Nur wenige Wochen bevor John Carpenter mit Halloween einen wegweisenden Horrorfilm schuf, drehte er mit Das unsichtbare Auge einen ziemlich ähnlich gelagerten Stalker-Thriller. Jetzt erscheint dieser fast vergessene Film endlich als Neuauflage in HD.
Titel | Das unsichtbare Auge |
Jahr | 1978 |
Land | United States of America |
Regie | John Carpenter |
Genres | Horror, Mystery, Thriller, TV-Film |
Darsteller | Lauren Hutton, David Birney, Adrienne Barbeau, Len Lesser, Charles Cyphers, John Mahon, Grainger Hines, James Murtaugh, J. Jay Saunders, Michael Laurence, George Skaff, Robert Phalen, Robert Snively, Jean Le Bouvier, James McAlpine, Edgar Justice, John J. Fox |
Länge | 93 Minuten |
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Die Handlung von Das unsichtbare Auge
Die Fernseh-Regisseurin Leigh Michaels (Lauren Hutton) zieht von New York nach LA in einen teuren Hochhauskomplex. Kurz nach ihrer Ankunft stellen sich anonyme Anrufe ein und sie erhält merkwürdige Geschenke. Zusammen mit ihrer neuen Bekanntschaft Paul (David Birney) findet sie nach und nach heraus, dass ihr ein Stalker vom gegenüberliegenden Hochhaus aus nachstellt. Der Mann scheint nicht nur ihren gesamten Tagesablauf zu überwachen, sondern auch Zutritt zu ihrer Wohnung zu haben.
Es beginnt ein nicht enden wollender Alptraum, in dem Leigh schrittweise den Verstand verliert, weil auch die Polizei keinen triftigen Grund zum Eingreifen sieht.
John fucking Carpenter, ladies and gents
Am Anfang seiner Karriere, in den 1970er-Jahren, verdingte sich Regie-Legende John Carpenter hauptsächlich als Drehbuchautor. Der Verkauf seiner Bücher sicherte ihm seinen Lebensunterhalt. Eigene Regie-Arbeiten waren bis zum berüchtigten Jahr 1978, der Entstehung von Halloween, rar gesät. Der Studentenfilm Dark Star (1973) und der Action-Thriller Assault – Anschlag bei Nacht (1976) standen bis dahin zu Buche.
Glücklicherweise hatte Carpenters Management ausgehandelt, dass er beim Verkauf seiner Drehbücher auch immer als Regisseur in Betracht gezogen werden sollte. Den Zuschlag für den Posten hinter der Kamera erhielt er schließlich für Das unsichtbare Auge, einen knapp budgetierten TV-Film, den er in nur 10 Tagen realisierte. Die Geschichte übernahm Carpenter einfach aus der Realität, einem echten Stalking-Fall, bei dem er nur für die Auflösung noch etwas Sinnvolles hinzudichtete.
So unbedeutend dieses Projekt klingen mag, so wichtig war es nach Carpenters eigener Aussage für seine weitere Karriere. Er lernte streng nach Budget zu arbeiten, täglich Ergebnisse zu produzieren und so den Job im Zeitplan zu erledigen. Zudem sammelte er Erfahrung in Sachen Kameraführung und -technik, was seine Herangehensweise für Halloween stark beeinflusste.
Hitchcock, De Palma und der Voyeurismus
Das unsichtbare Auge ist ein Film, der gerade aus heutiger Sicht schnell in eine Schublade gepackt werden kann. Auf Grundlage wahrer Begebenheiten inszeniert Carpenter einen Stalker-Thriller, wie er klassischer im Geiste Hitchcocks (und nachfolgend De Palmas) nicht sein könnte. Die zwei sich nah gegenüberstehenden Hochhäuser sind das perfekte Setting, um von der einen Seite die andere auszuspionieren. Gleichzeitig tut Carpenter einiges dafür, um die Skyline von Los Angeles in Großaufnahmen einzufangen. Es ist der anonyme Großstadtdschungel, in dem Menschen dicht gedrängt, Wand an Wand, beieinander wohnen und sich dennoch nicht kennen.
Aus dieser Anonymität heraus operiert der Stalker, der sich vorzugsweise junge Frauen ausguckt, um sie schrittweise in den Wahnsinn zu treiben. “Er will dich verletzen ohne dich zu berühren” ist eines der besten Zitate des Films, um sein erschreckend systematisches Vorgehen (bis zum Selbstmord des hoffnungslosen Opfers) zu beschreiben. Der Blick aus der Ferne durch das Tele-Objektiv auf Leigh wird so zum voyeuristisch pervertierten Akt, den auch das Publikum mitmachen muss. Durch die niederen Absichten des Täters ist Das unsichtbare Auge mehr Peeping Tom als Das Fenster zum Hof, als James Stewart mit dem Blick durch seinen Fotoapparat noch helfen wollte.
Die Polizei ist in dieser Konstellation, wie könnte es drehbuchtechnisch anders sein, machtlos, solange keine expliziten Drohungen oder gar Übergriffe stattfinden. Die Suche nach der Identität des Täters steht insgesamt weniger im Fokus. Auch die Auflösung ist weit weg von der Spannung eines Whodunits, zumal solche klassischen Wendungen wie zu Unrecht beschuldigte Personen aus heutiger Sicht leider mehr als schnell durchschaut sind.
Wie der Film damals zu seinem Erscheinen gewirkt haben muss, ist schwer zu beurteilen. Aus dem Jahr 2024 zurückgeschaut erscheint aber vieles zu formelhaft, zu bekannt und durchschaubar, was dem übergeordneten Spannungsbogen schadet.
Der gute alte Carpenter-Thrill
Eine Behauptung sei an dieser Stelle aber aufgestellt: Das unsichtbare Auge wäre in den Händen eines anderen Auftragsarbeiters sicherlich deutlich schlechter ausgefallen. Bei allem Staub, den der Film angesetzt hat, Carpenter holt aus den begrenzten Möglichkeiten noch einiges heraus. Das beginnt schon mit einem perfekten visuellen Übergang von den Opening Credits zur Hochhaus-Fassade, der einem heutzutage noch ein kleines Wow entlockt. Auch die kurzen POV-Shots, die hier im Gegensatz zu Halloween die Sicht des Opfers wiedergeben, treiben die Spannung nach oben.
Carpenter beweist außerdem ein gutes Auge für Kameraschwenks, um in dem begrenztem Setting, der Wohnung von Leigh, für Paranoia-Stimmung zu sorgen. Da öffnet sich links und rechts oder hinter Leigh die Weite des Raumes, in der jederzeit der Stalker erscheinen könnte. In dieser Weite wirkt Leigh verloren, verletzlich und vor allem angreifbar. Auch der Einsatz des Telefons als Terrorelement, was später Wes Craven in der Scream-Reihe meisterhaft nutzte, ist großartig und zermürbend.
So ist der Film in seinem Handlungsverlauf zwar äußerst schematisch. In einzelnen Sequenzen erzeugt Carpenter aber immer wieder genügend Spannung und Nervenkitzel.
Unser Fazit zu Das unsichtbare Auge
Vor Halloween war das Das unsichtbare Auge: John Carpenters Auftragsarbeit für Regie und Drehbuch ist heutzutage fast in Vergessenheit geraten, was vor allem daran liegt, dass die Regie-Legende budgetbedingt einen mehr als klassischen Stalker-Thriller “by the numbers” inszenierte. Im Zeichen von Hitchcock und De Palma beweist Carpenter allerdings früh sein Talent für Spannung und unheilvolle Stimmung auf engstem Raum, sodass dieser günstige TV-Film dennoch den Test der Zeit einigermaßen wohlbehalten übersteht. Auch in Sachen Schauspielerführung holt Carpenter das Bestmögliche aus seinem Haupt-Cast heraus, sodass der Film bis zum Schluss unterhält.
Unsere Wertung:
© Plaion Pictures