Fatih Akins neuer Film Der goldene Handschuh war ohne Zweifel einer der am heißesten erwarteten Filme auf der diesjährigen Berlinale, wo der Streifen seine Weltpremiere feiern durfte. Bereits der nur wenige Wochen vor Kinostart erschienene Trailer sorgte, ob seiner anrüchigen Bilder, für eine gespannte Erwartungshaltung, aber auch Skepsis. Welche Haltung eher angebracht ist, erfahrt ihr im Folgenden:
Titel | Der Goldene Handschuh |
Jahr | 2019 |
Land | France |
Regie | Fatih Akin |
Genres | Krimi, Thriller |
Darsteller | Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong, Tristan Göbel, Greta Sophie Schmidt, Marc Hosemann, Max Hopp, Hark Bohm, Uwe Rohde, Lars Nagel, Dirk Böhling, Peter Badstübner, Simon Görts, Victoria Trauttmansdorff, Jessica Kosmalla, Barbara Krabbe, Tilla Kratochwil, Adam Bousdoukos, Philipp Baltus, Herma Koehn, Laurens Walter, Jürgen Uter, Jens Weisser, Heinz Strunk, Tom Hoßbach, Klaus Bobach Rios, Don Duncan Adams, Dustin Leitol |
Länge | 110 Minuten |
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Worum geht es in Der goldene Handschuh?
Hamburg-Altona, 1970. Ein Mann sitzt völlig alkoholisiert in seiner schäbigen und stinkenden Wohnung. Für die Toilette scheint Hygiene eine Fremdwort zu sein, die Wände sind zugekleistert mit pornografischen Fotos und der hochgeschätze Doppelkorn steht hinter verschlossenen Türen in der Vitrine, auf dass auch niemand diesen entwenden möge. Vor ihm liegt der nackte Leichnam einer Prostituierten, den es nun zu entsorgen gilt.
In solcherlei “malerischen” Situationen befindet sich der von der Gesellschaft abgehängte Fritz Honka des Öfteren. Sein Gesicht ist entstellt, er hat kaum Geld, und zu allem Überfluss ziehen auch noch wohlhabendere Ausländer unter ihm ein. Da hilft nur noch eines: Er muss sich mit seinen Leidensgenossen bis zur Besinnungslosigkeit besaufen. Und wo natürlich? Im Goldenen Handschuh, seiner Stammbar, in welcher er nach Frauen sucht, die er dann in sein Dachgeschoss locken kann, um seine Fantasien und “Bedürfnisse” auszuleben. Das ist das St. Pauli Anfang der 70er Jahre.
Ein Skandalfilm, wie er im Buche steht
Wenn bei der ausgebuchten Pressevorführung etwa 40 Personen während der Vorstellung den Saal verlassen und anschließend Worte wie “disgusting” oder “pretentious” durch die Kinohallen zu vernehmen sind, so ist klar, dass es sich bei der vorherigen Projektion um ein Werk handelt, welches aneckt und diesen Effekt durchaus beabsichtigt. Es ist der mit Abstand vulgärste Film des international angesehenen Regisseurs aus Deutschland. Vorherige Streifen wie etwa Tschick oder Aus dem Nichts und speziell seine Liebe, Tod und Teufel – Trilogie sind allseits geschätzte und handwerklich grandiose Filme, die dem Genrekino aus Deutschland einen eigenen Touch verleihen. Warum also kommt er nun mit einem so offensichtlich abschreckenden Thema daher? Tatsächlich fühlt man sich stark an die Berichte letzten Jahres aus Cannes zu The House That Jack Built erinnert. Trotzdem wollten alle Der goldene Handschuh auf der Berlinale sehen und es mussten zusätzliche Vorstellungen gegeben werden.
Die Romanvorlage
Zu dieser gespannten Erwartungshaltung trug unweigerlich auch der preisgekrönte Roman von Heinz Strunk über den real existierenden “Jack The Ripper” von Hamburg selben Titels bei. Durch parallele Handlungsstränge lieferte er einen intelligenten Kommentar auf die Zustände einer Nachkriegsära und die daraus resultierenden destruktiven Gewalt- und Drogenfantasien eines Massenmörders, dessen Selbstwertgefühl durch die sozialen Verhältnisse, in denen er sich bewegt, völlig gebrochen ist.
Leider muss man sagen, dass dem Film nicht viel von dieser Sozialstudie der etwas anderen Art geblieben ist. Hintergrundgeschichten und die historischen Bezüge oder eventuelle Zusammenhänge werden nur marginal in Nebensätzen erwähnt. Das liegt vor allem daran, dass die im Roman noch existenten Nebenhandlungen hier gänzlich entfernt worden sind. Werden die Handlungen des Jack in Lars von Triers The House That Jack Built (ein Vergleich, der sich der Thematik wegen geradezu aufdrängt) noch reflektierend und aus verschiedenen Perspektiven aus dem Off kommentiert, so ist man hier dem Geschehen direkt und relativ zusammenhangslos ausgesetzt. So verliert sich der Streifen leider zusehends in widerwärtigen und schockierenden Milieu-Darstellungen sowie der Inszenierung von Gräueltaten und lässt dabei einen tieferliegenden Deutungungsansatz vermissen. Akin, der den Roman als Drehbuchautor adaptiert hat, ist vielmehr an der Erschaffung einer Atmosphäre und der Darbietung “hässlicher” Gesellschaftsverhältnisse interessiert.
