Christian Schwochow adaptiert den weltbekannten Roman von Siegfried Lenz für die große Leinwand und schart dabei die erste Riege der Schauspielkunst aus Deutschland um sich. Romanvorlagen angemessen zu verfilmen, ist mitunter kein leichtes Unterfangen und dennoch nimmt sich der Regisseur dieser Aufgabe an und lässt das Publikum in vergangene Zeiten eintauchen und über komplexe moralische Fragen grübeln. Ob die Deutschstunde gelungen und lehrreich ist, erfahrt ihr im Folgenden.
[su_youtube URL=”https://www.youtube.com/watch?v=ah69x5KerDY&t=17s”]
Titel | Deutschstunde |
Jahr | 2019 |
Land | Germany |
Regie | Christian Schwochow |
Genres | Drama |
Darsteller | Ulrich Noethen, Tobias Moretti, Levi Eisenblätter, Tom Gronau, Johanna Wokalek, Sonja Richter, Maria Dragus, Louis Hofmann, Artus-Maria Matthiessen, Marek Harloff, Tom Zahner, Peter Badstübner, Michael Wittenborn, Klaus Peeck, Joachim Regelien, Mette Lysdahl, Sebastian Rudolph, Moritz Führmann, Jeff Zach, Hubert Weber, Frank Genser, Jonas Leonhardi, Chiu Kam Yuen, Hendrik Mohr, Nikolai Mohr, Christian Serritiello, Luca Joel Hartmann, Jakob Pohl, Philip Lica, Simon Kerrison |
Länge | 125 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Amazon Prime Video, Amazon Prime Video with Ads Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, maxdome Store, Videobuster, MagentaTV, Videoload, Verleihshop Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, maxdome Store, Videobuster, MagentaTV, Videoload, Verleihshop, Freenet meinVOD |
Worum geht es in Deutschstunde?
Siggi Jepsen sitzt ein paar Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Jugendgefängnis und erhält dort den Auftrag, einen Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ zu verfassen. Weil ihm angeblich so viel dazu einfallen würde, dass er gar nicht wisse, wo er anfangen solle, lässt er sich in Einzelhaft sperren, um seine volle Konzentration auf das Niederschreiben seiner Erinnerungen zu legen. Die zentrale Figur in diesen Erzählungen ist sein Vater Jens Jepsen. In seiner Position als lokaler Polizeibeamter appelliert er noch gegen Ende des Krieges an die Pflichterfüllung der Befehle des Regimes. Demgegenüber steht Siggis Patenonkel, der Maler Max Nansen. Aufgrund seiner provokanten, experimentellen Werke wird er vom Regime zu den Vertretern der entarteten Kunst gezählt und somit verboten. Jens Jepsen wird mit der Sicherstellung dieses Malverbotes beauftragt. Dieser und auch Siggi müssen sich schließlich entscheiden, ob sie der Pflicht folgen oder das Herz entscheiden lassen.
Audiovisuell mitunter das Beste aus Deutschland
Der Roman von Siegfried Lenz gilt als Klassiker der Nachkriegsliteratur. Von den ersten Minuten an ist zu spüren, wie streng sich Regisseur Christian Schwochow hier am Original orientiert. In beeindruckend konzipierten Bildern visualisiert er die Landschaften Norddeutschlands, so als wollte er die Beschreibungen des Romans zu fassen bekommen. In diesem Sinne denkt der Film eher literarisch als cineastisch. Einerseits kann man sich daran stören und dem Streifen auch eine gewisse Langatmigkeit nicht gänzlich absprechen, doch andererseits handelt es sich im Film um die Beschreibungen eines Erzählers. Somit ist es unter diesem Gesichtspunkt auch möglich, in den Bildern und deren Geschichten zu versinken. Selbst die Tongestaltung greift dieses zeichnende und nachempfindende Erzählen auf, indem manche Klänge übertrieben und dadurch erfahrbarer gemacht werden. Vom Rauschen des Windes über die Schläge des Vaters bis hin zum Kratzen der Stifte auf einem Blatt Papier ergibt sich ein wahres auditives Spektakel.
