Mafiafilme scheinen nicht mehr aktuell zu sein. So musste man für die letzten wirklich guten Streifen dieses Genres schon eine ganze Weile zurückblicken. Doch auf der letztjährigen Berlinale lief der zu Recht mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnete Paranza – Der Clan der Kinder und in Cannes 2019 bekam man Marco Bellocchios neuen Film Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra zu sehen. Ob der Streifen dem Genre des Gangsterdramas noch etwas Neues hinzufügen kann, erfahrt ihr im Folgenden.
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Titel | Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra |
Jahr | 2019 |
Land | Brazil |
Regie | Marco Bellocchio |
Genres | Drama, Krimi, Thriller |
Darsteller | Pierfrancesco Favino, Maria Fernanda Cândido, Fabrizio Ferracane, Fausto Russo Alesi, Luigi Lo Cascio, Bruno Cariello, Giovanni Calcagno, Rosario Palazzolo, Nicola Calì, Vincenzo Pirrotta, Pier Giorgio Bellocchio, Michelangelo Cicirello, Gabriele Cicirello, Paride Cicirello, Goffredo Maria Bruno, Ludovico Caldarera, Alessio Praticò, Bebo Storti, Federica Butera, Alberto Gottuso, Pippo Di Marca, Ada Nisticò, Matteo Contino, Aurora Peres, Simona Distefano, Elia Schilton, Maria Amato, Nunzia Lo Presti, Edoardo Strano, Jonas Bloch, Nicola Siri, Rainer Cadete, Luciano Quirino, Edoardo Russo de Ornellas, Francesco Emanuele Chinnici, Antonio Orlando, Giovanni Crozza Signoris, Tatu La Vecchia, Sergio Pierattini, Raffaella Lebboroni, Marco Gambino, Letizia Porcaro, Vincenzo Ferrera, Domenico Minà, Domenico Gennaro, Carlo Ferreri, Paolo La Bruna, Gabriele Arena, Antonio Silvia, Fabrizio Romano, Roberto Burgio, Matteo Sicuro, Claudio Collovà, Giovanni Vettorazzo, Michele Celeste, Salvo Scuderi, Miriam Previati, Turi Di Maria, Mario Gioè, Vince Cannizzaro, Pietro Pace, Dino Santoro, Larry Kapust, Virgilio Rattoballi, Quinzio Quiescenti, Dario Muratore, Raffaella D'Avella, Cinzia Susino, Chiaraluce Fiorito, Viviana Militello, Marta Limoli, Annamaria Spina, Tiziana Cuticchio, Leo Wainer, Iran Meu Nêgo, André Lamoglia, Wagner Brant, Kenny Alberti, Andé Melo, Bruno D'Elia, Douglas Rodrigues, Joel Tavares, Vitor Ferrade, Kael Ferrari, Oliver Oliveira, Lorenzo Kauthecher, Sofia Medeiros, Rosaria Costa Schifani, Tommaso Buscetta |
Länge | 151 Minuten |
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Die Handlung von Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra?
Tommaso „Don Masino“ Buscetta ist angesehenes Mitglied der sizilianischen Mafia – der Cosa Nostra. Einige um ihn herum sehen ihn sogar als ein künftiges Oberhaupt. Als in den 80er Jahren jedoch ein Rivalitätskrieg zweier Clans innerhalb der Mafia ausbricht, versucht Buscetta, sich und seine Familie in Brasilien zu schützen – jedoch vergeblich. Systematisch werden einige ihm nahestehende Familienmitglieder und Verbündete im Rahmen dieses Machtkampfes ermordet. Als Buscetta schließlich von der örtlichen Polizei festgenommen und nach Italien zurückversandt wird, trifft er in Haft die Entscheidung, sein Schweigegelübde zu brechen und sämtliche ihm bekannte Informationen an die Justiz zu übermitteln. Dass dieser Verrat nicht folgenlos bleibt, ist selbstverständlich zu erahnen.
Dubiose aber faszinierende Antihelden in der Mafia – das war einmal
Rund um Verrat und Ehre soll sich diese Geschichte drehen, die auf realen Ereignissen der 1980er und 90er basiert. Die Szenen, in denen Buscetta versucht zu argumentieren, weshalb er (und nur er) ehrenhaft bleibt, obwohl er sich von der Mafia abwendet, gehören sicherlich zu den stärksten des Films. Ständig muss er sich rechtfertigen, um auch gegenüber der Justiz seine Authentizität und Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Der Streifen nutzt diesen Umstand nun als Aufhänger, um mehr über den persönlichen, ethischen und moralischen Kodex von Don Masino zu erfahren. Ihm Gegenüber stehen dabei einerseits die Polizei und andererseits die Mafia, sodass Buscetta ständig wie ein Mittelsmann zwischen juristischem Gesetz und den eigenen Regeln des bekannten, verbrecherischen Geheimbundes agiert. Leider bleiben die Dialoge jedoch zu belanglos und immer dann, wenn man das Gefühl bekommt, jetzt würde eine interessante Diskussion ausbrechen, endet die Szene.
