Multiversum, Mindgames und Twists – im deutschen Kino? Ja, das gibt es! Timm Krögers Die Theorie von Allem hat sich definitiv einiges vorgenommen. In unserer Kritik erfahrt ihr, ob der Film überzeugen kann!
Titel | Die Theorie von Allem |
Jahr | 2023 |
Land | Germany |
Regie | Timm Kröger |
Genres | Mystery, Thriller, Drama |
Darsteller | Jan Bülow, Olivia Ross, Hanns Zischler, Gottfried Breitfuß, Philippe Graber, David Bennent, Imogen Kogge, Dirk Böhling, Ladina Carla von Frisching, Emanuel Waldburg-Zeil, Paul Wolff-Plottegg, Jonathan Wirtz, Eva Maria Jost, Joey Zimmermann, Vivienne Bayley, Marie Goyette, Peter Hottinger, Dana Herfurth, Dominik Graf |
Länge | 118 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: MagentaTV Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, maxdome Store, Yorck on Demand, Verleihshop Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, maxdome Store, Yorck on Demand, Verleihshop |
Die Handlung von Die Theorie von Allem
Doktorand Johannes (Jan Bülow) und sein Doktorvater Strathen (Hanns Zischler) reisen 1962 zu einem Kongress in den Schweizer Alpen. Dort soll ein iranischer Wissenschaft eine bahnbrechende quantenmechanische Theorie vorstellen, die eine Art Weltformel darstellen könnte. Als der Redner sich verspätet, vertreiben sich die Hotelinsassen anderweitig die Zeit. Allzu bald wird Johannes klar, dass im Hotel Esplanade nichts ist, wie es scheint. Die faszinierende Pianistin Katrin (Olivia Ross) weiß verdächtig gut über ihn Bescheid, dann verschwindet sie. Schließlich taucht eine Leiche auf. Was ist die Erklärung für die merkwürdigen Vorkommnisse?
Der Durst nach Neuem
Dass der deutsche Film bereits seit Jahren in einem desolaten Zustand ist, muss wohl niemandem erklärt werden. Entweder wird das nächste Kapitel in der dunklen Geschichte des Landes knochentrocken nach Schulbuch aufgearbeitet oder maximal halbgare Großeltern-Komödien versprühen ihren erzkonservativen Bierzelthumor über die Leinwand. Ob nun Lars Eidinger über eine exzessive Laufzeit hinweg Unterrichtsstoff zitiert oder Florian David Fitz am Ende einer primitiven Klischeewitz-Folter lernt, dass auch nicht-normative Kinder tatsächlich Menschen sind – Vorhersehbarkeit ist an der Tagesordnung im lokalen Filmtheater.
Insofern ist Die Theorie von Allem in jedem Fall eine Art Gaumenreiniger. Deutsches Genrekino ist ohnehin selten genug. Eines mit tatsächlichem visuellem Anspruch, das man alleine durch Standbilder fehlerfrei wiedererkennen könnte, grenzt an ein Weltwunder. Regisseur Timm Kröger, der sich für die interessante Kameraarbeit an der österreichischen Indie-Perle The Trouble with Being Born verantwortlich zeichnete, beweist erneut seinen Hang zu einprägsamen Bildern. In eindrucksvollem Schwarzweiß geschossen bedient sich Die Theorie von Allem an der visuellen Sprache von etwa Hitchcock und Resnais und kombiniert sie gekonnt mit neueren Einflüssen.
Das Ergebnis ist ein zumindest optisch mitreißendes Werk, das dem kinobegeisterten Publikum bereits in den ersten Minuten sympathisch werden dürfte. Die Bildgewalt macht schon dann Lust auf mehr, bevor die Geschichte überhaupt ihren Weg eingeschlagen hat. Leider verliert sich diese Lust aber auch, sobald sie es tut.