Lässt man sich also einmal auf diese ruhige, beschreibende Erzählweise ein, kann man ein Fest der Sinne erleben. Dafür sorgt nämlich auch die faszinierende Bildkomposition von Schwochows Standardkameramann Frank Lamm. So einnehmende Bilder hat man im Kino aus Deutschland schon lange nicht mehr gesehen. Von gleitenden Kamerafahrten bis zu gezielt gesetzten Standbildern weiß Lamm, wie er eine Position einnehmen kann, die es dem Publikum ermöglicht, besonders intensiv am Geschehen teilhaben zu können. Speziell den Einsatz der Farbkorrektur beherrscht er, sodass sich manche Einstellungen wie die Betrachtung eines Gemäldes anfühlen. Auf intelligente Weise wird dadurch eine Brücke geschlagen zwischen der erzählenden Perspektive und der Thematik des Malens als Ausdruck der inneren Verarbeitung von Geschehnissen. Diese nimmt nämlich einen zentralen Platz innerhalb der Handlung ein, weshalb der Streifen mitunter stark an Florian Henckel von Donnersmarcks Film Werk ohne Autor erinnert.
Ein moralisches Dilemma
Zu verarbeiten gibt es nach Deutschstunde nämlich einiges. Dem Roman entsprechend befasst sich der Film mit existenziellen, schweren, gesellschaftsrelevanten Themen. Wie es bereits der Titel des zu schreibenden Aufsatzes verrät, geht es insbesondere um das Thema „Pflicht“. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und anschließend in der Nachkriegszeit angesiedelt, stellt sich der Streifen dem kritischen Thema der Pflichterfüllung, also der Treue einem menschenfeindlichen System gegenüber. Der Vater auf der einen steht dem Maler auf der anderen Seite gegenüber. Wie schwer es der damalig jungen Generation gefallen sein muss, einen möglichst eigenständigen inneren Wertekodex zu entwickeln, ist nach Sichtung des Films durchaus vorstellbar. Glücklicherweise verliert sich dieser dabei nicht in einer zu starken Fokussierung auf die Verbrechen der Nazis. Er rückt vielmehr deren Auswirkungen auf das private Leben in den Vordergrund.
Deutschstunde kreiert nämlich immer wieder Situationen, in denen die Pflichterfüllung einerseits, dem eigentlich Menschlichen, also der Welt des Emotionalen, gegenübersteht. Wenn es zum Beispiel darum geht, den besten Freund zu bespitzeln oder seinen eigenen Sohn zu verraten, könnten die Gegensätze nicht krasser sein. Wer Interesse hat, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen, der kann innerhalb der rund zweistündigen Laufzeit eine Fülle an spannenden Momenten erleben, die den Zuschauer oder die Zuschauerin packen und mit einem flauen Gefühl im Magen zurücklassen. Natürlich profitiert der Streifen dabei in hohem Maße von seiner weltbekannten Romanvorlage. Diese musste zwar aufgrund ihrer enormen Länge ordentlich gekürzt werden und dennoch hat man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, man würde durch die Handlung hasten. Im Gegenteil: Das schwere Drama ist eher ruhig erzählt und legt viel Wert auf Atmosphäre oder das Ausspielen der Konflikte und nicht zuletzt auf seine großartigen Darsteller.
Die A-Liga des Schauspiels aus Deutschland
Speziell Ulrich Noethen liefert eine besonders einnehmende Performance. Sein Radikalismus äußert sich in jeder Pore seines Schauspiels und zugleich sieht man ihm in den intimen Momenten eine tiefer Traurigkeit darüber an, dass ihm all dies auferlegt und er überhaupt vor eine solche Entscheidung gestellt wird. Tobias Moretti hingegen spielt den deutlich gefestigteren Maler ebenso zurückhaltend, aber auch etwas vielschichtiger. Diese beiden stellen in Deutschstunde einmal mehr unter Beweis, weshalb sie zu den großen Darstellern des Kinos aus Deutschland gezählt werden dürfen. Johanna Wokalek muss sich aber keineswegs verstecken, auch wenn sie manchmal stark an der Grenze zum Overacting agiert. Der restliche Cast kann ebenfalls überzeugen, hat aber zumeist wenig Möglichkeiten, sich zu präsentieren, da die Charakterzeichnung letzten Endes doch etwas zu einseitig geraten ist.
