Geheimnis eines Lebens orientiert sich an dem spektakulären Fall der Omi-Spionin Melitta Norwood, im Film Joan Stanley genannt, die im Jahr 2000 mit 80 Jahren als russische Agentin enttarnt wurde. 40 Jahre lang hatte sie für den KGB britische Geheimnisse ausspioniert, insbesondere aus dem Atomprogramm. Ob der Film von Trevor Nunn ebenso spektakulär geworden ist, erfahrt ihr in unserer Rezension.
Titel | Geheimnis eines Lebens |
Jahr | 2018 |
Land | United Kingdom |
Regie | Trevor Nunn |
Genres | Thriller, Historie |
Darsteller | Judi Dench, Sophie Cookson, Tom Hughes, Tereza Srbova, Stephen Campbell Moore, Ben Miles, Nina Sosanya, Laurence Spellman, Nicola Sloane, Freddie Gaminara, Raj Swamy, Adrian Wheeler, Lulu Meissner, Phill Langhorne, Mike Sykes, Ed Birch, Debbie Chazen, Robin Soans, Raymond Coulthard, Simon Ludders, Stuart Milligan, Stephen Boxer, Lily Delderfield, Jessica Delderfield, Ciarán Owens, Kevin Fuller, Hasan Dixon, Richard Teverson, Steven Hillman, Irfan Shamji |
Länge | 101 Minuten |
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Darum geht es in Geheimnis eines Lebens
Das beschauliche Rentnerleben von Joan Stanley (Judy Dench) endet abrupt, als Polizisten und Mitarbeiter des MI5 eines Morgens an ihrer Tür klingeln und sie des Hochverrats beschuldigen. Anfangs alle Vorwürfe abstreitend, kommt im Verhör Stück für Stück die Wahrheit ans Licht, die der Film in ausführlichen Flashbacks aufbereitet – und somit das Geheimnis eines Lebens offenbart.
Als junge Physikstudentin kommt Joan in den 1930er Jahren in Kontakt mit marxistischen Kommilitonen. Sie verliebt sich in Leo, der sie in klassischer Romeo-Manier umgarnt und als Spionin anzuwerben versucht. Erst recht, nachdem sie als Assistentin an dem britischen Atombombenprojekt mitarbeitet.
Zunächst weigert sie sich. Doch mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ändert sich ihre Einstellung. Sie ist nun bereit, den Russen Informationen zu liefern.
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Es geht ihr im Film wie im richtigen Leben dabei nicht um Geld, sondern um Waffengleichheit und Gerechtigkeit. Sie ist eine Überzeugungstäterin, die 40 Jahre unbemerkt bleibt – auch weil man(n) ihr als Frau nur geringe Aufmerksamkeit widmet. Erst mit der Enttarnung eines hochrangigen Mitarbeiters des Außenministeriums fliegt auch ihre Tarnung auf.
Fragen nach Moral und Verantwortung
Es ist nicht die authentische Biografie von Melitta Norwood, die Regisseur Trevor Nunn in Geheimnis eines Lebens verfilmt. Das Ausgangsmaterial ist ein Roman der Autorin Jennie Rooney aus dem Jahr 2014, der sich schon um einiges von der wahren Geschichte entfernte. Dennoch stellen sich in dem Plot wichtige Fragen nach Moral und Verantwortung.
Mit der Atombombe entwickelten die USA die bis dahin mächtigste Waffe mit einem schier unglaublichen Vernichtungspotenzial. Allein durch den Abwurf über Hiroshima starben bis Ende 1945 rund 230.000 Menschen, allein 100.000 direkt durch die Explosion. Sollte ein solches Massenvernichtungsinstrument in der Hand nur einer Nation bleiben? Welche Folgen hätte eine solche Macht für den Weltfrieden? Nicht nur Melitta Norwood stand hier vor einem schwerwiegenden moralischen Dilemma. Konnten Patriotismus und Vaterlandsliebe unter solchen Umständen noch immer Priorität besitzen?
