Mit Birds Of Passage zeigt das Regieduo aus Cristina Gallego und Ciro Guerra, wie sich der Drogenschmuggel Kolumbiens aus dem indigenen Umfeld der Wayuu entwickelt hat.
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Titel | Birds of Passage - Das grüne Gold der Wayuu |
Jahr | 2018 |
Land | Colombia |
Regie | Cristina Gallego |
Genres | Drama, Krimi |
Darsteller | José Acosta, Carmiña Martínez, Natalia Reyes, Greider Meza, José Vicente, Juan Bautista Martínez, Jhon Narváez, Miguel Viera, Sergio Coen, Aslenis Márquez, José Naider, Yanker Díaz, Víctor Montero |
Länge | 120 Minuten |
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Birds Of Passage – Ein Gangsterthriller wie aus Hollywood
In der Besprechung zum kleinen feinen kolumbianischen Gangsterthriller Perro Come Perro kamen bereits die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des klassischen Gangsterfilms aus Hollywood und der unabhängig produzierten Streifen aus Europa zur Sprache. Perro Come Perro ließ sich dabei eher der zweiten Kategorie zuordnen, der seine immer noch klassische Handlung mit genügend Lokalkolorit anreicherte und für spannende neue Impulse sorgte.
Zehn Jahre später wartet erneut Kolumbien mit einem Gangsterthriller auf. Birds Of Passage orientiert sich dieses Mal aber mehr an den epischen Familiengeschichten eines Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola. Denn auch hier begleitet der Zuschauer das Schicksal eines Clans über eine Vielzahl von Jahren hinweg. Ganz wie im eingangs erwähnten Film ist es auch hier die Verflechtung von ethnologischer Betrachtung und Volksglaube, die für individuellen Charakter sorgen.
Rapayet (J. Acosta) verkauft aus der Not heraus Marihuana an Amerikaner und steigt über die Jahre zum wohlhabenden Drogenbaron auf. Sein Imperium droht zwischen den Fronten von traditionellem Wayuu-Mythos und skrupelloser Konkurrenz aufgerieben zu werden.
Matriarchat in der Einöde
Bei den Wayuu handelt es sich um ein indigenes Volk Südamerikas. Ihr heutiger Siedlungsraum liegt auf der Guajira-Halbinsel zwischen Kolumbien und Venezuela. Die Wayuu sind ein Volk, deren soziale Struktur von der Mutterfolge, der sogenannten Matrilinearität, bestimmt ist. Diese und andere Besonderheiten des Volkes halten im Film Einzug und definieren ihn dadurch weit über einen gewöhnlichen Thriller im Drogenmilieu hinaus.
So beginnt Birds Of Passage mit dem sogenannten Yonna-Tanz. Dieser rituelle Tanz markiert das Ende des „Jahres der Einsamkeit“, welches wiederum als Übergangszeit zwischen der Reifung vom Mädchen zur Frau gilt („Majayu“). Der Tanz wird zwischen der, nach Wayuu-Glauben, nun erwachsenen Frau und ihren potentiellen Heiratspartnern ausgetragen. Wer als Sieger aus diesem Konkurrenzkampf hervorgeht, kann offiziell um die Hand der Braut anhalten. Folgend bestimmt die Mutter der Braut den Brautpreis, der üblicherweise in Form von Vieh beglichen wird.
Rapayet, trotz mangelnder Anerkennung durch die Clanoberhäupte zum Sieger über seine Konkurrenten im Yonna-Tanz gekürt, wird von Úrsula (Carmiña Martínez) ein horrender Brautpreis auferlegt. Über einen ersten Marihuana-Deal, den Rapayet gemeinsam mit seinem Kumpel Moisés (Jhon Narváez) durchzieht, kann er problemlos den Preis für seine zukünftige Frau Zaida (Natalia Reyes) bezahlen. Doch Tradition steht bei den Wayuu über dem Kapital und so wird Rapayet unmissverständlich von Úrsula abgewiesen – der Brautpreis muss von einem Wortboten überbracht werden.
Überhaupt thematisiert Birds Of Passage häufig die Traditionen und Riten der Wayuu: Sei es die Vormachtstellung und Entscheidungsgewalt der Frau oder der Einsatz von scheinbar magischen Talismanen und Traumdeutungen. So porträtiert vor allem die erste Hälfte des Films die indigene Lebensweise und bietet hoch interessante Einblicke in diese fremde Kultur.
