Mit Brooklyn 1945 legt Tiberius einen eigenwilligen Mix aus Horror, Geisterthriller und Psychodrama vor, der auf etlichen Festivals Achtungserfolge erzielen konnte und in den USA vom Streamingdienst Shudder gezeigt wird. Spannend oder öde? Hier erfahrt Ihr mehr.
Titel | Brooklyn 1945 |
Jahr | 2023 |
Land | United States of America |
Regie | Ted Geoghegan |
Genres | Horror, Thriller, Historie |
Darsteller | Anne Ramsay, Ezra Buzzington, Jeremy Holm, Larry Fessenden, Ron E. Rains, Kristina Klebe, Lucy Carapetyan |
Länge | 93 Minuten |
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Die Handlung von Brooklyn 1945
Lieutenant Colonel Clive Hockstatter (Larry Fessenden) lädt kurz nach Weihnachten 1945 vier Freund:innen in sein Haus in Brooklyn ein – alles Weltkriegsveteranen wie er, mit Ausnahme von Bob (Ron E. Rains), dem Ehemann von Marla (Anne Ramsay), der im Pentagon arbeitet. Clives Frau Susan hat kurz zuvor Selbstmord begangen. Und „Hock“ will in Brooklyn 1945 nun mit einer Séance Kontakt zu ihr aufnehmen. Die Geistersitzung läuft schief, das Zimmer ist verschlossen – und es stellt sich die Frage, wessen Gespenster dort wirklich herumspuken.
Das Kammerspiel als Kameraspiel
Brooklyn 1945 startet in den ersten paar Sekunden der opening credits im stilvollen Schwarz-Weiß und 4:3-Format, unterlegt mit klassischem Swing. Die geschwungenen Schriftzeichen erinnern sofort an zeitgenössische Kinokunst, doch schnell kommt Farbe ins Spiel. Und auch die Seitenränder weichen, sobald die Protagonisten die Räumlichkeiten von Hockstatters Haus betreten. Die Weite des Bildes kontrastiert die Enge des Salons – nicht nur ein visueller Kunstgriff, sondern gleichsam Programm.
Die Kamera durchforstet im Verlauf des Films jeden Winkel des detailreich und authentisch ausgestatteten Zimmers, aus dem es für lange Zeit kein Entkommen zu geben scheint. Das Kammerspiel, dass ansonsten auch als Theaterstück auf der Bühne gut funktionieren würde, wird so zum Kameraspiel, das durch geschickte Fokussierung in die Tiefe der Charaktere zu gehen versteht.
In Brooklyn 1945 ist der Krieg noch lebendig
Jede der Figuren hat ihr eigenes Päckchen zu tragen. Archie (Jeremy Holm) erwartet ein Prozess wegen eines Kriegsverbrechens. Dessen Details werden erst allmählich im Verlauf der Auseinandersetzungen enthüllt. Marla wird von ihren Kombattanden als die beste Verhörspezialistin Amerikas betrachtet, die vor keiner Methode zurückschreckte. Sie erscheint als das toughestes Mitglied der Gruppe und nimmt kein Blatt vor den Mund. „Ich hatte mehr Respekt vor den Nazis als vor unseren verdammten Männern“, sagt sie. Ihr Mann Bob dagegen wirkt wie ein Weichei, was ihn zur Stimme der Vernunft prädestiniert. Zumindest anfänglich.
Doch eigentlich kreist die Handlung von Brooklyn 1945 um die Tote, die somit als eine Art McGuffin in Erscheinung tritt. Als geistiges Protoplasma wie als Hirn-Gespenst. Susan war besessen davon, dass ihre Nachbarn Nazispione wären. Doch niemand wollte ihr glauben. Aus Enttäuschung beging sie schließlich Selbstmord. Ihr Geist soll nun die Wahrheit enthüllen. Doch ihr Witwer Clive ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat die verdächtige Nachbarin Hildegard (Kristina Klebe) entführt: Die „Kraut“ steckt im Wandschrank.
Die „Kraut“ war ihr Schicksal
Verfolgungswahn und Verschwörungsdenken lauern überall. Während Clive die „Kraut“ mit Hilfe der Séance als Nazibraut überführen will, entwickelt sich unter den Freunden eine lebhafte Diskussion. Das erinnert in dem beengten Raum mitunter an den Klassiker Die zwölf Geschworenen. Doch in Brooklyn 1945 trifft Psychologie auf Metaphysik. Das ist nicht wirklich gelungen. Insbesondere die Spezialeffekte etwa eines aus dem Tisch herauskommenden Arms aus Protoplasma wirken fast lächerlich. Oder ist dies gar beabsichtigt?
Denn trotz dramatischer Akzente geizt der Film von Ted Geoghegan auch nicht mit satirischen Elementen. Insbesondere in den geschliffenen Dialogen wird mitunter mit scharfer Zunge gefochten. Hildegard begründet ihr umfangreiches Wissen über ihr Umfeld nachvollziehbar: „Das ist New York. Wir sehen Dinge. Wir wissen, was unserer Nachbarn tun.“ Was Paul (Ezra Buzzington), den einzigen, der an dem Abend vollständige Uniform trägt, vermuten lässt: „Das hört sich für mich nach Spionage an.“
Gespenster in den Hinterköpfen
Es reicht schon aus, einem bestimmten Volk – oder einer Ethnie – anzugehören, um unter Generalverdacht gestellt zu werden. Brooklyn 1945 greift geschickt das Problem von Vorverurteilung auf, das gerade aktuell wieder in anderen Zusammenhängen an Bedeutung gewonnen hat. Die Geister, um die es vordergründig zu gehen scheint, sind in Wahrheit die Gespenster in den Hinterköpfen. „Der Krieg ist vorbei? Sagt wer?“ beschwört Clive seine Freunde. Während Archie zu der Erkenntnis gelangt: „Die Nazis sind weg, wir bekämpfen Geister.“ Von denen gerade er etliche mit sich herumschleppt.
Spionin oder keine Spionin? Die Frage nach Hildegards Rolle erzeugt Spannung, doch wesentlicher noch ist die Dynamik, die diese Frage in der Gruppe der Freunde erzeugt. Auch wenn manche der gelungenen Dialoge dabei leicht redundant erscheinen, wird dies durch das hervorragende Spiel der Darsteller aufgewogen. Dabei sticht vor allem Anne Ramsay hervor, die ihrer Marla nicht nur Härte, sondern auch emotionale Tiefe vermittelt. Ramsay ist auch das bekannteste Gesicht des Casts, dessen Mitglieder wie der ebenfalls großartige Larry Fessenden wohl vorwiegend im Independent-Kino oder auf der Bühne heimisch sind.
Unser Fazit zu Brooklyn 1945
Letztlich sind es nur die sich ein wenig im Kreis drehenden Dialoge und der im Grunde unnötige generische Bezug zum Horrorkino, die sich kritisieren lassen. Darüber hinaus zeichnet Brooklyn 1945 ein kluges, scharfsinniges und auch erschreckendes Bild über menschliche Abgründe in Zeiten des Krieges – oder anderer Bedrohungen.
Brooklyn 1945 wird nur digital veröffentlicht und erscheint am 19. September 2024 als digitale Kaufversion und am 26. September auch als Leihversion.
© Tiberius Film