Der Moonlight-Regisseur Barry Jenkins versammelt zum zweiten Mal das kreative Team des oscarprämierten Films von 2016. Da selbst das Drehbuch erneut auf einem Roman von James Baldwin beruht, scheint der neue Streifen Beale Street in eine ähnliche Kerbe schlagen zu wollen. Ob ihm das gelingt, erfahrt ihr im Folgenden.
Titel | Beale Street |
Jahr | 2018 |
Land | United States of America |
Regie | Barry Jenkins |
Genres | Liebesfilm, Drama |
Darsteller | KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Teyonah Parris, Colman Domingo, Ethan Barrett, Milanni Mines, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Michael Beach, Aunjanue Ellis-Taylor, Diego Luna, Emily Rios, Ed Skrein, Finn Wittrock, Brian Tyree Henry, Dave Franco, Bobby Conte Thornton, Marcia Jean Kurtz, Pedro Pascal, Kaden Byrd |
Länge | 119 Minuten |
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Worum geht es in Beale Street?
Der junge Afroamerikaner Alonzo Hunt, von allen nur Fonny genannt, lebt in den 1970er Jahren im Stadtteil Harlem in New York. Fälschlicherweise wird er der Vergewaltigung einer puertoricanischen Frau beschuldigt. Trotz eines Alibis durch seine geliebte Partnerin Tish, muss Fonny ins Gefängnis bis die Angelegenheit geklärt ist. Das Verschwinden der Puertoricanerin sowie Tishs Schwangerschaft verkomplizieren die Situation noch zusätzlich. Während Fonny also im Gefängnis sitzt, muss Tish sich mit ihrer eigenen Familie, aber auch der von Fonny auseinandersetzen. Sie setzt nebenbei alles daran, die Unschuld ihres Lebensgefährten zu beweisen.
Das afro-amerikanische Kino
Es ist ein Trend in Hollywood zu erkennen. In den letzten Jahren häufen sich Kinofilme, welche vermehrt das Leben von Afroamerikanern ins Zentrum der Erzählungen rücken. Das Streben nach Gleichberechtigung und die Entwicklung einer eigenen Identität auf Grundlage einer gemeinsam erlebten Vergangenheit sind dabei immer wieder behandelte, zentrale Themen. Solche Filme finden zumeist sowohl unter Kritikern als auch an den Kinokassen großen Zuspruch, obwohl sich die Aufarbeitung dieser Themen über die verschiedensten Genres erstreckt. 12 Years A Slave, Moonlight, Loving, Get Out, Blackkklansman und nicht zuletzt Black Panther lassen sich zu diesem Kreis zählen.
In diese Reihe, zumeist hervorragender Filme, ordnet sich auch Beale Street, im Original If Beale Street Could Talk, ein. Wer die Werke von James Baldwin kennt, kann ahnen, welche Positionen diese Verfilmung eines seiner Romane vertreten will. Er war ein Autor, der sich intensiv mit Themen wie Rassismus oder Sexualität auseinandergesetzt hat. Da auch bereits Moonlight auf einem anderen Roman von Baldwin beruhte, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich hinter der Kamera von Beale Street das selbe kreative Team vorfinden lässt. Hatte man bei dem Vorgängerwerk jedoch noch den Eindruck, dass sich der Inhalt des Filmes eher an eine spezielle Zuschauergruppe wendet (der Film behandelt die Einsamkeit eines Homosexuellen im Gangstermilieu), so kommt der neue Streifen allgemein zugänglicher daher. Das Publikum kann sich leicht mit der Figur der Tish identifizieren. Außerdem besitzt der Film, durch die Versuche, den Vergewaltigungsfall aufzuklären, eine zusätzliche spannende Komponente.
