Christian Bale in einem Thriller bei Netflix – bis vor wenigen Jahren wäre das noch eine Sensation gewesen. Inzwischen reiht sich beim Streamingdienst eine hochklassig besetzte Produktion an die nächste. Nicht immer werden die Großprojekte dabei den großen Namen gerecht. Wie sieht es nun mit Scott Coopers Der denkwürdige Fall des Mr. Poe aus?
Titel | Der denkwürdige Fall des Mr. Poe |
Jahr | 2022 |
Land | United States of America |
Regie | Scott Cooper |
Genres | Thriller, Krimi, Horror, Mystery |
Darsteller | Christian Bale, Harry Melling, Lucy Boynton, Toby Jones, Simon McBurney, Timothy Spall, Robert Duvall, Harry Lawtey, Gillian Anderson, Charlotte Gainsbourg, Hadley Robinson, Fred Hechinger, Joseph Brooks, Steven Maier, Brennan Keel Cook, Orlagh Cassidy, Scott G. Anderson, Gideon Glick, Jack Irv, Matt Helm, Mathias Goldstein, Charlie Tahan, Bill Cwikowski, Agnes Herrmann, Nicholas Bellavia, John Fetterman |
Länge | 128 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Der denkwürdige Fall des Mr. Poe – Die offizielle Handlungsangabe
An einem grauen Wintermorgen im Jahr 1830 wird ein Kadett an der Militärakademie West Point tot aufgefunden. Doch als man im Leichenschauhaus entdeckt, dass das Herz des jungen Mannes auf gekonnte Art entfernt wurde, wird aus einer Tragödie ein schreckliches Verbrechen. Die Leitung von West Point fürchtet um den Ruf der noch neuen Militärakademie und bittet den örtlichen Ermittler Augustus Landor (Christian Bale), den Mordfall zu lösen. Da ihn der Schweigekodex der Kadetten bei seinen Ermittlungen behindert, beauftragt er einen von ihnen, ihm bei der Lösung des Falls zu helfen – einen exzentrischen jungen Mann mit einer Vorliebe für Poesie, der den harten Alltag des Militärs verabscheut. Sein Name lautet Edgar Allan Poe (Harry Melling).
Atmosphärisch, …
Scott Cooper und Christian Bale. Das ist schon fast eine ähnliche Arbeitsbeziehung, wie beispielsweise Tim Burton und Johnny Depp pflegen. Bereits für das Westerndrama Hostiles – Feinde und für den melancholischen Thriller Out of the Furnace arbeitete der ehemalige Batman-Darsteller mit dem Regisseur zusammen. Die bisherigen Arbeiten von Cooper zeichnete – wie auch die beiden Bale-Kooperationen – der nüchterne, schon eher dem Pessimismus zuzuordnende Grundton aus. Dramatische Schicksalsschläge, die oftmals eine abwärts gerichtete Spirale der Ereignisse nach sich ziehen, prägen die Geschichten des Filmemachers. Und trotz all der Düsternis eint die Werke Coopers auch der sichtbar hohe Anspruch an Authentizität, wundervolle Bilder und ein sehr gutes Gespür für die richtige Kombination aus Kameraarbeit und musikalischer Untermalung.
Kurz: Scott Cooper hat zwar bis dato keine lange Filmografie, aber eine deutliche Handschrift. Und diese Handschrift ist in erster Linie dadurch zu erkennen, dass er stets eine Atmosphäre aufzubauen weiß, die sein Publikum für die Dauer des Films in eine vergangene Epoche entführt.
Auch Der denkwürdige Fall des Mr. Poe stellt dabei keine Ausnahme dar. Das Setting an der Militärakademie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überzeugt komplett. Ausstattung, Kostüm- und Szenebild, dazu der Anspruch an Authentizität auch in Sachen der damaligen Sprachweise. Obendrein stimmt auch hier der Score, der perfekt spiegelt, dass hinter der Fassade der Kadettenschule düstere Geheimnisse lauern. Für einen Historienfilm mit Kriminalgeschichte und minimalen Mystery-Elementen wäre damit ein mehr als grundsolides Fundament vorhanden.
… aber ohne Spannung aufzubauen
So sehr man sich jedoch in dem Setting, den Bildern und der Atmosphäre verlieren kann, im Bezug auf den Fall will sich leider kaum Spannung aufbauen. Der denkwürdige Fall des Mr. Poe ergötzt sich gefühlt zu sehr in seinem look and feel. Cooper scheint den roten Faden innerhalb des Skripts zwar gefunden zu haben, aber er präsentiert diesen so uninteressant, dass sich im Verlauf die ganze Produktion zunehmend nahezu prätentiös anfühlt. Leider ein weiteres Paradebeispiel für style over substance. Hochgestochene Dialoge sollen eigentlich die gesellschaftliche Ausnahmestellung der Elite vor Ort verdeutlichen. Doch dadurch, dass man sich kaum in die Charaktere hineinversetzen kann, wirkt es dann doch schnell nur noch gestelzt, nahezu aufgesetzt.
