In Der menschliche Faktor wird eine Familientragödie aus mehreren Blickwinkeln beleuchtet. In dieser Kritik könnt ihr lesen, ob das Konzept des Films, der in der Sektion Panorama bei der Berlinale 2021 gezeigt wurde, aufgeht!
Titel | Der menschliche Faktor |
Jahr | 2022 |
Land | Denmark |
Regie | Ronny Trocker |
Genres | Drama |
Darsteller | Mark Waschke, Sabine Timoteo, Marthe Schneider, Wanja Valentin Kube, Hassan Akkouch, Spencer Bogaert, Karen Margrethe Gotfredsen, Hannes Perkmann, Isaak Dentler, Daniel Séjourné, Steve Driesen, Jule Hermann, Katia Fellin, Simon Van Buyten, Marie Rosa Tietjen, Cevriye Torun |
Länge | 102 Minuten |
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Die Handlung von Der menschliche Faktor
Jan und Nina fahren mit ihren zwei Kindern in ihr Wochenendhaus an der belgischen Küste, um zur Ruhe zu kommen. Doch die wird durch einen mysteriösen Einbruch bei der Ankunft der Familie zunichtegemacht. Danach hat Nina eine blutige Nase und Zorro, die zahme Ratte von Sohn Max, ist verschwunden. Was ist passiert? Niemand kann der Polizei die Eindringlinge genauer beschreiben. In Deutschland wird die erfolgreiche Werbeagentur, die das bilinguale Paar gemeinsam führt, Ziel einer Farbbeutelattacke. Jan hatte zuvor im Alleingang die Entscheidung getroffen, die Wahlkampagne für eine politische Partei mit populistischen Tendenzen zu übernehmen – ein Schritt, der allem widerspricht, was Nina wichtig ist.
Sprunghaft zwischen Zeitpunkten und Perspektiven
Die deutsch-französische Produktion beginnt als lineare Erzählung: Die vierköpfige Familie kommt am Ferienhaus an, wird kurz darauf durch eine böse Überraschung erschüttert und anschließend sieht man noch etwas von den Ermittlungsarbeiten, ehe ein Farbbeutelanschlag auf die Agentur der Eheleute erneut das Privatleben aufwühlt. Dann jedoch – und das ohne große Ankündigung oder Kennzeichnung – beginnt die Geschichte quasi nochmal beim Ausgangspunkt. Der zweite Durchlauf der Ereignisse zeigt dem Zuschauer eine weitere, neue Perspektive. Die Änderungen rücken erste Verdachtsmomente in ein anderes Licht und ergänzen die Fragen, die man sich ohnehin schon stellt, durch weitere.
Der menschliche Faktor versucht mit falschen Fährten zu verwirren…
Dass man durch die elliptische Erzählform mehr Fragen als Antworten erzeugt, ist ein vielversprechender stilistischer Ansatz. Ganz gezielt sollen wir davon ausgehen, dass es zwischen den Attacken auf die Familie und dem politischen Engagement ihrer Werbefirma einen Zusammenhang geben muss. Mit diesen überdeutlichen Kausalitäten wagt Ronny Trocker einen zaghaften Versuch auf aktuelle politische Debatten anzuspielen. Wer in irgendeiner Form heute noch denkt, man könne ökonomische Vorteile forcieren, indem man sich traut, mit einem politisch heiklen Partner zu kooperieren, auch ohne die inhaltlichen Aussagen zu teilen, der hat die Rechnung ohne die Stimme der Öffentlichkeit gemacht. Der menschliche Faktor macht also ziemlich klar, dass Jan und Nina dabei sind, sich mit einer wirtschaftlichen Entscheidung viele Feinde zu machen.
Selbstverständlich wäre dieses Ursache-Wirkungs-Konstrukt zu offensichtlich, sodass die neuen Perspektiven Stück für Stück auch Alternativen offenbaren. Mit dem Verwirrspiel wird versucht, unsere Voreingenommenheit zu entblößen. Dieses ambitionierte Vorhaben kann durchaus durch ein sich schrittweise ergänzendes Erzählpuzzle gelingen.