Leichte erzählerische Schwächen und das Verharren im Vergangenen
Die Drehbuchautorin Heide Schwochow ist eher an den verstörenden Situationen interessiert, als den Figuren mehr Hintergrund zu verpassen. So einnehmend die Person des Jens Jepsen auch ist, so wenig erfährt man leider tiefgreifenderes über seine Vorstellung von Recht und Ordnung. Mag diese Eindimensionalität im Roman, welcher aus der Ich-Perspektive erzählt wird, noch der Erzählweise geschuldet sein, so äußert sich dies im Film als verpasste Möglichkeit eine neue Herangehensweise zu wagen. Zu repetitiv wirkt der ein oder ander Moment, weshalb sich besonders im letzten Akt durchaus einige Längen einschleichen. Überhaupt ist dieser der erzählerisch schwächste Teil des Films. Weniges kann er noch neues hinzufügen und so plätschert das Ende schließlich mehr schlecht als recht zu einem unbefriedigenden und zum Teil auch nicht ganz nachvollziehbaren Ende. Auch hier stoßen die Möglichkeiten der Romanverfilmung an ihre Grenzen, da der Spannungsaufbau eines Films deutlich anders gestrickt ist, als der eines Romans.
Leider fällt im Nachhinein auch die Rahmenhandlung eher belanglos und letztlich sogar uninteressant aus. Sie verdeutlicht besonders, wie schwer es dem Kino aus Deutschland fällt, sich nicht ausschließlich mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung zu beschäftigen. Zwar handelt es sich um grundlegende Probleme, die es wert sind, aufgegriffen zu werden und dennoch mangelt es abschließend an einer gewissen Aktualität. Dabei könnte man doch viele Themen auf die derzeitige Gesellschaft übertragen. Eine solche Translationsleistung wird dem Publikum allerdings vollständig selbst überlassen. Der Film versumpft vermehrt in seiner schweren Atmosphäre der vergangenen Probleme, als dass er sich an die heutigen Menschen wendet. Es ist in dieser Hinsicht somit nicht verwunderlich, dass der Streifen dem deutlich moderneren und diskussionswürdigeren Systemsprenger von Nora Fingscheidt bei der Wahl zur Einreichung für den Oscar als bester fremdsprachiger Film unterlag.
Unser Fazit zu Deutschstunde
Alles in Allem richtet sich der Film merklich an Liebhaber und Liebhaberinnen der Romanvorlage. Wunderschön und atmosphärisch gelungen werden die beschriebenen Bilder und Klänge auf die Leinwand gebannt und mit viel schauspielerischem Engagement zum Leben erweckt. Allerdings entstehen gerade durch die starke Orientierung am Original auch erzählerische Unzulänglichkeiten. Abschließend suhlt sich der Film zu stark in seiner schweren Thematik, ohne aktuelle Verweise aufzuzeichnen. Christian Schwochows Film denkt im Grunde leider weniger cineastisch als eher literarisch. Dennoch spricht er schwerwiegende Themen an und ist in vielen Momenten überaus hart anzusehen, weshalb er in den ersten beiden Akten durchaus Faszination zu wecken vermag, bis der abschließende Akt doch schlichtweg zu belanglos ausfällt. Das Kino aus Deutschland kann also Inszenieren, tut sich allerdings schwer bei der Stoffwahl und dem erzählten Inhalt. Mehr rückwärts als vorwärts gerichtet, bleibt es eben doch „nur“ eine einfache Deutschstunde, die allerdings bei Interesse einen Besuch wert ist.
Der Film läuft seit dem 03. Oktober in den deutschen Kinos.
Unsere Wertung: