Ob IMDb-Top 250 oder die Sight & Sound-Bestenliste, wo er von den Kritikern auf Platz 9 der besten Filme aller Zeiten gewählt wurde – Carl Theodor Dreyers Stummfilm Die Passion der Jungfrau von Orléans zählt zum Kanon der großen Filme der Filmgeschichte. Ob er sich auch für euch lohnen könnte, erfahrt ihr hier.
Titel | Die Passion der Jungfrau von Orléans |
Jahr | 1928 |
Land | France |
Regie | Carl Theodor Dreyer |
Genres | Drama, Historie |
Darsteller | Maria Falconetti, Eugène Silvain, André Berley, Maurice Schutz, Antonin Artaud, Michel Simon, Jean d'Yd, Louis Ravet, Armand Lurville, Jacques Arnna, Alexandre Mihalesco, Léon Larive, Jean Aymé, Gilbert Dacheux, Gilbert Dalleu, Paul Delauzac, Dimitri Dimitriev, Fournez-Goffard, Henri Gaultier, Paul Jorge, Marie Lacroix, Henri Maillard, Raymond Narlay |
Länge | 88 Minuten |
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Die Handlung von Die Passion der Jungfrau von Orléans
Dem jungen Bauernmädchen Jeanne d’Arc (Maria Falconetti) wird 1431 der Prozess gemacht. Sie behauptet, von Gott geschickt geworden zu sein, um ihrem Heimatland Frankreich zu helfen. Den englischen Richtern ist sie jedoch in mehrfacher Hinsicht ein Dorn im Auge. Frankreich und England befinden sich zu dieser Zeit schon seit etwa hundert Jahren in dem gleichnamigen Krieg und Jeanne spielte dabei bis zu ihrer Festnahme eine wichtige Rolle für Frankreich. Doch auch ihr Anspruch, eine Gesandte Gottes zu sein, ist für die Kirche ein großer Affront. Der folgende Inquisitionsprozess wird somit zu einer politischen Machtprobe.
Ein zermarterndes Kammerspiel
Carl Theodor Dreyer klammert das historische Drumherum allerdings nahezu aus. Der Film widmet sich weder opulenten Schlachten noch einer ausführlichen biografischen Nacherzählung der Person Jeanne d’Arc. Er konzentriert sich voll und ganz der Gerichtsverhandlung, deren Mitschriften noch heute erhalten sind. Bereits im Vortitel wird verlautet, dass es Die Passion der Jungfrau von Orléans nicht um die Nationalheldin mit Helm und Rüstung geht, sondern um den einfachen Menschen dahinter – mit den Ängsten, Zweifeln und der körperlichen Zerbrechlichkeit.
Und die sind angesichts ihrer Situation mehr als nachvollziehbar. Immer wieder wird sie von den Geistlichen ins Kreuzverhör genommen und bewegt sich mit ihren Antworten auf Messers Schneide zwischen Schuldeingeständnis und Häresie. Ein schwacher Moment, eine falsche Aussage und ihr droht die Todesstrafe.
Mehr als nur ein Prozess
Der Ausgang der „Verhandlung“ ist natürlich bereits vorbestimmt und Jeannes Schicksal von Anfang an besiegelt. Die katholische Kirche will um jeden Preis ein Geständnis in die eine oder andere Richtung erzwingen, um nicht ihr Gesicht zu verlieren. Der Prozess wird zum Politikum, schließlich geht es um nicht weniger als den Anspruch auf die Glaubenswahrheit. Nachdem das „milde Verhör“ nicht das gewünschte Resultat erbringt, folgen List, Erpressung und schließlich Folter.
Ich habe niemandem etwas Böses getan
Erst am Ende des Films wird das Verhandlungsszenario aufgebrochen und die Bedeutung für das große Ganze aufgezeigt. Es folgt der Blick auf das Volk, dessen Unmut in einem Aufstand mündet. Es wird folgerichtig das Leid und die Zerstörung gezeigt, die die Sinnlosigkeit dieses Prozesses nochmals wirkungsvoll unterstreichen.
Große Emotionen in Nahaufnahme
Dreyer inszeniert das Martyrium auch als ein solches. Die Verhöre, die sich ohne große Pausen aneinanderreihen, sind teils fast quälend lang und darum auch besonders eindringlich. Der Schnitt ist fordernd, aber extrem effektiv. Uns wird dabei keine Pause gegönnt. In langen Schnitt-Gegenschnitt-Sequenzen stehen sich die beiden Parteien gegenüber und es folgt emotionale Nahaufnahme auf emotionale Nahaufnahme. Auf der einen Seite sind da die selbstgefälligen, teils gehässigen, teils wutentbrannten Geistlichen, auf der anderen Seite Jeanne, der mit zunehmender Laufzeit immer mehr die Belastung des Prozesses ins Gesicht geschrieben steht.
