Ende des Films noch eine ergreifende Rede über seine Tochter hält.
Powerfrau…
Aretha Franklin selbst kommt mit einer einzigen, kurzen Ausnahme nicht zu Wort. Zumindest nicht sprechend. Sie singt „nur“. Da dauert ihre Version des bekannten und namensgebenden Kirchenliedes Amazing Grace auch mal sage und schreibe elf Minuten. Beginnen wird sie mit Marvin Gayes Wholy Holy, beenden mit Never Grow Old – der erste Song, den sie jemals aufgenommen hatte, mit gerade einmal 14 Jahren. Selbst die langsamsten Stücke performt sie dabei mit einer schier unfassbaren Power. So wirken die Abende mitten im Januar in Kalifornien für den Zuschauer enorm hitzig. Schon beim zweiten Song ist sie schweißgebadet, die anderen Bandmitglieder und das Publikum werden ihr folgen.
Denn Einzelne springen auf und tanzen, andere wiegen sich sitzend hin und her – fast, als würden sie beten. Der ganze Raum, der äußerst spartanisch eingerichtet ist, wirkt elektrisiert. Und als der gesamte Chor später aufspringt und wild gestikuliert, ist der Zuschauer schon längst mittendrin, wippt mit den Füßen und wäre am liebsten selbst anwesend bei diesen denkwürdigen Abenden vor mittlerweile 48 Jahren in der New Temple Missionary Baptist Church. Da fühlt sich so mancher Cineast sicherlich an die Kirchenszene mit James Brown in der wunderbaren Musical-Comedy Blues Brothers (1980) erinnert. Darin hatte sie auch ihren ersten von nur zwei Spielfilmauftritten (im Sequel von 1998 war sie auch zu sehen). Schade, denn sowohl in Blues Brothers als auch in Aretha Franklin: Amazing Grace beeindruckt sie mit ihrer divenhaften Präsenz.
… mit heiligem Eindruck
So ist die Dokumentation weniger Konzertfilm als Gottesdienst. Ein Gottesdienst für gute Musik und deren Interpreten. Die Lieder sind das Glaubensbekenntnis, die Rede ihres Vaters die Predigt. Dabei ist Aretha Franklins Erscheinung fast schon heilig. Das weitgeschnittene, schneeweiße Kleid, das sie am ersten Abend trägt, funkelt mit seinen Glitzersteinchen genauso wie die Schweißperlen auf der Stirn. Und wenn sie den Kopf voller Inbrunst in den Nacken wirft, wirkt der perfekt gestutzte Afro fast wie ein dunkelfarbener Heiligenschein. All das gipfelt in der vielleicht wundervollsten Szene des letzten Kinojahres: Wenn C. L. Franklin aus dem Publikum aufsteht, um seiner am Klavier sitzenden Tochter bei der Performance von Never Grow Old liebevoll den Schweiß von der Stirn und aus dem Gesicht zu wischen.
Unser Fazit zu Aretha Franklin: Amazing Grace
Technisch angestaubter, dafür umso persönlicherer Dokumentarfilm über zwei denkwürdige Abende, in denen Musikgeschichte entstand. Unfassbar ansteckende Dynamik, tolle Musik und die einfach unvergleichliche Stimme Aretha Franklins sorgen für ein gefühlvolles und großartiges Filmerlebnis. Oder, um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: Respect!
Der Dokumentarfilm erscheint am 3. April 2020 digital als VoD und auf DVD im Handel!
Unsere Wertung:
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