Das erinnert an Geschichten etwa um J. Robert Oppenheimer, der als Leiter des Manhattan Projekts maßgeblich an der Entwicklung der Atombombe beteiligt war. Als er sich weigerte, auch an der Wasserstoffbombe mitzuarbeiten, wurde ihm Landesverrat vorgeworfen. Was Heinar Kipphardt in seinem Drama „In Sachen J. Robert Oppenheimer“ intensiv hinterfragte. Oder der Fall von Julius und Ethel Rosenberg, die als mutmaßliche Atomspione der Sowjets 1953 hingerichtet wurden. Moralische Konflikte als Spionagemotiv schildert auch der Film Der Falke und der Schneemann von John Schlesinger aus dem Jahr 1985, der ebenfalls auf authentischen Ereignissen beruht.
Oberflächliches Liebesdrama statt Thriller
Geheimnis eines Lebens könnte also auf eine ganze Anzahl Vorbilder zurückgreifen. Der Stoff böte hinreichend Gelegenheit zu einem spannenden Spionagethriller oder auch einem tiefgreifenden Lehrstück über moralische Verantwortung. Stattdessen erschöpft er sich in einem etwas oberflächlichen Liebesdrama, das alle brisanten Fragen zwar anreißt, sie aber nicht ausschöpft.
Die junge Joan Stanley, die uns in den ausführlichen Flashbacks vorgestellt wird, ist eine etwas naive, aber hochbegabte junge Physikstudentin in Cambridge. Dort lernt sie die aus Deutschland emigrierten Juden Sonya und Leo kennen. Als sie Letzteren das erste Mal sieht, wirbt er auf einer Veranstaltung gerade um Unterstützung für den spanischen Bürgerkriegs. Dann begegnet sie ihm wieder bei einer studentischen Filmvorführung. Doch gilt ihr Interesse weniger dem antifaschistischen Kampf in Spanien oder dem Kampf der Matrosen im gezeigten Panzerkreuzer Potemkin von Sergei Eisenstein, sondern der verführerischen Gestalt Leos.
Der Plot kippt ins Melodramatische in Geheimnis eines Lebens
So wird sie denn auch nicht aus politischer Überzeugung zur Spionin, sondern weil Leo sie gekonnt um den Finger wickelt. Und es bleibt nicht die einzige Liebesgeschichte, mit der Geheimnis eines Lebens den Plot ins Melodramatische abkippen lässt. Als Joan während einer Forschungsreise nach Kanada auf der Schiffsüberfahrt von der Assistentin zur Geliebten befördert wird, kann sich der Film leider nicht einen Titanic-Moment sparen: leidenschaftliche Küsse vor nächtlich-strahlendem Meer. So liegt Joans zentraler Konflikt eben nicht in dem oben geschilderten moralischem Dilemma, sondern in der Frage, welchem Mann in ihrem Leben sie mehr Loyalität schuldet.
Auf diese Weise umschifft Geheimnis eines Lebens die problematische Klippe eines allzu klaren politischen Bekenntnisses. Denn Joans fortgesetzte Spionagetätigkeit, auch nachdem die Sowjets ihre eigene Atombombe hatten, und auch nachdem sie von den Schrecken der Stalin-Herrschaft erfahren hat, ließe sich anders eigentlich nur damit erklären, dass sie eine überzeugte Kommunistin war. Das aber streitet sie immer ab. Bleibt eben nur die Liebe.
Eine großartige Judi Dench rettet den Film
Bei den Darstellern sticht vor allem Judi Dench hervor. Einem breiteren Publikum vor allem durch ihre Rolle als M in diversen James-Bond-Filmen seit Goldeneye bekannt, zählt sie zu den größten britischen Charakterdarstellerinnen. Auch in Geheimnis eines Lebens verleiht sie der Handlung in den in der filmischen Gegenwart angesiedelten Szenen in ihrer Rolle der gealterten Joan durch ihr nuanciertes Spiel psychologische Tiefe.
Es ist bewundernswert, wie sie mit Körpersprache und kleinsten mimischen Mitteln zwischen Trotz, aufkeimendem Schuldbewusstsein, Selbstbehauptung und Erschöpfung changiert. Die Szenen mit ihr sind die großartigen Momente von Geheimnis eines Lebens. Man hätte Judi Dench gerne mehr Screentime gegönnt.