Charaktere aus dem echten Leben
Die Charakterzeichnung der verschiedenen Figuren gelingt auch hier hervorragend. Sämtliche Charaktere wirken überaus authentisch in ihrer Darstellung. Besonders durch die meisterhaften Dialoge aus der Feder von Regisseur Barry Jenkins, ist es möglich, präzise und wohlgeformte Profile der Akteure zu entwickeln, sodass das Publikum sämtliche Situationen hautnah miterleben kann. Zum Beispiel kann man mit Trish mitfühlen, wenn sie stammelnd und sprachlos vor ihrer Mutter steht, um ihr von ihrer Schwangerschaft zu berichten, oder man fühlt sich durch die harten und lieblosen Worte ihrer Schwiegermutter ebenso verletzt wie Trish.
Natürlich lässt sich diese einnehmende Wirkung nicht ohne einen ausgezeichneten Cast erzeugen. Dabei setzt Jenkins erneut auf bisher unbekannte Darsteller und Darstellerinnen. Stephan James und KiKi Layne spielen glaubhaft das verliebte Protagonistenpärchen. Besonders stechen allerdings die Mütter der beiden hervor. Regina King und auch Aujanue Ellis wissen eindrucksvoll zu überzeugen. Regina King darf mittlerweile auch einen Golden Globe für diese Rolle ihr eigen nennen. Sie darf sich somit Hoffnungen auf eine Oscar-Nominierung machen. In kleineren Rollen sind bekanntere Schauspieler, wie zum Beispiel Dave Franco oder Diego Luna, zu sehen.
Realität und das utopische Paradies im Kontrast
Die Intensität der dramatischen Szenen lässt sich kaum übertreffen, sodass sich Beale Street nicht als Wohlfühlfilm bezeichnen lässt. Zum Glück bedient sich Barry Jenkins einer extrem geschickten Erzählstruktur, um die Atmosphäre angenehmer zu gestalten. In Rückblenden wird die gemeinsame Zeit von Fonny und Trish erzählt. Wir erfahren mehr über ihre ersten romantischen Treffen und ihre spätere Wohnungssuche. Auch wenn solche Rückblenden in den meisten Filmen extrem generisch und plump verwendet werden, so handelt es sich in diesem Fall allerdings um ein geschicktes Stilmittel. Dem Zuschauer beziehungsweise der Zuschauerin wird nicht nur vor Augen geführt, wofür Trish ihren Kampf führt, sie fühlen sich außerdem wie eine Art Erlösung von den deprimierenden Ereignissen der Gegenwart an. Diese Szenen vermitteln ein utopisches Bild des Glücklichseins, welches sich nur durch eine frische und wahrhaftige Liebe ausdrücken lässt. Diese Liebe verleiht den Figuren Halt und ihre gesamte Motivation.
Auch hinsichtlich der filmischen Mittel stehen die Rückblenden in hartem Kontrast zum restlichen Geschehen. Die Kamera arbeitet hier mit drastischen Unschärfen im Hintergrund. Die beiden Hauptdarsteller scheint außerdem ein ständiger Schimmer zu umgeben, wie eine heilige Aura. Weiterhin herrschen warme Rot- und Blautöne vor, welche ein Gefühl der Behaglichkeit vermitteln. Wie in einem modernen Paradies wirken diese Szenen, die zu einem Großteil ohne Dialog auskommen und ganz auf das Gefühl setzen. Im Gegensatz dazu stehen die realistischen Bilder der Gegenwart mit dramatischen Dialogen, welche gerade durch diesen Kontrast ihre Wirkung besonders entfalten können. Ansonsten setzt der Kameramann James Laxton (Moonlight) erneut auf eine ruhige, aber dynamische Kamera mit langen Einstellungen, welche das Gefühl der Allgegenwärtigkeit des Geschehens vermittelt. An solchen Aufnahmen kann man sich als Filmliebhaber oder Filmliebhaberin sattsehen.
Gefühl durch Musik
Ein weiteres entscheidendes Element des Streifens ist die Filmmusik von Nicholas Britell, der mit Jenkins ebenfalls bereits an Moonlight gearbeitet hat. Erneut greift er auf tiefe Streicherklänge zurück. Meisterhaft komponiert hört man, wie sich zwei Instrumente liebevoll gegenseitig in jazzigen Tonreihen umspielen, jedoch auch ihre Eigenständigkeit bewahren, während die tiefen Instrumente das nahende Unheil bedrohlich ankündigen. Die Musik ist ausgesprochen leidenschaftlich und gefühlsbetont. Leider wurde dem Film in diesem Bereich eine Nominierung bei den Golden Globes verwehrt. Auf der Longlist der Oscars steht er allerdings immernoch und darf sich Chancen ausrechnen.
