Altmeister Ken Loach schenkt uns mit Ich, Daniel Blake ein weiteres enorm sozialkritisches Drama im naturalistischen Gewand.
Titel | Ich, Daniel Blake |
Jahr | 2016 |
Land | Belgium |
Regie | Ken Loach |
Genres | Drama |
Darsteller | Dave Johns, Hayley Squires, Briana Shann, Dylan McKiernan, Kate Rutter, Sharon Percy, Kema Sikazwe, Magpie Richens, Amanda Payne, Chris McGlade, Shaun Prendergast, Gavin Webster, Sammy T. Dobson, Mickey Hutton, Colin Coombs, David Murray, Stephen Clegg, Andy Kidd, Kay Gilchrist-Ward, Dan Li, Jane Birch, Kimberley Blair Smith, Junior Atilassi, John Sumner, Dave Turner, Jackie Robinson, Kathleen Germain, Christine Wood, Micky McGregor, Neil Stuart Morton, Roy McCartney, Stephen Halliday, Julie Nicholson, Viktoria Kay, Malcolm Shields, Bryn Jones, Helen Dixon, Gary Jacques, Mick Laffey, Patricia Roberts, Yvonne Maher, Susan Robinson, Mike Milligan, Laura Jane Barnes-Martin, Harriet Ghost, Brian Scurr, James Hepworth, Natalie Ann Jamieson, Rob Kirtley |
Länge | 100 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Joyn Plus, Amazon Arthaus Channel, Arthaus+ Apple TV channel, Arthaus+ Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, maxdome Store Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, maxdome Store, Freenet meinVOD |
Was passiert in Ich, Daniel Blake?
In Newcastle, England lebt der gelernte Tischler Daniel, dessen Rente zwar in Sichtweite ist, aber bis dahin stehen noch einige Arbeitsjahre an. Umso schmerzlicher trifft ihn daher der Herzanfall, der ihn in die Arbeits- und Tatenlosigkeit zwingt. Seine Frau ist nach einer Krankheit bereits länger verstorben. Hilfe vom Arbeitsamt erhält Daniel keine. In den Fängen der starren unnachgiebigen Bürokratie scheitert er trotz seines hartnäckigen Bemühens wieder und wieder. Menschlichkeit und Freundschaft erfährt Daniel erst wieder, als er auf dem Amt die alleinerziehende Mutter Katie kennenlernt. Diese kämpft mit ihren Kindern Daisy und Dylan ebenso ums Überleben.
Ich, Daniel Blake – Der aufrechte Held im grauen Alltag
In Found-Footage-Filmen treten häufig unbekannte Schauspieler auf, um den Anschein zu wahren, wir hätten es mit realen Ereignissen zu tun. Auch Ken Loach setzt auf recht unbeschriebene Mimen, damit die Bekanntheit eines Darstellers nicht die Sicht auf die Handlung verstellt. Was natürlich nicht heißt, hier würden Laien agieren, die das Drama der Figuren nicht tragen könnten. Hauptdarsteller Dave Johns ist ein echter Gewinn. Johns ungemein offene und empfängliche Mimik ist in vielen Szenen genau das, was der Film benötigt. Es fällt zu keiner Zeit schwer, sich Daniel Blake als typischen Arbeiter vorzustellen, den man beim Arbeitsamt am Nachbartisch sitzend sehen würde. Dass Johns hier einen aufrichtigen und grundguten Menschen spielt, kommt ihm dabei natürlich entgegen. Neben ihm glänzt Hayley Squires als verantwortungsvolle Mutter Katie, die zu allem bereit ist, um ihre Kinder zu schützen. Ihre deutlich fragilere Rolle spielt sie mit einer berührenden Verletzlichkeit, die den Zuschauer einnimmt und bewegt.
Wenn Ich, Daniel Blake naturalistisch ist, was ist Naturalismus?
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine literarische Gattung in Deutschland und anderen europäischen Ländern, die für sich den Anspruch erhob, die Menschen und die Gesellschaft ungeschönt und quasi authentisch abbilden zu wollen. Während die Autoren des Realismus wie Theodor Fontane das Bürgertum in schönen Kleidern und Kutschen darstellten, wählten Schriftsteller wie Gerhard Hauptmann die Unterschicht zu ihren Protagonisten. Das Hässliche und Schlechte stand jetzt im Vordergrund. Die Figuren sprachen keine gehobene, sondern eine derbe, zotige Sprache, die auch einen starken Dialekt nicht scheuten. Mit dem naturalistischen Blick auf die Arbeiter am Fuße der Gesellschaft war häufig auch Kritik am Staat und den gesellschaftlichen Umständen verbunden. In Ken Loachs Ich, Daniel Blake finden wir genau diesen naturalistischen Stil wieder.
Ungeschönte Sozialkritik
Mit Daniel und Katie zeigt uns der Film zwei Schicksale im britischen Newcastle. Die eine Person steht ohne Mann und Job, dafür aber mit zwei Kindern, da. Der andere ist derzeit zu krank zum Arbeiten. Beide erhalten aus unterschiedlichen Gründen keine Unterstützung vom selbsternannten Sozialstaat. Deshalb fühlen sich beide allein gelassen und ungerecht behandelt.
Loach weigert sich dabei konsequent, uns in ein übermäßiges Tal der Tränen zu schicken, aus dem wir gelöst wieder herauskommen könnten. Ebenso erlaubt er seinen Figuren keinen schnellen Ausweg aus ihrem tragischen Schicksal – keine Hollywoodwunder, keine glücklichen Fügungen. Die Kamera hält sich als Beobachter durchgängig auf Halbdistanz, um jederzeit die Szenerie neutral einzufangen. Wir dürfen zwar auch in die Gesichter der leidenden Figuren schauen, aber Loach klebt nie an seinen Darstellern wie beispielsweise Darron Aronofskiy an Mikey Rourke in “The Wrestler”. Wenn Katie vor Hunger wie ein wildes Tier aus einer Dose ist, bleibt dies so unkommentiert wie ein Spaziergang zwischen Daniel und Katie.
Trotz allem schmeckt auch ein Film wie Ich, Daniel Blake einen Tick romantisch. Wenn sich alle Menschen aus der Arbeiterschicht oder der kurz gezeigten Essensausgabe sehr verständnisvoll zeigen, die Bürokraten des Arbeitsamts, bis auf eine Ausnahme, kaltherzig und unfreundlich agieren, dann wirkt das schon etwas gelenkt. Schließlich hat Loach immer noch eine Botschaft vor Augen, die er trotz seiner stark zurückhaltenden, eben naturalistischen Inszenierung formulieren möchte. “Unten hilft man sich, denn von oben wird getreten” – könnte man sagen. Dieses vielleicht letzte Zugeständnis muss für den Zuschauer aber kein Stolperstein sein – Ich, Daniel Blake ist weit entfernt von Klischees und mutwillig zugespitzten Empörungen über Missstände.
Fazit
In Cannes gewann Ken Loach 2016 die Goldene Palme für den besten Film. Ich, Daniel Blake ist zweifelsfrei ein wichtiger Gesellschaftsfilm und politisch bedeutsamer Kommentar. Dass der Alt-Regisseur seine Botschaft jedoch schmuck- beziehungsweise schnörkellos inszeniert und abfilmt, dürfte nicht jedem Zuschauer schmecken. Letztlich ist die Handlung des Films eine bittere Pille, die wir hier ohne jede Süße schlucken müssen. Die guten Darsteller helfen uns dabei aber so weit, dass wir (auch ohne rührselige Musik oder hollywoodhafte Leidensmomente) tief ergriffen sein können. So bleibt unsere Brust bis zuletzt eng geschnürt. Wir müssen selbst entscheiden, was wir aus dieser bedrückenden Gesellschaftsanalyse machen.
Hier die Bewertung der MovicFreakz – Redaktion:
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Hier könnt Ihr den Film selbst bewerten:
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