Jeder kennt den berühmten Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Aber wer wusste, dass er eine mindestens genauso geniale jüngere Schwester hatte? Auf Netflix kann man diese nun kennenlernen. Wie der Abenteuerfilm Enola Holmes geworden ist, könnt ihr in dieser Kritik erfahren.
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Titel | Enola Holmes |
Jahr | 2020 |
Land | United States of America |
Regie | Harry Bradbeer |
Genres | Abenteuer, Mystery, Krimi |
Darsteller | Millie Bobby Brown, Henry Cavill, Sam Claflin, Helena Bonham Carter, Louis Partridge, Adeel Akhtar, Fiona Shaw, Frances de la Tour, Burn Gorman, Susan Wokoma, Claire Rushbrook, David Bamber, Hattie Morahan, Gaby French, Paul Copley, Ellie Haddington, Alex Kelly, James Duke, Connor Catchpole, Sarah Flind, Dempsey Bovell, Neil Bell, Sofia Stavrinou, Sophie Dixon, David Kirkbride, Delroy Atkinson, Mary Roscoe, Anthony Aje, Anthony Rickman, Philip Scott-Wallace, Tuyen Do, Esther Coles, Owen Atlas, Paul Parker, Heather Pearse, Jay Simpson, Pierre Bergman |
Länge | 123 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Enola Holmes – Sherlocks kleine Schwester tritt ins Rampenlicht
England, 1884 – eine Welt kurz vor dem Umbruch. Am Morgen ihres 16. Geburtstags erwacht Enola Holmes (Millie Bobby Brown) und stellt fest, dass ihre Mutter (Helena Bonham Carter) verschwunden ist. Diese hat zwar eine merkwürdige Auswahl an Geschenken hinterlassen, aber keinen offensichtlichen Hinweis darauf, wohin sie gegangen ist oder warum. Nach einer freizügigen Kindheit landet Enola plötzlich in der Obhut ihrer Brüder Sherlock (Henry Cavill) und Mycroft (Sam Claflin), die sie in ein Mädcheninternat für „anständige“ junge Damen schicken wollen. Enola hat allerdings andere Pläne. Sie macht sich auf eigene Faust davon, um in London nach ihrer Mutter zu suchen. Doch als sie auf ihrer Reise in den rätselhaften Fall eines jungen entlaufenen Lords (Louis Partridge) verwickelt wird, wird Enola selbst zu einer außergewöhnlichen Spürnase, die ihren berühmten Brüdern einen Schritt voraus ist und eine Verschwörung aufdeckt, die den Lauf der Geschichte zurückzudrehen droht.
Freche Ich-Erzählerin im Fleabag-Stil
Relativ schnell wird in Enola Holmes klar, dass man sich mit der Erzählweise aus der Perspektive der Titelfigur an der Erfolgsserie Fleabag orientiert hat. Diese Parallele kommt natürlich nicht von ungefähr. Der Regisseur dieser Romanadaption hat bereits einen Großteil der Phoebe Waller-Bridge-Serie inszeniert und hat kurzerhand das signifikante Stilmittel mit zum neuen Projekt genommen. Zwar ist das Durchbrechen der vierten Wand hier bei weitem nicht so pointiert, aber trotzdem passt es zur Charakterzeichnung der Hauptfigur.
Millie Bobby Brown überzeugt hier erstmals in einer Filmhauptrolle, nachdem sie bislang den meisten Zuschauern durch die eher wortkarge Darstellung von Elfie in Stranger Things aufgefallen sein dürfte. Der Spagat zwischen gewiefter Besserwisserin und Teenager mit sehr wenig Lebenserfahrung gelingt ihr grandios. Mal wendet sie sich mit fragenden Blicken an die Zuschauer, sodass man ihr gern die eigentlich einfachen menschlichen Umgänglichkeiten erklären will. Dann aber glänzt sie auch als selbstbewusste Erzählerin, wenn sie in bester Familientradition Rätsel löst.
Alles in allem macht es viel Spaß, ihre ersten Gehversuche in der “echten Welt” zu beobachten, bei denen immer wieder aus ihrer Naivität und ihrem Unwissen heraus Situationen entstehen, in die man sich wohl vor allem als Jugendlicher selbst gut einfühlen kann. Wie sie oftmals dann durch eine Mischung aus Genialität und Bauernschläue, gepaart mit einer großen Portion Selbstbewusstsein, Herrin der Lage bleibt, ist der große Trumpf dieses Films. Millie Bobby Brown macht Enola zu einem zeitgemäßeren Vorbild – vor allem für weibliche Zuschauer – als zuletzt die moderne Version der Mulan.
Sherlock bleibt blass – zum Glück!