Leider verblasst der übrige Cast dagegen ziemlich, vielleicht mit Ausnahme von Ben Miles, der Joans Adoptivsohn spielt. Sophie Cookson als junge Joan wirkt blass, was der Rolle zwar angemessen sein mag, aber dennoch enttäuscht. Und bei Tom Hughes als Leo wünschte ich mir immer Benedict Cumberbatch in die Rolle. Statt eines Lookalikes halt lieber das Original.
Satte Farben tauchen Cambridge ins richtige Licht
Natürlich gibt es auch einige positive Seiten an Geheimnis eines Lebens. Insbesondere die Bildgestaltung durch Kameramann Zac Nicholson kann in manchen Momenten beeindrucken. Während die Gegenwartsszenen in flachen, neutralen Farben gehalten sind und dadurch weniger emotionale Tiefe erzeugen, sind die Szenen aus der Vergangenheit durch stärkeren Kontrast und Farbsättigung eindringlicher gehalten. Nicholson fängt Landschaften und Gebäude insbesondere in Cambridge in fast malerischer Schönheit ein. Auch die Ausstattung ist detailliert und trägt zur dichten Atmosphäre bei. Dazu passt wunderbar der symphonisch gehaltene Soundtrack von George Fenton, der durchaus zu gefallen vermag.
Es gibt auch einige gelungene Gags und Wendungen im Film. Wenn etwa Joans Sohn nach ihrer ersten Befragung bei ihr vorbei kommt, sie ihm Tee bringt, und ihr eigener Becher ein Che-Guevara-Motiv trägt. Auch die fragwürdig herablassende Haltung gegenüber Frauen in der Männergesellschaft wird häufiger thematisiert. In einer Schlüsselszene sagt Joan: „Wer hat wen benutzt? In dieser Männerwelt war ich immer nur ein Schatten. Ich war unsichtbar. Doch letzten Endes war ich mächtig.“ Spionage als feministische Antwort auf das Patriarchat?
Auch dies hätte ein interessanter Ansatz sein können. Und obwohl einige gelungene Szenen, wie die in höchster Not in einer Packung Damenbinden versteckte Spionagekamera, diesen Akzent mit starker Symbolik betonen, wirkt die Umsetzung in Geheimnis eines Lebens halbherzig wie eine dem Sujet angemessene Pflichtübung. Das Thema des unsichtbaren Geschlechts haben Filme wie etwa Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen sehr viel eindrucksvoller aufgearbeitet.
Gutes Bild, enttäuschende Boni
Blu-ray und DVD von Geheimnis eines Lebens erscheinen am 14. November 2019. Die Blu-ray bietet sehr gute Bild- und Tonqualität, wie man sie von einem relativ neuen Film auch erwarten kann. Beim Bonusmaterial hat man auf die üblichen Werbefeaturettes verzichtet. Stattdessen finden sich sieben Kurzinterviews mit Cast und Crew von jeweils fünf bis zehn Minuten Länge. Allerdings ist der Informationsgehalt eher gering, da alle so ziemlich das Gleiche sagen und Produktion sowie Cast über den grünen Klee loben. Ausnahme vielleicht das Interview mit Kameramann Zac Nicholson, der ein paar Details über seine Arbeit verrät. Insgesamt aber eher enttäuschend.
Mein Fazit zu Geheimnis eines Lebens
Geheimnis eines Lebens bietet einen interessanten Einblick in einen der spektakulärsten Spionagefälle der Nachkriegsgeschichte. Leider spielt er seine Möglichkeiten nicht aus und kommt etwas unentschlossen als Spionagethriller und Liebesdrama daher, ohne sich für eines davon entscheiden zu wollen. Das nimmt dem Film die mögliche Tiefe. Das faszinierende Sujet hätte das Zeug zu einem großartigen Drama über tiefgreifende moralische Fragen. Doch Regisseur Trevor Nunn, der sich vorwiegend am Theater und mit Theaterverfilmungen hervorgetan hat, lässt diese Chance ungenutzt. So verrinnt der Streifen zu einem gefälligen Ereignisreigen mit abflachendem Spannungsbogen. Kann man sehen, muss man aber nicht.
Unsere Wertung: