Ein Baggerfahrer, ein Musiker, ein Stasi-Spitzel. Gerhard Gundermann war in der DDR und auch nach der Wende eine schillernde Persönlichkeit Ostdeutschlands. Andreas Dresen hat ihm mit dem gleichnamigen Film Gundermann ein berührendes Denkmal gesetzt
Titel | Gundermann |
Jahr | 2018 |
Land | Germany |
Regie | Andreas Dresen |
Genres | Drama |
Darsteller | Alexander Scheer, Anna Unterberger, Kathrin Angerer, Milan Peschel, Axel Prahl, Thorsten Merten, Bjarne Mädel, Eva Weißenborn, Benjamin Kramme, Hilmar Eichhorn, Alexander Hörbe, Steffen Lehmann, Marlene Marczok, Peter Schneider, Peter Sodann, Peter Rappenglück, Alexander Schubert, Georg Arms |
Länge | 128 Minuten |
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Die Geschichte von Gundermann
Gerhard Gundermann (Alexander Scheer) lebt in der DDR und der später vereinten Bundesrepublik zwei Leben. Einerseits arbeitet er im Tagebau in Hoyerswerda, wo er mithilfe eines schweren Baggers Braunkohle aus dem Erdreich schaufelt. Andererseits ist der Mann, den alle nur Gundi nennen, ein Liedermacher. In den 1970er-Jahren, als er aus dem Militär entlassen wird, beginnt seine musikalische Laufbahn in einer Werkband. Hier spielt er zusammen mit seiner Jugendliebe Conny (Anna Unterberger), die er seit der Schulzeit kennt und später seine Frau werden wird.
Darüber hinaus ist Gundermann aber auch ein Weltverbesserer, ein Hoffender, der sich von der Staatssicherheit der DDR als Spitzel anheuern lässt. Mit seinem Einsatz für sein Land möchte er Dinge, vor allem die Arbeitsbedingungen für sich und seine Kollegen auf dem Bau, zu einem besseren verändern. Nach der Wende erst begreift er, was er seinen Freunden und Bekannten damit angetan hat. Er möchte sich aufrichtig entschuldigen und Abbitte leisten für seine Taten.
Der singende Baggerfahrer aus der Lausitz
Mit Gundermann beweist Regisseur Andreas Dresen, dass er es wie kein zweiter versteht, Heimatfilme zu drehen, die uns vor allem den Osten Deutschlands beziehungsweise die DDR aus möglichst unvoreingenommener Perspektive zeigen. Fernab von Ostalgiekomödien oder der westlich geprägten Sichtweise eines Das Leben der Anderen. Dresen blickt auf die kleinen Leute, die Durchschnittsbürger, die nicht die Macht haben, die großen Geschicke des Landes zu beeinflussen. Sie müssen in einem restriktiven System leben und sich damit auf die eine oder andere Weise arrangieren.
Mit Gerhard Gundermann wählt der in Gera geborene Regisseur gleichwohl kein ganz unbeschriebenes Blatt zum Protagonisten seines Films, sondern eine durch seine Gegensätze und Widersprüche ungemein spannende Figur. Im Bagger sitzend kommen ihm Textpassagen in den Kopf, die er notiert und schließlich als Stück auf der Bühne mit seiner Band performt. Trotz erfolgreicher Konzerte nimmt er jede zugeteilte Nachtschicht mit und pendelt so zwischen Kunst und tristem Tagewerk. Im Privaten ist er außerdem der allzeit verlässliche Freund von Conny, die zunächst in einer anderen Beziehung mit Kindern steckt, bis sie sich über ihre Gefühle klar wird.
Drehbuch & Inszenierung
Laila Stieler, die bereits 2005 das Drehbuch zum Film schrieb, erzählt aus dem Leben Gundis vor allem in zwei Phasen. Aus der filmischen Gegenwart in den 1990er-Jahren, in denen Gundermann seine Arbeit für die Stasi nachträglich bereut, springt das Geschehen immer wieder in die 70er. Hier erfahren wir, wie Gundermann von der Staatssicherheit angeworben wird und sich auch in der SED engagiert. Trotz dieser spürbaren Gegenüberstellung eines Vorher-Nachhers ist das Drehbuch zu keiner Zeit von einer strengen oder konventionellen Dramaturgie getrieben.
Als Arthouse-Biopic zieht Gundermann seine Kraft vielmehr aus intensiven Schauspielleistungen, kraftvollen Musikeinlagen und einer schwer zu beschreibenden Zärtlichkeit für seine Figuren. Letztere rührt vor allem von Dresens Inszenierung her, die einen ungemein realistischen, fast dokumentarischen Charakter hat. Bereits nach wenigen Minuten entsteht so eine Unmittelbarkeit, die einen Feuer und Flamme für das Faszinosum Gundermann werden lässt. Zudem vermischen sich die Themen Liebe, Musik, Hoffnung, Schuld und Sühne zu einem facettenreichen Cocktail, der, so schmalzig es klingen mag, nun mal das Leben ausmacht.