Dass die Jungschauspielerin dieses Abenteuer nahezu zur One-Girl-Show macht, ist umso bemerkenswerter, wenn man sich die Güteklasse ihrer Co-Stars ansieht. Neben Helena Bonham Carter, die als Mutter lediglich kurz und in Rückblenden auftaucht, sind die beiden Holmes-Brüder durch Henry Cavill und Sam Claflin ebenfalls sehr namhaft besetzt.
Wer sich von Enola Holmes versprochen hat, nach Robert Downey Jr. und Benedict Cumberbatch nun Superman Cavill in einer weiteren ikonischen Inkarnation der Kultdetektivs zu sehen, der wird enttäuscht sein. In den ohnehin wenigen Szenen, in denen man ihn kennenlernt, bleibt er recht unauffällig. Doch das schadet dem Film keinesfalls. Ganz im Gegenteil bewirkt seine reduzierte Darbietung, dass man keinerlei Anknüpfungspunkte bekommt, um sich hier mit Figuren zu identifizieren, die diesmal nur Randfiguren sind. Das gesamte Starensemble ordnet sich unter, um Millie Bobby Brown die bestmögliche Bühne zu bereiten. Daraus ergibt sich womöglich der entscheidende Aspekt, ob man der Abenteuergeschichte etwas abgewinnen kann oder nicht: Ist man Fan des Schauspieltalents, so kommt man voll auf seine Kosten. Empfindet man ihre manchmal frühreif wirkende Art eher als anstrengend, wird man auch diesmal keine neuen Facetten ihres Schauspiels entdecken.
Moderne Version einer klassischen Jugendbuchadaption
Neben der Wahl der derzeit wohl meistgefragten Schauspielerin unter 20 für die Hauptrolle sind auch andere Aspekte eindeutig Indizien für die anvisierte Zielgruppe der Acht- bis 14ährigen: Bei den comicartigen Erklärszenen und Übergängen angefangen bis hin zu den kinderfreundlichen Action spricht alles dafür, dass Kinder von diesem Film nicht durch Komplexität oder Brutalität überfordert werden können. Tonal ist der Film sogar noch weniger düster als die Verfilmung von His Dark Materials, für die ebenfalls Jack Thorne verantwortlich zeichnet.
Für Erwachsene ist der Film womöglich zu zahm und verglichen mit der Verschrobenheit des Cumberbatch-Sherlocks zu simpel. Allerdings ist die Verfilmung genau richtig gemacht, um die Leser der Vorlage voll abzuholen. Enola Holmes ist im besten Sinne des Wortes ein klassisches Abenteuer. Die Geschichte ist geradlinig mit der einen oder anderen Überraschung für Zuschauer, die noch nicht jahrelange Filmerfahrung sammeln konnten. Die Protagonistin durchlebt eine kleine Heldenreise, man entdeckt mit ihr zusammen Neues und findet am Ende eine Enola vor, die deutlich reifer ist als zu Beginn. Dass man noch eine absolut unspektakuläre erste Romanze für das Mädchen einbauen musste, lässt sich problemlos verschmerzen.
Enola Holmes hätte die Teenager auch in die Kinos gelockt
Technisch ist dem Film auch eindeutig anzusehen, dass man ursprünglich für eine Kinoauswertung geplant hat. Sowohl die Ausstattung als auch das Setdesign im London des 19. Jahrhunderts sind sehr hochwertig. Vergleicht man den historischen Coming-of-Age-Film mit den ebenfalls gut ausstaffierten Netflixproduktionen vergangener Monate, so kann man sich gut vorstellen, dass Enola Holmes wohl das größte Potenzial an den Kinokassen gehabt hätte. Der hohe Produktionswert hätte auf der großen Leinwand noch mehr zur Geltung kommen können. Und die Riege an Topstars auf den Plakaten hätte sicherlich die Zielgruppe auch dazu verführt, ein Ticket zu lösen. Aber hätte, wäre, wenn… Nun ist der Film unter den Prestigeobjekten im Netflixkatalog wohl eines der heißesten Eisen im Feuer, um im Herbst neue Streamingrekorde zu erreichen.
Unser Fazit zu Enola Holmes
Mit einer tollen Millie Bobby Brown in der Titelrolle wird das Detektivabenteuer vor allem beim jungen Publikum voll ins Schwarze treffen. Kommt der Film gut an, hat man mit diesem Teil als Auftakt auch eine solide Basis geschaffen, auf der man in möglichen Fortsetzungen etwas mehr Risiko zur Komplexität wagen kann, um Enola, aber auch ihrem genialen Bruder etwas mehr von ihrer Genialität abzufordern. Dann würden auch Erwachsene gebannter vor dem Fernseher sitzen als bei dieser für “alte Spürnasen” zu erwartbaren Story.
Enola Holmes ist ab dem 23. September 2020 bei Netflix abrufbar.
Unsere Wertung:
© Netflix