Den Nazis geht es in Filmen auch 2023 mal wieder reichlich an den Kragen. Nach Sisu und Blood and Gold kommt mit Freaks out der nächste Film nach Deutschland, der zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt. Kann der Festival-Hit, der eigentlich schon 2021 erschien, seinen Vorschusslorbeeren gerecht werden?
Titel | Freaks Out |
Jahr | 2021 |
Land | Belgium |
Regie | Gabriele Mainetti |
Genres | Abenteuer, Fantasy, Drama |
Darsteller | Claudio Santamaria, Aurora Giovinazzo, Pietro Castellitto, Giancarlo Martini, Giorgio Tirabassi, Max Mazzotta, Franz Rogowski, Eric Godon, Emilio De Marchi, Anna Tenta, Sebastian Hülk, Elia Pietschmann, Christoph Hülsen, Astrid Meloni, Ed Hendrik, Ricardo Angelini, Olivier Bony, Massimiliano Ubaldi, Michelangelo Dalisi, Alessandro Arcodia, Davide Balzanetti, Francesca Anna Bellucci |
Länge | 141 Minuten |
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Die Handlung von Freaks out
Cencio, Mario, Fulvio und Matilde sind Außenseiter, Ausgestoßene der Gesellschaft, die in einem kleinen Zirkus unter der Führung von Israel eine neue Heimat gefunden haben. Dabei sind alle 4 eigentlich besonders begabt. Matilde ist elektrisch aufgeladen, Mario wiederum kann wie ein Magnet Metalle anziehen und Fulvio ist ebenso stark behaart, wie er außerordentlich stark ist. Und Cencio? Der kontrolliert Insekten mit seinem Willen.
Doch die Zeiten sind generell alles andere als rosig, auch nicht für Normalos. Denn es ist 1943, der Zweite Weltkrieg tobt und Italien wird unterjocht von den einmarschierenden Nazis. So wird auch die zarte Bande der Zirkusgemeinschaft im zerstörten Rom jäh zerschlagen und alles scheint auf einen Punkt zuzulaufen: Den Zirkus Berlin mit seinem irren Direktor Franz (Franz Rogowski), einem Psychopathen mit 6 Fingern an der Hand, den schreckliche Visionen von der Zukunft der Menschheit plagen.
Da kommen ihm die 4 Außenseiter mit ungewöhnlichen Superkräften doch gerade recht, um seine barbarischen Menschenexperimente zum Wohle des Dritten Reichs voranzutreiben.
Festival-Geheimtipp?
Freaks Out, den zweiten Film von Gabriele Mainetti, dürfte hierzulande noch kaum jemand auf dem Schirm haben. Die wilde italienische Genre-Mischung aus Fantasy, Drama, Abenteuer- und Kriegsfilm erschien zwar bereits 2021 in Italien und lief im selben Jahr auch auf dem Filmfestival von Venedig, aber erst mit fast 2 Jahren Verspätung dürfen sich nun deutsche Zuschauer regulär den Film anschauen.
Da der Film zumindest auf dem Fantasy Filmfest 2022 gezeigt wurde, war das Gemauschel in gewissen Cineasten-Kreisen erstaunlich einstimmig: Freaks out ist eine fette Überraschung und ein echter Geheimtipp (falls es diese in der heutigen Internet-Zeit noch gibt).
Mit nur etwa 13 Millionen Budget und dem aufwändigen Weltkriegs-Setting war es nicht unbedingt zu erwarten, aber: Mainettis Film sieht atemberaubend schön aus und holt aus dem Budget alles raus.
Bereits mit der Eröffnungssequenz beweist der Regisseur sein Auge für betörende Bildkompositionen, wenn erst die 4 Außenseiter nach und nach in einer Zirkusvorstellung eingeführt werden, nur um dann das blanke Chaos mit einem unerbittlichen Bombenhagel ausbrechen zu lassen. Das alles kommt mit wenigen (zumindest offensichtlichen) Schnitten aus und stellt der Schönheit der Andersartigkeit auch die Hässlichkeit des Kriegsalltags gegenüber.
Auch die Kostüme und die zerstörten Landschaften tun ihr Übriges, um diese Mischung aus Historischem und Fantastischem schnell als ganz eigene Welt zu akzeptieren und zu genießen.