Moderne trifft Tradition
Je weiter Rapayet im Drogengeschäft aufsteigt, desto mehr wird das friedliche und einfache Leben der Wayuu in die moderne Welt gezerrt. Das zeigt sich an offensichtlichen Dingen wie den Vertriebswegen des Marihuanas. Wo ehemals aus einem Esel zwei wurden, ziehen später ganze Karawanen durch die Prärie, die ihrerseits von Autokolonnen und Flugzeugen abgelöst werden. Aber auch in kleinen Details offenbart sich, wie die Tradition zusehends verdrängt und sogar vollends vergessen wird. Wo früher ausgedehnte Totenrituale das Erbe der Ahnen bestimmten, werden Schusswaffen in den Grabstätten gebunkert. Zu Beginn hausen Rapayet und seine Familie noch in kleinen Holzhütten. Auf dem Höhepunkt seines Geschäftserfolgs steht stattdessen eine protzige Villa mitten im Nirgendwo.
Fehden zwischen den Clans werden nicht mit mehr mit der Vernunft gelöst, stattdessen brüllen schlussendlich Waffen jedwede gesittete Kommunikation nieder. Selbst die geachteten und unantastbaren Wortboten werden deshalb zum Freiwild für größenwahnsinnige oder gekränkte Drogenbarone. Die hochgehaltene Tradition, dass Missetaten im selben Maß vergolten werden, weicht einer Blutrache, deren Verschleiß an Leibern und Leben sie zum endlos rotierenden Fleischwolf mutieren lässt. Diese entfesselte Abwärtsspirale kann letzten Endes nur einen Ausgang ohne Sieger kennen und steht somit ganz im pessimistischen Zeichen eines Scarface.
Die die Handlung unterteilenden Kapitel kündigen mit ihren prägnanten Titeln schon grob an, in welche Richtung das Geschehen sich entwickelt: Wo zu Beginn noch „Wildes Gras“ wächst, befindet man sich im Finale in der „Vorhölle“.
Birds Of Passage – Die Vögel des Übergangs
Die titelgebenden Vögel staken hin und wieder durch das Bild oder ziehen ihre Flugbahnen am Horizont – und demonstrieren damit die stete Bewegung und Veränderung im Leben des Wayuu-Clans. Die darstellerischen Leistungen könnten ebenfalls als dynamisch bezeichnet werden. Wie schon bei City Of God steht eine gemischte Riege aus professionellen und Laiendarstellern vor der Kamera. Diese Symbiose beflügelt den Film in seiner Authentizität, zumal die Laien entweder selbst Wayuu sind und die ausgebildeten Hauptdarsteller sich intensiv mit dem Leben der Wayuu auseinandergesetzt haben. Natalia Reyes beispielsweise hat ein Vierteljahr in einer Wayuu-Siedlung gelebt. Dort hat sie die Sprache der Wayuu (Wayuunaiki), den Yonna-Tanz und Weben gelernt.
Ebenso nah dran am Leben des Volkes gestalteten sich die Dreharbeiten an sich. Während des Drehs in der Guajira-Wüste sorgten Sandstürme und heftige Gewitter dafür, dass gleich zwei Filmsets in Gänze zerstört wurden. Dafür sorgt die raue Schönheit der Landschaft immer wieder für atemberaubende Panoramen und beeindruckende Farbkontraste zwischen staubigem Erdboden und farbenfroher Kleidung oder einem makellos blauen Himmel.
Birds Of Passage ist am 26.7.2019 von MFA+ Filmdistribution im deutschen Handel veröffentlicht wurden. Wahlweise als DVD, Blu-ray und VoD. Der Sammler freut sich außerdem über eine Kombi-Veröffentlichung im Mediabook, welches mit wissenswerten Backgroundinfos und Interviews mit beiden Regisseuren im Buchteil aufwartet.
Für wen interessant?
Wer keine straight erzählte Gangster-Story benötigt, wenn es um Drogenhandel, Clankriege und Familienstreitigkeiten geht, sollte einen Blick auf diesen Ethno-Thriller aus Kolumbien werfen. Denn Birds Of Passage reichert seine allseits bekannte Geschichte vom Aufstieg eines unbedeutenden Kleinganoven hinauf zum allmächtigen Druglord reichlich mit ethnologischem Esprit an. Natürlich ist dabei keine Dokumentation über die Lebensweise der Wayuu entstanden, aber für Zuschauer werden die Eigenheiten dieses Volkes spannend in die Handlung rund um die Beginne des kolumbianischen Drogenschmuggels eingeflochten.
Unsere Wertung:
© MFA+ Filmdistribution