So erfahren wir leider kaum etwas darüber, wie Buscetta überhaupt zur Cosa Nostra gekommen ist und was ihn an dieser Gemeinschaft gereizt hatte. Die Debatte bleibt allzu häufig lediglich auf dem Niveau des sich rächenden und enttäuschten Ex-Mitglieds, ohne weiter in die Tiefen der Organisation zu dringen. Dabei wird der Protagonist als fast schon gereinigter Mensch dargestellt. Auch wenn sich sein späterer Partner nach Absitzen einer Gefängnisstrafe nach gewaltsamer Rache sehnt, so bleibt Buscetta weiterhin beständig auf der Seite der „Rechtschaffenden“. Bedauerlicherweise nimmt Bellocchio somit eine fast schon naive Sichtweise ein, die dem Film mehr schadet, als dass sie Gewinn bringt. Den Umstand, dass die reale Person Don Masino immer noch höchst umstritten ist (nicht zuletzt wegen schwerwiegenden Verdachts bezüglich mehrerer Falschaussagen), scheint der Streifen zu ignorieren, woraus sich der Eindruck ergibt, dass die realen Ereignisse hier zugunsten einer einseitigen Gut-Böse-Darstellung geschönt worden sind.
Alles Grau in Grau
Die filmischen Vorbilder und Inspirationen für Regisseur Bellocchio werden bereits in den ersten Minuten deutlich. Das Familienfest zu Beginn erinnert vom Setting und von der Bildgestaltung her merklich an die berühmte Einstiegssequenz von Coppolas Meisterwerk Der Pate. Auch in späteren Szenen fühlt man sich nicht nur an diesen Klassiker, sondern auch an Martin Scorseses Goodfellas erinnert. Allerdings bleibt Bellocchio deutlich nüchterner in seiner Betrachtung der Gewaltverbrechen. Diese werden hart inszeniert und zeigen die Grausamkeit und Willkür der Gesetzlosen. Er entromantisiert das Genre ein für alle Mal. Was bleibt, sind Gerichtsverhandlungen und Nachbeben des Geschehenen. Letztendlich muss man sich jedoch auch fragen, inwieweit sich die Probleme und Konflikte der damaligen Zeit auf heute übertragen lassen. Welchen Anlass sehen der Regisseur und seine Drehbuchautoren, dem Publikum diese Geschichte zu erzählen? Eine Antwort auf diese Frage lässt sich allerdings nur schwer finden.
Der angesprochene nüchterne Blick ergibt sich selbstverständlich auch aus der Inszenierung. Die Filmmusik von Nicola Piovani gestaltet sich als zurückhaltend und wenig aufdringlich – wenn überhaupt etwas zu hören ist. In den meisten Szenen kommt der Film nämlich vorwiegend ohne Begleitung aus. Die Bilder sind kühl und in matte Farben getaucht. Selbst der Schnitt wirkt in den meisten Szenen überaus bedächtig und betont ruhig. Nur in wenigen Montagen oder in einigen Augenblicke im Gerichtssaal kommt etwas Schwung in die Inszenierung. Das kann dazu führen, dass die stattliche Lauflänge von 153 Minuten dem Publikum trotz der soliden und bedachten handwerklichen Fertigkeiten der Filmschaffenden einiges an Sitzfleisch abfordert. Viele Szenen scheinen sich zu wiederholen, was dazu führt, dass der Streifen locker eine halbe Stunde zu lang geraten ist. Daran kann leider auch der überaus ambitionierte Pierfrancesco Favino nichts ändern, auch wenn er aus dem sonst eher durchschnittlichen Cast herauszustechen weiß.
Fazit zu Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra
Alles in Allem behandelt der Streifen eine durchaus spannende Geschichte basierend auf wahren Ereignissen. Regisseur Marco Bellocchio tut auch gut daran, sich einen Großteil der Laufzeit auf die Befragungen und Gerichtsverhandlungen zu konzentrieren, denn in dieser weiß Il Traditore tatsächlich zu glänzen und zu fesseln. Allerdings gelingt selten ein wirklich tiefer Einblick in die Weltanschauungen der einzelnen Charaktere, was besonders ärgerlich ist, da es sich angesichts des gebotenen Szenarios um verschenktes Potenzial handelt. Trotz eines leider zu einseitigen und undifferenzierten Blickes auf die Geschehnisse kann insbesondere der charismatische Hauptdarsteller punkten und auch die kühle Inszenierung kommt der allgemeinen Atmosphäre sehr zugute. Eine halbe Stunde weniger hätte dem Streifen dennoch nicht geschadet, sodass das Seherlebnis letzten Endes etwas getrübt wird.
Zusammenfassend ist Il Traditore für alle, die sich für die Thematik interessieren und generell Spaß am Mafiagenre haben, somit dennoch eine kleine Empfehlung. Wer das Genre allerdings lieber etwas modernisiert sehen mag, demjenigen sei der im selben Jahr erschienene Paranaza – Der Clan der Kinder von Claudio Giovannesi eher ans Herz gelegt. So sehnt man sich doch gerade im Anschluss an Bellocchios Streifen zurück nach den Klassikern des Genres wie etwa dem Der Pate-Epos oder Scorseses kraftvollen Werken wie Goodfellas oder Casino, die schon damals deutlich differenzierter und unterhaltsamer daherkamen, als Il Traditore heute.
Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra ist am 27. November 2020 auf DVD und Blu-ray erschienen.
Unsere Wertung:
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