Sie ist der aktuell größte Schauspielstar Norwegens: Renate Reinsve. Was ihr neuer Film mit Ingmar Bergmann zu tun hat und ob Elternabend wirklich “das norwegische Lehrerzimmer” ist, erfahrt ihr in dieser Kritik.
Titel | Armand |
Jahr | 2024 |
Land | Germany |
Regie | Halfdan Olav Ullmann Tøndel |
Genres | Drama, Thriller |
Darsteller | Renate Reinsve, Ellen Dorrit Petersen, Endre Hellestveit, Thea Lambrechts Vaulen, Øystein Røger, Vera Veljović-Jovanović, Loke Nikolaisen, Assad Siddique, Patrice Demonière |
Länge | 116 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |

Die Handlung von Elternabend
Am letzten Tag vor den Sommerferien werden die alleinerziehende Elisabeth (Renate Reinsve) und die Eltern Sarah (Ellen Dorrit Petersen) und Anders (Endre Hellestveit) unerwartet zum Gespräch mit der Schule gebeten. Ein Triumvirat aus Jarle, dem Schulleiter, seiner Sekretärin Ajsa und der Nachwuchslehrerin Sunna berichtet ihnen nur zögerlich von einem gewalttätigen Übergriff, der ihre Kinder betrifft.
Auf der Anklagebank sitzt Elisabeths Sohn Armand, das Opfer ist Sarah und Anders Sohn Jon. Die Verantwortlichen der Schule sind darum bemüht, nicht vorschnell zu urteilen. Sie zeigen sich aber ebenso mit der Situation überfordert, weil es für solche speziellen Fälle kein Ablaufprotokoll gibt. Das Gespräch läuft dadurch schnell aus dem Ruder und offenbart tiefe Wunden auf beiden Seiten der Eltern.
Es scheint um mehr viel mehr zu gehen als die Auseinandersetzung zweier Grundschul-Kinder.
Der Cannes-Gewinner erscheint endlich im Kino
Obwohl Regisseur und Drehbuchautor Halfdan Ullmann Tøndel mit Elternabend (Originaltitel: Armand) sein Spielfilmdebüt vorlegt, umweht ihn bereits ein gewisser Ruf. Als Enkel des Jahrhundertfilmemachers Ingmar Bergmann ist die Erwartungshaltung qua seiner Abstammung größer als bei anderen Nachwuchstalenten. Und bereits die Jury von Cannes zeigte sich 2024 begeistert von seinem Erstling und verlieh die prestigeträchtige Camera d’Or für den besten Debütfilm eines Regisseurs.
Der zweite große Name, der dem Film Zugkraft verleiht, ist Renate Reinsve. Mit Der schlimmste Mensch der Welt von Joachim Trier gelang ihr 2021 der Durchbruch. Mittlerweile ist sie auch international tätig wie in der großartigen Serienadaption von Aus Mangel an Beweisen mit Jake Gyllenhaal. In Elternabend ist sie ganz klar der aufsehenerregende Mittelpunkt. Sie erhält von Tøndel auch die facettenreichste und vordergründig streitbarste Figur zugewiesen. Kurz gesagt: Ihre Performance ist denkwürdig und bleibt in Erinnerung.
Übrigens sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Film hierzulande vom Verleih einen neuen, wesentlich verständlicheren Titel erhalten hat. Damit dürfte sich eher ein größeres Publikum in die Kinos locken lassen, zumal sich Schulfilme in Deutschland ungebrochener Beliebtheit erfreuen, wenn man allein auf Sönke Wortmanns Werke wie Frau Müller muss weg! oder Eingeschlossene Gesellschaft schaut.
Ein solches sachlich und klar gefilmtes Schuldrama ist Elternabend allerdings ausdrücklich nicht. Wer sich den Film anschaut, sollte offen für surreale Momente und metaphorisch große Gesten sein, die den großen Gestaltungswillen von Tøndel zeigen. Auch der Vergleich zum preisgekrönten Das Lehrerzimmer von İlker Çatak ist nur oberflächlich korrekt, weil sich der Konflikt zwar im Schulkontext abspielt, aber das Kernproblem vor allem in der Beziehung Eltern zu Eltern liegt.
The Kids are alright
Nach einem kurzen Vorlauf, in dem sich die Schulverantwortlichen auf das brisante Vorgespräch vorbereiten, startet Elternabend mit beißenden Wortgefechten und schneidender Spannung durch. Dabei muss sich das Publikum ebenso wie Renate Reinsves vorab nicht informierte Mutter erstmal durch unzählige Andeutungen seitens der übervorsichtigen und überfordert wirkenden Schulleitung kämpfen. Narrativ ist Tøndels Film wie eine Zwiebel aufgebaut, die Schicht um Schicht gehäutet werden muss, ehe sich schließlich die wahren Hintergründe offenbaren.
Der Konflikt der Kinder entpuppt sich mit der Zeit als Katalysator für die tiefen Gräben der Eltern. Letztlich geht es hier um tiefsitzende, unverarbeitete Traumata. Um das zu verstehen, benötigt das Publikum enorm viel Hintergrundwissen über die Figuren. Dieses liefert der Regisseur in der zweiten Hälfte des Films häppchenweise nach, indem das spannende Dreiecksgespräch aufgelöst wird und sich immer wieder unterschiedliche 4-Augen-Gespräche ergeben.
Hier entgleitet Elternabend nicht nur ins mühselige Auserzählen der Figuren. Halfdan Ullmann Tøndel zeigt auch seinen spürbaren Drang, das eigentlich karge Schulsetting und das alltägliche Thema künstlerisch hochzujazzen. Da dürfen gewisse Figuren plötzlich in einen Ausdruckstanz verfallen und auch der Schlusspunkt des Films ist so sinnbildlich übersteigert, dass die Inszenierung für meinen Geschmack nicht immer im Dienste der Geschichte agiert.
Mein Fazit zu Elternabend
Halfdan Ullmann Tøndels prämiertes Spielfilmdebüt Elternabend ist ein scharfzüngiges und wortreiches Drama im Schulkontext, das den eigentlichen Konflikt zweier befreundeter Schüler als Katalysator für die tieferliegenden Traumata der Eltern nutzt. So kritisiert der Film vordergründig die leitende Organisation des Systems Schule, die sich im Falle des verhandelten Eklats unsicher und überfordert präsentiert.
Die Vorverurteilungen, Behauptungen und Vorwürfe der streitenden Eltern zielen aber auf einen ganz persönlichen Konflikt ab, der auch unabhängig der Lehranstalt funktioniert hätte. Vor allem die zweite Hälfte ist dann zu sehr eine Ansammlung großer künstlerischer Gesten des Regisseurs, die Elternabend deutlich in die Länge ziehen und der Geschichte nicht mehr allzu viel geben.
Elternabend startet am 16. Januar in den deutschen Kinos.
Unsere Wertung:
© Pandora Film / Eye Eye Pictures