Alexander Scheer als singender Gundermann
Gundermann ist ein Biopic, das natürlich mit seinem Hauptdarsteller steht und fällt. Alexander Scheer bringt sicherlich schon reichlich Theater- und Filmerfahrung mit, aber hier spielt er eine große Rolle und setzt zweifellos ein Glanzlicht in seiner Karriere. Er gräbt sich so tief in diese ostdeutsche Berühmtheit ein, dass er wie Daniel Day-Lewis darin vollkommen aufgeht. Er ist mit jedem Nasekräuseln, mit jeder etwas ungelenk wirkenden Gestik dieses schlaksigen Hünen voll in der Rolle. Es ist ein Genuss, ihn spielen zu sehen, sodass er mühelos jede Szene zu einem kleinen Erlebnis werden lässt. Doch damit nicht genug: Scheer singt und spielt alle Lieder tatsächlich selbst. So überzeugt Gundermann ohne Tricks auch als Musikfilm durch den vollen künstlerischen Einsatz des Berliner Darstellers.
Die große Kunst des Films ist es ohnehin, auch Neulinge für die Lieder Gundermanns zu begeistern. In den Texten schwingt oftmals eine wärmende, verständnisvolle Melancholie, die so ohne Weiteres nicht zu verstehen wäre, wenn uns der Film nicht zusätzlich den Lebenshorizont des Künstlers zeigen würde. Liest man sich Kommentare unter den Liedern von Gerhard Gundermann durch, so gewinnt man den Eindruck, dass dieser mit seiner Musik das ganz eigentümliche Lebensgefühl in der DDR besonders gut eingefangen hat. So lässt sich im Grunde die enorme Beliebtheit dieses Künstlers erklären, der andererseits im Westen gänzlich unbekannt ist.
Gelebter Widerspruch
Die Bürger der DDR waren nicht nur ausnahmslos verführte oder gegängelte Schafe, die von den Machthabenden zu Handlungen gedrängt wurden, die sie selbst nicht befürworteten. Eine solche Sicht der Dinge findet auch Andreas Dresen zu pauschal. Sein Gerhard Gundermann ist für die Frage, wie Menschen für den Staat arbeiten und gleichzeitig gegen ihre eigenen Volksgenossen vorgehen konnten, ein wunderbar differenziertes Beispiel.
Voller Tatendrang, aber auch reichlich naiv verpflichtet er sich 1976 der Stasi, die ihn damit beauftragt, Freunde und Bekannte auszuspionieren. Zudem schließt er sich ein Jahr später der SED an. In beiden Organisationen möchte Gundermann vor allem eins: sein Land voranbringen und damit den Alltag seiner Mitbürger verbessern. Er ist überzeugter Kommunist und hätte nach eigener Aussage selbst dessen Ideale erfunden, wenn es sie nicht schon geben würde. Mit seinen lautstarken Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen sowie unverblümter Kritik an bestehenden Abläufen stellt er sich allerdings schnell als Querkopf heraus, sodass er weder für die Stasi noch die SED tragbar ist.
Als nach der Wende alle Akten offen gelegt werden, schämt sich Gundermann. Er möchte jedem persönlich gestehen, dass er ihn oder sie bespitzelt hat. Dass er selbst, wie sich herausstellt, gleichzeitig Täter und Opfer von Abhörmaßnahmen wurde, ist die Ironie dieses Films. Auch dem großartigen Drehbuch von Laila Stieler gelingt es im Endeffekt nicht ganz, den eklatanten Widerspruch zwischen den hoffnungsvollen Idealen Gundermanns und seinen gewählten politischen Mitteln begreifbar zu machen. Dies befeuert letztlich aber nur die Faszination, wie es auch dieses Originalzitat tut: „Ich sehe mich nicht als Opfer und auch nicht als Täter. Ich habe mich mit der DDR eingelassen – mit wem sonst? – und ich habe ausgeteilt und eingesteckt. Und ich habe gelernt. Deswegen bin ich auf der Welt.“
Unser Fazit zu Gundermann
Einer der besten Filme über die DDR, ein hervorragend gespieltes Biopic, ein bewegender Musikfilm – Gundermann ist ein unerwartetes Meisterwerk über einen Mann, den in Westdeutschland kaum jemand kennt, aber der im Osten Kultstatus genießt.
Unsere Wertung:
© Foto: Peter Hartwig / Pandora Film