Bei all der Klasse fühlt man sich am Ende auch an Guillermo Del Toro erinnert, zumal Pinocchio zuletzt ebenfalls im italienischen Faschismus spielte.
Die italienischen X-Men?
Cencio, Mario, Matilde und Fulvio sind Ausgestoßene – weil sie Superkräfte besitzen, die sie selbst aber gar nicht so „super“ finden. Der Zirkus ist ihr einziger Zufluchtsort, der ihnen Akzeptanz und Sicherheit gewährt. Ein Leben ohne Zirkus? Kaum vorzustellen.
Freaks out ist ganz bewusst eine Reflexion über Diversity, ein Thema, wie es aktueller nicht sein könnte. Damit erinnert der Film in seiner Prämisse stark an die X-Men-Reihe, die Bryan Singer 2000 mit einem herausragenden Erstling eröffnete. Auch hier formt sich eine Gruppe aus Andersartigen, die durch ihre Fähigkeiten zu Helden werden und ihren Wert erkennen.
Helden sind in Mainettis Film wiederum diejenigen, die sich gegen die Herrschaft der Nazis wehren. Die Nazis sind für die Botschaft von Freaks out ein mehr als passender Feind, was im Laufe des Films immer wieder verdeutlicht wird. Denn sie deportieren Andersartige, vor allem Juden, per Eisenbahn Richtung Konzentrationslager.
Bei all der offensichtlich positiven Anteilnahme für diese 4 Außenseiter bleiben die einzelnen Figuren (bis auf Matilde) erstaunlich unterentwickelt und fremd, trotz der stolzen Laufzeit.
Dass der magnetische Mario in den unpassendsten Situationen masturbiert, bleibt ein skurriler Gag ohne Hintergrund. Der Wolfsmensch Fulvio, der wegen seines Äußeren die meiste Häme einstecken muss, lernt im Laufe des Films eine weibliche Artgenossin kennen.
Was für reichlich Emotionen sorgen könnte, führt aber nur zu wildem Sex. Beide Momente sind sicherlich ganz bewusst als schräge Gags gedacht. Aber sie irritieren mehr, als das sie einem die Figuren näherbringen.
Im Endeffekt mangelt es Freaks out auch an Identifikation und Empathie, weil der Film den falschen Fokus setzt.
Franz, der Nazi-Psychopath
Zu Beginn ist Freaks out noch ganz bei seinen 4 Außenseitern, die vor einer schweren Entscheidung stehen:
Sollen sie ihr hart verdientes Geld zusammenwerfen, um in Amerika ein neues Leben zu versuchen, oder ist ihr Leben hierzulande im Zirkus auf ewig ihr Schicksal?
Doch als die Gruppe versprengt wird und getrennt agiert, dominieren immer mehr die Themen Verfolgung, Rassenhass und Unterdrückung.
Der Nazi-Zirkus, im wahrsten Sinne des Wortes, wird zum Fixpunkt in Form des Direktors, Franz.
Rogowski, der hierzulande als bekanntes Gesicht einiges hermacht, darf mit seinen wahnsinnigen, äthergetränkten Visionen und den Menschenversuchen den Film an sich reißen.
Die volle Theatralik als psychopathischer Nazi ist allerdings mittlerweile auch so abgedroschen und für die weitere Handlung so vorhersehbar, dass es nur noch ermüdet.
Generell ist Freaks out viel zu lang geraten. Denn viele Motive um die bösen Nazis sind altbekannt und die Geschichte gibt bei allem Charme nicht so viel her.
Unser Fazit zu Freaks out
Liebe für die Außenseiter, Kloppe für die Nazis: Gabriele Mainettis fantasievolle Geschichte über 4 wundersam begabte Menschen ist handwerklich brillant und betörend schön inszeniert. Das erinnert audiovisuell sogar an die Klasse seines spanischen Kollegen Guillermo Del Toro.
Nur leider fokussiert sich die Geschichte auf den mittlerweile durchgenudelten Wahnsinn um karikaturesk überzeichnete Nazis und die damit verbundenen Motive, ohne die stolze Überlänge von 141 Minuten ausreichend zu füllen.
Die Freundschaft unter den Freaks und der Kampf mit der eigenen Andersartigkeit kommt dabei leider erstaunlich kurz.
Eine Enttäuschung, aber auf hohem Niveau!
Unsere Wertung:
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