Schnell empfindet man große Ungerechtigkeit angesichts der Verhandlungsmethoden. In anderen Momenten, wenn Jeanne davon spricht, quasi als weibliches Jesus-Pendant von Gott geschickt worden zu sein und göttliche Botschaften zu erhalten, kippt es in eine eher andere Art von Mitleid angesichts ihres offensichtlichen (Größen)Wahns.
Falconetti ist Jeanne d’Arc
Der Film funktioniert nur dank der großartigen Hauptdarstellerin Maria Falconetti. Eigentlich eine Theaterschauspielerin und mehr oder weniger zufällig von Dreyer am Broadway entdeckt, verschmilzt sie hier nahezu mit ihrer höchst anspruchsvollen Rolle.
Es gelingt ihr, die innere Zerrissenheit jederzeit erfahrbar zu machen. Wir spüren ihre pure Angst vor dem drohenden Urteil, sehen sie bitterliche Tränen weinen, nehmen aber auch ihre unerschütterliche Überzeugung wahr, in der sie von ihrem Glauben spricht. Dank Falconettis Schauspiel ist die Immersion groß, wir leiden mit ihr und teilen ihr Schicksal.
Dreyer wird nachgesagt, kein einfacher Regisseur gewesen zu sein. Seine innere Getriebenheit und kompromisslose, fordernde Art oft anstrengend, seine Visionen dafür aber klar und groß. Dass Maria Falconettis unglaubliche Schauspielleistung in Die Passion der Jungfrau von Orléans zu den denkwürdigsten aller Zeiten zählt, sie danach aber ans Theater zurückkehrte und nie wieder einen Film drehte, zeugt davon, dass ihr bei dieser Rolle alles abverlangt wurde.
Die Neuveröffentlichung von Die Passion der Jungfrau von Orléans
Die ungekürzte Fassung des Films (die Kirche sorgte ursprünglich für eine rund 15-minütige Kürzung) galt längere Zeit als verschollen, ehe 1981 zufällig eine Kopie in einer norwegischen Nervenheilanstalt gefunden wurde.
Die Neuveröffentlichung von Studiocanal enthält die restaurierte Fassung von 2018, die ein wirklich gestochen scharfes Bild bietet. Man sieht es den Bildern nicht an, dass der Film schon fast 100 Jahre auf dem Buckel hat. Gerade weil der Film viel mit emotionalen Nahaufnahmen von Gesichtern arbeitet, ist die Restauration Gold wert. Auch weil Dreyer Falconetti das Tragen von Make-up untersagte, sieht man hier wirklich jede Pore und jede Falte.
Der Film bekommt also endlich die Veröffentlichung, die er auch verdient. Neben dem Hauptfilm wird noch eine Doku über Carl Theodor Dreyer in Spielfilmlänge geboten, die sehenswert das Schaffen des Regisseurs beleuchtet. Neben Zitaten und Tagebucheinträgen von Dreyer selbst kommen dabei auch viele verschiedene Menschen zu Wort, mit denen er zusammengearbeitet hat.
Unser Fazit zu Die Passion der Jungfrau von Orléans
Die Passion der Jungfrau von Orléans ist sicher kein leichter Film. Er trägt die selbst auferlegte Bürde der zermarternden Inszenierung. Durch die teils anstrengend langen Sequenzen und den Nahaufnahmen um Nahaufnahmen von gequälten Gesichtern und negativen Emotionen verlangt er dem Publikum einiges ab. Das ist konsequent und wohl auch der einzige Weg, wird den einen oder die andere aber vermutlich an ihre Grenze bringen.
Er belohnt dafür aber mit einem immersiven Martyrium, das sich bei allem historischem und politischem Kontext um Jeanne d’Arc letztlich mit dem Menschen dahinter beschäftigt. Carl Theodor Dreyer sagte, er wollte einen Blick in ihre Seele werfen. Und es ist ihm gelungen, diese durch die famose Maria Falconetti für uns erfahrbar zu machen.
Die Passion der Jungfrau von Orléans ist seit dem 05. Mai 2022 digital sowie als Blu-Ray & DVD bei Studiocanal erhältlich.
Unsere Wertung:
© Studiocanal