Die (Un-)Endlichkeit der Möglichkeiten
Das Multiversum als narratives Konzept, so könnte man meinen, ist unerschöpflich. Alleine per definitionem bietet es buchstäblich unendliche Möglichkeiten. Die Grenzen des Erzählbaren sind die des Imaginierbaren. Wo Marvels Kevin Feige lediglich einen flachen Teich sieht, in der er mit Nostalgieködern nach beeinflussbaren Alt-Fans fischen kann, revolutionierten erst kürzlich die Daniels Kwan und Scheinert das Science-Fiction-Kino mit Everything Everywhere All at Once. Die augenblicklich ikonische Paralleluniversen-Komödie flocht seine scheinbare Beliebigkeit tief in ihre Themen ein und begeisterte Zuschauer:innen wie Kritiker:innen. Und auch wenn Spider-Man: Across the Spider-Verse der Referenzfalle nicht ganz entkommen konnte, verknüpfte auch er gekonnt Thematik und Bedeutung in einer Metapher für toxische Fans.
Die Theorie von Allem kann also definitiv nicht von sich behaupten, dass sie keinen neuen Boden hätte erschließen können. Wie jedoch bereits Gareth Edwards The Creator, der mit dem Trend-Thema KI nur insofern zu tun hat, dass es sich gut in einem Trailer anhört, behandelt der Film das Multiversum lediglich als Schlagwort. Wo er sich zunächst als Mystery-Thriller präsentiert, tritt er sich rasch so energisch im Schnee fest, dass viel zu früh klar wird: Ein Mysterium gibt es hier eigentlich gar nicht. Protagonist Johannes tappt im Dunkeln; man möchte ihn an den Schultern packen und anschreien. Bis zur Klimax hofft man, dass mehr hinter allem steckt, dass der große Twist noch aufgebaut wird und sich bald entladen muss. Man wartet vergeblich.
Verpasste Gelegenheiten
Übrig bleibt eine flache Geschichte mit papierdünnen Figuren, deren visuelle Präsentation mehr Fassade als Geschenkband ist. Begeisterung für die schönen Szenerien, wertigen Effekte und interessanten Bildkompositionen schlägt rasch in Enttäuschung um. Ein passenderer Name wäre wohl “Die Theorie von Allerlei Verpassten Gelegenheiten” gewesen. Ich selbst wollte diesen Film wirklich sehr gerne mögen, während ich ihn sah. Einerseits aufgrund seiner unzweifelhaften Originalität, andererseits weil eine Veränderung dringender benötigt wird denn je. Deutschland sollte mehr können als Weltkriegskino – wenn es das denn überhaupt wirklich kann. Leider ist Die Theorie von Allem nicht der Film, auf den wir gewartet haben.
Nicht einmal die reinen Formalist:innen, die bei guten Designansätzen auch eine schwache Geschichte verzeihen können, kommen hier vollständig auf ihre Kosten. Alleine die repetitive Struktur macht schnell deutlich, dass Cutter Jann Andereggs Kompetenz zumindest bei diesem Material nicht über Kontinuitätsschnitt hinausgeht. Unterdudelt werden die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen von einer klischeebeladenen Dröhnmusik, die in etwa so sparsam eingesetzt wird wie Füße in Quentin Tarantinos Filmografie. Dabei sind die Kompositionen selbst wie so häufig weniger das Problem als ihr konstanter Einsatz, der jede Szene überdramatisiert, bis sich nichts mehr bedeutend anfühlt.
Unser Fazit zu Die Theorie von Allem
So sympathisch Krögers Genre-Experiment auch ist – ein Film, den man sich am besten lautlos ansieht, kann nicht als Erfolg gewertet werden. Die Theorie von Allem ist als Bilderschau tadel-, als narrativer Spielfilm belang- und als Beitrag zur Multiversen-Thematik wertlos; ein Film mit unzweifelhaften Schauwerten, der trotzdem nie so wirklich deutlich machen will, warum er es wert ist, geschaut zu werden. Dennoch ist zu hoffen, dass der Regisseur seine nicht anzuzweifelnde Fähigkeit weiter ausfeilt und nicht den Mut verliert. Das deutsche Kino braucht vielleicht nicht Die Theorie von Allem, aber es könnte Timm Kröger brauchen. Bleibt abzuwarten, ob sein nächster Versuch mehr zu bieten vermag als technische Finesse.
Die Theorie von Allem erscheint am 26. Oktober in den deutschen Kinos!
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