Bei all der Perfektion im Bezug auf die Oberfläche hat Cooper in diesem Fall keinen Kniff gefunden, um auch mit der Kriminalgeschichte, den persönlichen Dramen oder dem Einblick in das Militärmilieu überhaupt etwas Relevantes zu erzählen. Dass man innerhalb ähnlicher historischer Kulissen und Kontexte wahnsinnig spannende Thriller erzählen kann, kann man an zig Beispielen sehen. So ist die Eco-Verfilmung Der Name der Rose mit Sean Connery zeitlos fesselnd. An Burtons Sleepy Hollow werden hier ebenfalls an einigen Stellen Erinnerungen wach, aber auch dieser Film zieht deutlich fokussierter die Spannungsschrauben an. Der neuen Netflix-Produktion fehlt es einfach an wirklichen Überraschungsmomenten, an Tempo und vor allem auch an emotionaler Tragweite. Selbst wenn einige Bilder an Brutalität nicht sparen und auch im Gedächtnis bleiben, so kommt die Bedrohlichkeit des/der – kein Spoiler – Mordenden nicht beim Publikum an.
Herausragender Cast wird etwas verschwendet
Die meiste Zuwendung innerhalb der gut zweistündigen Lauflänge erfahren Bale und Melling. Während sich Bale jedoch auch schon mehrfach, trotz vergleichbar austauschbarer Skripte, in den Vordergrund spielen konnte, bleibt die Darbietung des Hollywoodstars hier verhältnismäßig austauschbar. Ja, der American-Psycho-Star ist gut, passt in die Rolle und überzeugt vor allem in den Einzelszenen. Insgesamt hätte aber auch seiner Interpretation eines melancholischen Ermittlers etwas mehr „gewisses Etwas“ gutgetan. Die Leistung wirkt streckenweise sehr nach Routinejob, mit Herzblut – so scheint es – war er nicht bei der Sache. Glücklicherweise ist es, nach vormals schon hervorragenden Leistungen in den Netflix-Produktionen Das Damengambit oder The Devil All The Time, der ehemalige Harry-Potter-Nachwuchsdarsteller Melling, der es schafft, mit seiner Performance noch etwas vom angesprochenen Herzblut in Der denkwürdige Fall des Mr. Poe hineinzubringen, das seinem Co-Star abgeht.
Wer hätte Gedacht, dass ausgerechnet „Dudley Dursley“ eine Verfilmung mit so vielen großen Namen vor der kompletten Belanglosigkeit rettet? Aus dem namhaften Cast schafft es letztlich keine weitere Darstellerin und kein weiterer Darsteller sich nachhaltig ins Gedächtnis zu spielen. Leider reicht diese doch bemerkenswerte Einzeldarbietung aber nicht, um über die Drehbuchschwächen, einen unbefriedigenden Schlussakt und die komplett absehbare Auflösung hinwegzutrösten.
Unser Fazit zu Der denkwürdige Fall des Mr. Poe
Mit Sicherheit ist Der denkwürdige Fall des Mr. Poe kein schlechter Film. Doch von Regisseur, Stars und Prämisse darf man sich eigentlich wesentlich mehr erwarten. Und so wird es sich am Ende mit diesem Historienkrimi so verhalten, wie mit dem ebenfalls Star-gespickten The Devil All The Time: bereits wenige Tage nach dem Schauen, weiß man maximal noch die Besetzung. Von der Atmosphäre, die der Film recht schnell aufbauen kann, bleibt genauso schnell nichts mehr in Erinnerung. Und da auch das Ende eher einen faden Beigeschmack hinterlässt, fühlen sich die gut zwei Stunden im Nachgang noch um einiges langatmiger und zielloser an. Drei von fünf Toasts mag nun noch versöhnlich klingen. Doch bedenkt man, wie gesagt, das Potenzial des Projekts, dann kann am Ende nur eine ganz leise Empfehlung mit viel Vorbehalten aussprechen.
Der denkwürdige Fall des Mr. Poe konnte im Dezember im Kino gesehen werden und ist seit dem 6. Januar 2023 bei Netflix abrufbar sein!
Unsere Wertung:
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