Mit Der Distelfink hat man wiedermal versucht, einen als unverfilmbar geltenden Roman auf die Leinwand zu bringen. Weshalb der Film nur etwas für Kenner des Buches ist und leider auch diese enttäuschen wird, lest ihr in dieser Filmkritik!
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Titel | Der Distelfink |
Jahr | 2019 |
Land | United States of America |
Regie | John Crowley |
Genres | Drama |
Darsteller | Ansel Elgort, Oakes Fegley, Nicole Kidman, Jeffrey Wright, Luke Wilson, Sarah Paulson, Willa Fitzgerald, Aneurin Barnard, Finn Wolfhard, Ashleigh Cummings, Aimee Laurence, Robert Joy, Boyd Gaines, Carly Connors, Luke Kleintank, Hailey Wist, Ryan Foust, Jack DiFalco, Austin Weyant, Collin Shea Schirrmacher, Nicky Torchia, Denis O'Hare, Peter Jacobson, Joey Slotnick, Gordon Winarick, Caroline Day, Pamela Dunlap, Misha Osherovich, Aidan Kennedy, Alton Fitzgerald White, Kevin D. McGee, Hannah Kurczeski, Matteo van der Grijn, Kevin Owen McDonald, Nick Vorsselman, Hank Rogerson, Robert Turano, Don Castro, Rick Bolander, Vincent Tumeo, Ben Hollandsworth, Gerson Oratmangoen, Angela Covello, Dylan Boyd, James Donahower, Alma Cuervo |
Länge | 150 Minuten |
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Von was handelt Der Distelfink?
Ein Halbwaise, eine talentierte Musikerin, ein Antiquitätenexperte, ein russischer Weltenbummler und eine Familie der High Society New Yorks scheinen durch das Schicksal miteinander verbunden. Das verknüpfende Element ist ein Blatt Papier, kaum größer als ein iPad: Das Gemälde Der Distelfink von Carel Fabritius.
Die Adaption des preisgekrönten, gleichnamigen Romans von Donna Tartt erzählt die Geschichte des jungen Theodore Dekker (Oakes Fegley/ Ansel Elgort). Der schüchterne Junge verliert bei einem Bombenanschlag auf ein Museum seine Mutter und verbringt den Rest seiner Jugend bei verschiedenen Menschen, an verschiedenen Orten. Diese Menschen, die ihn lieben und prägen, schaffen es jedoch nicht, ihn den traumatischen Verlust seiner Mutter verkraften zu lassen. Nur das Gemälde, das er im Chaos des Attentats aus dem zerstörten Museum entwendet hat, ist eine Konstante in seinem Leben und das einzige, was die Erinnerung an seine Mutter zu erhalten scheint.
Wir begleiten den Protagonisten während er heranwächst, älter wird, sieht ihn mit Drogen experimentieren, Freundschaften schließen und auf die schiefe Bahn geraten. Doch all dies wird überschattet vom Risiko, dass sein großes Geheimnis, das Bild in seinem Besitz, enthüllt werden könnte.
Der Distelfink – Roman und Verfilmung
Der Autor dieser Kritik hat den Bestseller von Donna Tartt, der sogar mit dem Pulitzer-Preis für Belletristik ausgezeichnet wurde, gelesen und kann daher auf Vorwissen zur Geschichte zurückgreifen. Im Rahmen dieser Besprechung soll daher auch geklärt werden, ob dieses Wissen den Film anders bewerten lässt oder ob sogar Nichtleser einen Vor- oder Nachteil haben.
Der Distelfink erzählt eine dicht konstruierte Familiengeschichte
Die Geschichte des jungen Theo, der seine Mutter verliert und dann eigentlich schon eine neue Familie gefunden zu haben scheint, ehe er von seinem plötzlich zurückgekehrten Vater (Luke Wilson) vom sicheren Umfeld in chaotische Verhältnisse kommt, ist eine wirklich spannende Konstellation. Dazu kommt dann auch noch der Mentor und Ziehvater Hobie (Jeffrey Wright) und ein brüderliches Verhältnis zum einzigen Freund, den er in der Einsamkeit bei seinem Vater in Vegas findet, Boris (Finn Wolfhard/ Aneurin Barnard). Wie die Themen Vertrauen, Liebe und Respekt innerhalb dieser unterschiedlichen Verbindungen behandelt werden, ist äußerst gut durchdacht und sorgt für eine detaillierte Persönlichkeitszeichnung des Protagonisten. Über seine Beziehungen wird Theo als zentrale Figur sehr differenziert dargestellt und seine Motivationen absolut nachvollziehbar. Dies sorgt auch für Verständnis für seine Taten im Bezug auf das Gemälde.
Die geänderte Erzählreihenfolge ergibt Sinn
Im Gegensatz zum Roman erzählt der Film die Geschichte in etwas abgeänderter Chronologie. Das sorgt für Leser des Buches einerseits dafür, dass man auf bestimmte Szenen warten muss, aber andererseits auch dafür, dass die Nichtleser eine für Filme typischere Dramaturgie vorfinden und so dem Spannungsaufbau etwas besser folgen können. Diese Variation macht also durchaus Sinn, da man kaum etwas weggelassen und nur der Laufzeit bedingt Straffungen vorgenommen hat.
Die starken Schauspieler passen perfekt,…
Betrachtet man den Schauspielerstab könnten die Vorzeichen eigentlich kaum besser stehen:
Ansel Elgort (Baby Driver) mit seinem verschmitzten, leicht schelmischen Lächeln passt perfekt als ältere Version der Hauptfigur und kann sowohl den ernsten Momenten Nachdruck verleihen, als auch in melancholischen Szenen den Zuschauer mitnehmen.
Nicole Kidman (Destroyer) spielt eine Mutter von vier Kindern, die obwohl sie damit schon genug eingespannt ist, trotzdem noch den Halbwaisen Theo bei sich aufnimmt. Auch wenn Kidman sicher niemandem mehr beweisen muss, wie groß ihre schauspielerische Bandbreite ist, schafft sie es in dieser Rolle sowohl die oberflächliche Lady als später auch einen depressiven Schatten ihrer selbst glaubhaft darzustellen.
Jeffrey Wright (Westworld) mimt einen sanftmütigen Antiquitätenhändler, der ebenso mit einem Verlust klarkommen muss und diesen dadurch zu kompensieren versucht, den kleinen Theo unter seine Fittiche zu nehmen und wie einen eigenen Sohn zu behandeln. Seine Figur ist ebenfalls mit vielen interessanten Facetten ausgestattet. Als Liebling der Fans des Buches ist bei seiner Umsetzung im Film die Fallhöhe nicht gerade gering. Allerdings deckt Wright alles so ab, wie man es sich als Leser vorgestellt hat. Wahrscheinlich gibt es wenige bekannte Stars, die auch nur annähernd so gut in diese Rolle passen.
Und bei der exzentrischsten Figur, Theos russischem Freund Boris, hat man sowohl in der jungen mit Finn Wolfhard, als auch der älteren Besetzung mit Aneurin Barnard tolle Jungschauspieler gecastet, die der Vorlage sehr nahe kommen.
… aber können trotzdem keine Emotionen entfalten
Umso erschreckender ist, dass es trotz allerbester Voraussetzungen nicht gelungen ist, Sympathien für diese Figuren zu wecken. Wenn man nicht die emotionalen Verbindungen eines Lesers zu den Vorbildern im Roman Der Distelfink mitbringt, lassen einen die reinen Filmfiguren nahezu gänzlich kalt. Bei höchstem schauspielerischen Engagement aller Beteiligter ist es vollkommen rätselhaft, wie egal einem nahezu alle Personen sind.