Ein persönlicher Film für Fatih Akin?
Dafür kann er in eben diesen Bereichen punkten. Sämtliche Sets wirken extrem authentisch und mit einer wunderbaren Liebe zur Hässlichkeit gestaltet. Die stinkende Wohnung von Honka oder die heruntergekommene Bar sind regelrecht spürbar und gerade deshalb so besonders abstoßend. In diesem Sinne geht das Konzept des Regisseurs gänzlich auf und das Publikum erhält hinsichtlich dieses Bereichs sicherlich mit das Beste, was das Kino aus Deutschland derzeit zu bieten hat. Wenn man es sich genauer überlegt, ist das aber auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich wurde der Gewinner des Goldenen Bären von 2004 auch 1973 in Hamburg-Altona geboren. Eine makabere Liebe zu seinem Heimatviertel und dem damals dort vorherrschenden Zeitgeist ist unverkennbar.
In diesem Zusammenhang lässt sich der Regisseur in manchen Szenen geradezu sentimental fallen. Zahlreiche Dialoge sind geprägt durch den norddeutschen Akzent und über einige Formulierungen muss man einfach schmunzeln. Außerdem besteht der gesamte Soundtrack aus klassischen Schlagern dieser Zeit. Sie bilden einen hervorragend funktionierenden Kontrapunkt zum ekelerregenden Geschehen und sind teilweise sogar für einen kleinen Lacher gut. Insbesondere kann man sich deshalb streiten, ob diese Art von Humor in einem solchen Film angebracht ist. Schließlich nimmt es dem Geschehen ein wenig den Schrecken, welchen es doch eigentlich verbreiten soll.
Das Monster von Hamburg
Auch sonst kann man sich der Hingabe und der persönlichen Lust Akins, drastische Szenen zu inszenieren, kaum verwehren. Honka wird besonders im ersten Viertel äußerst stilsicher in Szene gesetzt. Er ist das Monster, das des Nachts kleine Kinder vom Hausflur verjagt, der unsichtbare, mysteriöse Mörder, der mit einem Schwenk der Kamera auf einmal vor einem jungen Mädchen auftauchen könnte, das Miserable in der Gesellschaft, dem man am liebsten helfen möchte und mit dem man, auf Grund seiner primitiven Bedürfnisse, Mitleid empfinden könnte, also schließlich: der reale Nosferatu aus Hamburg. Besonders in der Darstellung eines tiefsitzenden Verlangens hat Akin zu Beginn einige gute Ideen, die letztendlich aber in einem Meer von fast schon exploitationartigen Szenen verschwinden.
Eine hochwertige Produktion aus Deutschland
Dass diese allerdings handwerklich tadellos inszeniert sind, ist kaum zu bestreiten. Akins Standardkameramann Rainer Klausmann verleiht dem für den Regisseur sonst so ungewöhnlichen Film doch noch eine wiedererkennbare Note. In langen Weitwinkeleinstellungen ohne eine ausgeprägte Tiefenschärfe dürfen wir in einem Take dabei zusehen, wie eine Frau zunächst vergewaltigt wird, Honka anschließend zum Kühlschrank geht, um etwas zu essen und sie schließlich erdrosselt, um nur ein Beispiel zu nennen. Die grotesken Bilder verfehlen ihre Wirkung niemals, denn das Publikum will eigentlich nicht hinsehen, tut es aber dann schließlich doch. Ein faszinierendes Phänomen, welches der Streifen mit anderen Vertretern des Horrorgenres teilt, auch wenn der Gruselaspekt in diesem Fall keine tragende Rolle spielt.
Ebenso scheint es dem Cast ergangen zu sein. Die Courage von Jonas Dassler, Margarethe Tiesel oder Martina Eitner-Acheampong muss man neidlos anerkennen, denn viele der dort dargestellten Dinge kosteten bestimmt einiges an Überwindung. Besonders diese drei spielen sich die Seele aus dem Leib und schrecken dabei weder vor Nacktheit noch vor Hässlichkeit zurück. Hervorzuheben ist an dieser Stelle insbesondere die Maske von Jonas Dassler, welche ihn eindrucksvoll um Jahre altern lässt. So scheint der gesamte Cast hinter Akin zu stehen, um ihm seine Version vom verkommenen und erschreckenden Hamburg der 70er Jahre zu ermöglichen.
Fazit
Der goldene Handschuh ist letztendlich ein ambivalentes Werk. Ist es handwerklich zweifelsohne zufriedenstellend, so kommt man doch nicht umhin angesichts der drastischen und grotesken Bilder nach einem tieferliegenden Sinn zu forschen, welchen Fatih Akin allerdings größtenteils außen vor lässt. Lieber reiht er eine Schauergeschichte an die nächste, deren Bilder den meisten übel aufstoßen dürften. Darüber wird sich wohl nur eine kleine Gruppe der Zuschauer und Zuschauerinnen mit einem eigensinnigen Geschmack für ästhetischen Horror freuen. Die feinfühlige Milieustudie des Romans ist verschwunden und Honka verscheucht als alkoholsüchtiges, deformiertes Monster jegliche wohligen Träume eines Kindes. Daher dient der Streifen vielleicht als Therapieeinheit für Akin, als interessanter und kühner Horror leider weniger.
Der Film läuft seit dem 21. Februar in den deutschen Kinos!
Unsere Wertung:
@ 2019 Warner Bros. Pictures