… funktioniert allerdings nicht als Einheit
Leider muss an dieser Stelle konstatiert werden, dass der Plan, mit immer neuen Wendungen eine kritische Reflexion vorschneller Urteile beim Zuschauer zu bewirken, aufgrund des unausgegorenen Drehbuchs im Sande versiegt. Es werden schlicht zu viele Fässer halbherzig aufgemacht, nichts wirklich zu Ende gedacht und positive Ansätze in ihrem Potenzial verkannt. Zudem überzeugen auch die Perspektivwechsel nicht durch überraschende Erkenntnisse, die für Aha-Momente sorgen. Alles, was unerwartbar sein soll, hat man schon viel zu oft so gesehen, als dass es noch wirklich schocken könnte.
Dazu kommt, dass die Entwicklungssprünge bei den innerfamiliären Beziehungen nicht klar genug herausgearbeitet werden. Auch hier dominiert der Eindruck, dass man sich in der bewusst fragmentarischen Form ziemlich verzettelt hat. Die Eheprobleme wirken genauso nur konstruiert, um die falschen Fährten zu verstärken oder später einfach noch ein paar unwichtige Szenen vorzubereiten. Die Auflösung am Ende ist bewusst etwas offen gehalten, hinterlässt dabei aber ein unbefriedigendes Gefühlt. Weder in seiner Funktion als Parabel über Vorverurteilung ohne den Gesamtzusammenhang zu kennen, noch als Familiendrama, über die Schwierigkeit, Privatleben und berufliche Richtungsentscheidungen zu trennen, funktioniert Der menschliche Faktor letztlich.
Schauspieler dürfen wenig ihres Talents zeigen
Erinnert man sich an die herausragende Darbietung des vermeintlichen Antihelden von Mark Waschke in Dark zurück, so wirkt er hier alles in allem unterfordert. Die Ehestreitigkeiten bieten zwar Raum, um mit emotional vorgebrachten Argumenten, trotz der problematischen Stellung, mit seiner Figur zu sympathisieren, aber wirklich greifbar wird er weder als Agenturchef noch als Familienvater. Dabei hätte man soviel aus einem Gatten, der sich mit der Pistole auf der Brust gegen den Konsens mit seiner Frau und für die berufliche Perspektive entscheidet, machen können.
Ebenso wären auch mehr Etappen der Entwicklung notwendig gewesen, um den radikalen Wandel von Sabine Timoteos Nina nachvollziehbar zu machen. Leider ist auch hier das Skript so lückenhaft, dass man sich den tatsächlichen finalen Grund, der zum für uns Zuschauer überhastet wirkenden Eheaus führt, selbst zusammenreimen muss. Der Streit über die Richtungsentscheidung der gemeinsamen Agentur wirkt dafür einfach zu harmlos, um eine funktionierende Ehe ad hoc zu beenden. Es liegt also weniger an der Qualität des Cast als vielmehr an den unfertig geschriebenen Figuren, die uns vorgestellt werden.
Unser Fazit zu Der menschliche Faktor
Der Film von Ronny Trocker ist ein erzählerisches Experiment, das schiefgegangen ist. Die Fragmente fügen sich zu keinem runden Gesamtbild zusammen, die Botschaft verpufft durch fehlendes Zielbewusstsein und die Figuren bleiben durch die Lücken im Skript uninteressant und distanziert. Dass Der menschliche Faktor keine Vollkatastrophe ist, liegt daran, dass man das Potenzial durchaus in Ansätzen erkennt und einzelne Dialoge haften bleiben.
Der menschliche Faktor lief in der Sektion Panorama auf der Berlinale 2021. Ein Kinostart ist noch nicht bekannt.
Unsere Wertung:
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