Eine wirkliche Erklärung dafür zu finden, ist schwierig. Eine mögliche Ursache scheint der wirklich seltsame Filmschnitt. Man hat den Eindruck, dass einige Szenen viel zu schnell abgewürgt werden, bevor sich beim Zuschauer die Emotion, die aus der Situation geboren werden sollte, eingestellt hat.
Die Musik von Der Distelfink soll die Dramatik einrahmen…
Nachdem es leider nicht gelingt, von den Figuren eine Atmosphäre tragen zu lassen, die der Dramaturgie der teils wirklich bewegenden Schicksalsgeschichte Ausdruck verleihen, versucht man mit anderen Mittel aus dem Repertoire, diesen Missstand auszugleichen. So wählte man beim Soundtrack eine wiederkehrende Klaviermusik, die dem Genre und den theatralischen Szenarien angepasst scheint.
… macht den Film aber auch nicht wärmer
Doch auch durch die durchaus gute Musikgestaltung wirkt der Film nicht nahbarer. Vielmehr sorgt auf sie auf Dauer sogar eher dafür, dass man als Zuschauer zu offen suggeriert bekommt, dass den Machern bewusst gewesen sein muss, dass von den Schauspielern keinerlei Wärme ausgeht. Der Score hätte eine herzliche Stimmung verstärken können, aber kann diese nicht von allein erzeugen.
Gute Adaption, schlechter Film?
Ist Der Distelfink also ein schlechter Film?
Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Einerseits bleibt man inhaltlich sehr nah an der literarischen Vorlage und schafft es, den Figuren durch gute Besetzungen die beste Bühne zu bereiten. Andererseits kommt trotz der Länge von über zweieinhalb Stunden das Gefühl auf, dass man den langsam aufkommenden Sympathien für die Charaktere, wie es der Roman vorexerziert, durch zu schnelle Charakterentwicklungen nicht gerecht werden kann. Motivationen bleiben unerklärt, bzw. können nur Buchkennern einleuchten.
Leser bekommen also einerseits eine bildliche Umsetzung, die in einigen Szenen den Inhalt des Buches exzellent darstellt. Andererseits bleibt man zu nah an der Vorlage, um einen Mehrwert oder eine eindeutige Interpretation seitens des Regisseurs zu schaffen.
Die Möglichkeit, mit seinen Lieblingen von Seite zu Seite enger zusammenzuwachsen, wie in einem Buch, hat man nun mal mit einem Spielfilm nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre das komplexe literarische Werk besser in einer Miniserie umgesetzt worden. Dieses hektische Voranschreiten durch das über tausendseitige Epos kann dem Grad an Emotionalität kaum gerecht werden.
Unser Fazit zu Der Distelfink
Auch, wenn das nun alles eher negativ klingen mag, so muss man am Ende doch etwas Relativierung betreiben:
Die filmische Umsetzung kann zwar nicht an die Komplexität des Romans heranreichen, schafft es aber dennoch ein überdurchschnittliches Familiendrama mit guten musikalischen Momenten, einigen tollen Bildern und doch weitestgehend passablen filmischen Umsetzungen der Szenen des Buches zu sein.
Für die Fans der Hauptdarsteller ist der Film von John Crowley auch einen Blick wert, und vor allem, wer Ansel Elgort nach Das Schicksal ist ein mieser Verräter nochmals in Amsterdam sehen will, wird auch nicht enttäuscht werden.
Als Buchkenner war ich wahrscheinlich noch zu euphorisch ob der Genialität der Vorlage und der emotionalen Achterbahnfahrt, die man da mit den Figuren erlebt. Trotzdem ist Der Distelfink auch als Film weit davon entfernt, wirklich schlecht zu sein. Es ist objektiv ein Drama von Schicksal und dem Umgang mit menschlichen Verlusten, serviert von Topstars wie Nicole Kidman in Hochform. Kein Meisterwerk wie das Buch, aber ein sehenswertes Filmerlebnis mit moralischen Botschaften.
Unsere Wertung:
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