Eine wichtige Geschichte
Letztendlich muss man sich die Frage stellen, ob ein Drama, angesiedelt in den 70er Jahren und mit dem “Rassenkonflikt” als Thema, in unserer heutigen Welt, 50 Jahre später, immernoch Aktualität besitzt. Diese Frage beantwortet der Film mit einem überdeutlichen “Ja”. Er stellt nicht nur eine grandiose Aufarbeitung einer historischen Zeit dar, sondern zieht darüber hinaus deutlich Bezüge zur aktuellen politischen Lage. So müssen sich die Familien des Liebespaares durch kriminelle Aktivitäten über Wasser halten. Auf legale Art und Weise können sie nicht genug verdienen können. Religiöse Barrieren und Hindernisse innerhalb der Familie werden ebenso thematisiert, wie die in ihr herrschenden Rollenverhältnisse, die auch heute noch vielerorts vorherrschen dürften.
Aufgrund dieser zum Teil polarisierenden Themen, wie der Legitimation von Kriminalität aufgrund sozialer Isolation, ist der Film außerdem ausgesprochen mutig. Er vertritt klar seine Position und regt somit zum Diskutieren an. Besonders in Zeiten der “Me Too”-Debatte ist es gewagt die Geschichte um eine falsche Beschuldigung sexuellen Missbrauchs zu verfilmen. Der Generalverdacht der “Weißen” auf Menschen anderer Herkunft tritt gerade dadurch umso deutlicher hervor. Leider kommt uns die Sorge der Gesellschaft, dass “unsere weißen Frauen” von Ausländern misshandelt werden würden, äußerst bekannt vor. Dennoch behandelt der Streifen das Thema sehr feinfühlig ohne den Blick von den Opfern und deren Situation abzulenken. Somit ist Beale Street nicht nur aktuell, sondern hinsichtlich seiner Botschaft sogar bedeutsam!
Minimale Schwächen gegen Ende
Ist der Film also durch und durch ein absolutes Meisterwerk? Leider nicht ganz. Die ersten 90 Minuten sind so ziemlich das beste und vollkommenste, was uns das ArtHouse-Kino zu bieten hat. In der letzten halben Stunde neigt der Film allerdings leider dazu, repetitiv zu werden. Gerade deswegen wirkt das Finale auf einmal etwas plötzlich. Eine zielstrebigere Hinarbeitung zur Auflösung der Geschichte wäre nicht nur äußerst spannend gewesen, sondern hätte das Publikum auch mehr mitnehmen können. Der wahrscheinlich gewünschte Schockmoment funktionierte für mich nur in Ansätzen.
Unser Fazit zu Beale Street
Beale Street ist einmaliges Arthouse-Kino und eine riesige Empfehlung an jeden, der sich auf ein ruhig erzähltes, cineastisches, gefühlvolles, aber auch spannendes und mitreißendes Erlebnis einlassen kann. In diesem Fall wird man mit zahlreichen eindrucksvollen und unvergesslichen Szenen belohnt. Besonders auf Grund der hervorragenden Regiearbeit und dem Drehbuch von Barry Jenkins, einem stimmigen Cast und einem emotionalen Score gilt der Streifen wahrscheinlich als einer der größten Favouriten bei der anstehenden Oscar-Verleihung. Auch die leichten erzählerischen Schwächen zum Ende hin, trügen das Endresultat nur minimal. In diesem Sinne lasst euch begeistern und schaut euch an, was es zu sehen gäbe, If Beale Street Could Talk, denn es ist wichtig, dass diese Geschichte gehört wird.
Der Film startet am 14. Februar in den deutschen Kinos!
Unsere Wertung:
© 2018 Annapurna Pictures DCM