In Gone Girl spielte Rosamund Pike schon einmal eine Psychopathin mit vollster Inbrunst. Nun schlüpft sie in I Care a Lot erneut in die Rolle einer Dame mit sehr fragwürdigen Moralvorstellungen. Erfahrt in der Filmbesprechung, ob ihre Leistung hier genauso zu überzeugen vermag.
Titel | I Care a Lot |
Jahr | 2021 |
Land | United Kingdom |
Regie | J Blakeson |
Genres | Krimi, Thriller, Drama |
Darsteller | Rosamund Pike, Peter Dinklage, Eiza González, Dianne Wiest, Chris Messina, Isiah Whitlock Jr., Macon Blair, Alicia Witt, Damian Young, Nicholas Logan, Liz Eng, Celeste Oliva, Georgia Lyman, Moira Driscoll, Gary Tanguay, Lizzie Short, Kevin McCormick, Michael Malvesti, Chris Everett, Danny Schoch, Ava Gaudet, Evelyn Howe, Roger Dillingham Jr., Anthony Hoang, Jose Guns Alves, Ralph Ayala, Kevin Fennessy, Daniel Washington, Kelli LaVita, David Gomes, Chad Knorr, Kiara Pichardo |
Länge | 119 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
I Care a Lot – Gaunerkomödie der schwärzesten Sorte
Die mit dem Selbstbewusstsein eines Hais ausgestattete Marla Grayson (Oscar-Kandidatin Rosamund Pike) arbeitet als professionelle und bei Gericht akkreditierte Betreuerin für zahlreiche Senioren, deren Vermögen sie sich auf höchst zweifelhafte, aber legale Weise unter den Nagel reißt. Ihre gut geölte Maschinerie setzen Marla und ihre Geschäftspartnerin und Liebhaberin Fran (Eiza González) mit brutaler Effizienz auch bei ihrer neuesten „Eroberung“ Jennifer Peterson (gespielt von der zweifachen Oscar-Preisträgerin Dianne Wiest) ein – einer schwerreichen Seniorin, die keine lebenden Verwandten oder Erben hat. Als jedoch herauskommt, dass auch Jennifer ein ähnlich fragwürdiges Geheimnis mit sich herumträgt und Verbindungen zu einem unberechenbaren Gangster (Golden-Globe-Gewinner Peter Dinklage) pflegt, muss Marla einen Gang höher schalten, um in einem Kampf unter Widersachern bestehen zu können, der weder fair noch ehrlich abläuft.
Bitterböse Einführung in perfide Machenschaften
Der Einstieg des Films ist eine Montage, bestehend aus Aufnahmen, die aus einem Werbevideo für ein Altenheim stammen könnten, untermalt von moderner Musik und dominiert vom selbstsicheren Voice-Over der Protagonistin Marla Grayson. Die ganze Anfangssequenz stellt dem Zuschauer einerseits das System vor, wie in den USA mit alten Menschen umgegangen wird, die aufgrund verschiedenster Gründe gesetzlich bevormundet werden müssen. Andererseits lernen wir durch die Erläuterungen nicht nur auch die Lücken dieses Apparats kennen, sondern auch die Methode, mit der sich Marla ebenjene zunutze macht.
Dabei ist sie keine Einzeltäterin, da sie sich auf Komplizen verlassen kann, denen genau wie ihr jegliche Skrupel fehlen, um die Menschen hinter ihren Opfern noch zu sehen. Speziell dieser Teil, also die schockierenden Einblicke in die bröckelnde Konstruktion des Pflegewesens, das ein Einfallstor für Gaunereien und Betrug zu sein scheint, ist die beängstigende Stärke des Films.
Rosamund Pike liebt man, obwohl man sie hassen muss
Dass Rosamund Pike zu schauspielerischen Leistungen imstande ist, die einem beim Zuschauen den Schauer über den Rücken jagen, weiß man spätestens seit Gone Girl. In I Care a Lot schafft sie es sogar nochmal eine Schippe draufzulegen. Ihrer Figur fehlt nicht nur jegliche Form von moralischem Kompass. Auch mit ihrer Selbstverliebtheit dürfte sie eigentlich kaum noch Anknüpfungspunkte der Sympathie anbieten. Doch Pike wickelt nicht nur ihre Gegenüber im Film manipulativ um den Finger. Mit ihrer unvergleichlichen Aura zieht sie auch das Publikum auf ihre Seite, sodass man streckenweise vergisst, wie verdorben ihre Taten eigentlich sind. Eine Ambivalenz stellt sich auch dadurch ein, dass sie mit ihrer Partnerin ein durchaus herzliches Verhältnis pflegt und sich im späteren Verlauf ihre Antagonisten als mindestens genauso große Psychos offenbaren.
Ich bin Marla Grayson und ich bin eine verdammte Löwin!
Mit ihren Moralvorstellungen, die sie in bester Motivationsrednermanier am laufenden Band kundtut, sowie mit ihren impulsiven Wutausbrüchen, wenn etwas nicht nach ihrem Plan funktioniert, schafft Pike einige Szenen, die man womöglich noch in Jahren zitieren kann.
Spitzenpersonal in Paraderollen
Besagte Gegen- und Mitspieler sind in I Care a Lot ebenfalls fantastisch besetzt, sodass das Gefälle von Pike zum Rest gar nicht so schwer wiegt. Erwähnenswert sind hierbei besonders Peter Dinklage und Diane Wiest. Wiest spielt das auserkorene, wohlhabende Opfer von Marla und Fran, dass sich als weniger wehrlos entpuppt, als es anfänglich scheint. Dabei punktet die Darstellerin mit dem schauspielerischen Spagat, erst als hilfsbedürftige Rentnerin überzeugen zu müssen, ohne dann die Glaubwürdigkeit als doch noch ganz fitte Dame zu verlieren.
Dinklage hingegen liefert sich mit Pike ein Duell um die Psychopath-des-Jahres-Krone, da man auch ihn mit einigen skurrilen Eigenarten ausstaffiert hat, die eher zum Lachen sind. In bester Kult-Schurkentradition schafft der Schauspieler von der einen auf die andere Sekunde die Stimmung im Raum gefrieren zu lassen und schlagartig klar zu machen, welche unberechenbare Bedrohung von ihm ausgeht.
I Care a Lot opfert sein großes Potenzial auf der Zielgeraden
Die Ansätze als sozialkritische und durchaus bissige schwarzhumorige Komödie dem Zuschauer mit harten Mitteln auf Missstände aufmerksam zu machen und vielleicht ein schlechtes Gewissen einzubläuen, sind sehr deutlich erkennbar. Das Pendel schwingt über weite Teile kontinuierlich zwischen Bauchschmerzen von den Lachmomenten, in denen die Gags zielsicher abgefeuert werden und von den moralischen Bedenken ob des Umgangs mit den verdienten Mitgliedern unserer Gesellschaft. Das erinnert in positiver Weise an die Tonalität mit der es Adam McKay mit The Big Short beispielsweise gelungen ist, mit einer Komödie einen der stärksten Beiträge zur Aufarbeitung der Finanzkrise abzuliefern. Leider merkt man im letzten Drittel recht deutlich, dass der Regisseur in diesem Genre noch keine Erfahrungen sammeln konnte.
… für 08/15-Thriller und Möchtegern-Schockende
J Blakeson vergibt die Möglichkeit durch Konsequenz mehr als nur ein kurzer Diskussionsanstoß zu sein. Letztlich traut er sich nicht den finalen Schritt zu gehen und verlässt sich zu sehr auf das Standardrepertoire des kleinen Gangsterthriller-Einmaleins. Die Wendungen sind dabei eher altbacken und auch die schockierenden Momente verpuffen recht schnell. Wer einen der vielen Heist-Filme der letzten Dekade gesehen hat, dem wird die Auflösung hier nicht mal ein müdes Lächeln abtrotzen. Dies hätte man jedoch noch verschmerzen können, wenn sich Blakeson zumindest getraut hätte die amoralische Linie in letzter Instanz durchzuhalten. Da er dies leider auch nicht wagt, bleibt nach der Sichtung eher der fahle Beigeschmack vergebener Chancen.
Unser Fazit zu I Care a Lot
Der neue Netflix-Film mit Rosamund Pike in der Hauptrolle ist ein starkes Psychoduell mit Momenten zum Kopfschütteln und vielversprechenden Ansätzen einer sozialkritischen Thriller-Komödien-Mixtur. Die grandiose Performance von Pike wird dabei sehr lange im Gedächtnis bleiben, das uninspirierte Schlussdrittel dahingegen kaum.
I Care a Lot ist ab dem 19. Februar 2020 bei Netflix abrufbar.
Unsere Wertung:
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