Im Westen nichts Neues ist Schullektüre und Weltliteratur und wurde auch schon eindrucksvoll verfilmt. Nun wagt sich der deutsche Regisseur an eine zeitgemäße Neuverfilmung. Wir klären in der Kritik, ob dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt wurde.
Titel | Im Westen nichts Neues |
Jahr | 2022 |
Land | Germany |
Regie | Edward Berger |
Genres | Drama, Kriegsfilm, Action |
Darsteller | Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, Moritz Klaus, Adrian Grünewald, Edin Hasanović, Daniel Brühl, Thibault de Montalembert, Devid Striesow, Andreas Döhler, Sebastian Hülk, Luc Feit, Michael Wittenborn, Michael Stange, Sascha Nathan, Tobias Langhoff, Anton von Lucke, Michael Pitthan, Joe Weintraub, Charles Morillon, Gabriel Dufay, Dan Brown, Philipp Schenker, Cyril Dobrý, Sebastian Jacques, Gregory Gudgeon, Cyril Čechák, Jakob Schmidt, Felix von Bredow, Martin Dostál, Marek Simbersky, Jakob Diehl, Friedrich Berger, Anthony Paliotti, Radek Brodil, Jonathan Henault, Nico Ehrenteit, Hendrik Heutmann, Daniel-Frantisek Kamen, Tomáš Čapek, Markus Tomczyk, Emil Rothermel, Wolf Danny Homann, Michal Závodský, Nicolas Prokop, Jacob Zacharias Eckstein, Adam Mensdorff, Peter Sikorski, Alžběta Malá, Andrea Zatloukalová, Thomas Zielinski, Tomáš Weber, Samuel Neduha, Martin Němec, Tomáš Merkl |
Länge | 148 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Im Westen nichts Neues – Die offizielle Handlungsangabe
Frühjahr 1917. Der 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) und seine Freunde können es nicht erwarten, in den Krieg zu ziehen, auf Paris marschieren, den Sieg davontragen. So stellen die Jungs sich das vor. So wird es ihnen versprochen. Jubelnd und singend marschieren sie los, die „eiserne Jugend“, für Kaiser, Gott und Vaterland. Die Begeisterung hält nicht lange. Als sie nach tagelangem Marsch an der Westfront ankommen, regnet es in Strömen. Der Schützengraben läuft voll, ist ein einziger Morast. Doch die Franzosen warten nicht. Schon bald nehmen sie den Graben unter Beschuss.
Im Westen nichts Neues erzählt die ergreifende Geschichte eines jungen deutschen Soldaten an der Westfront im Ersten Weltkrieg. Paul (Felix Kammerer) und seine Kameraden erleben am eigenen Leib, wie sich die anfängliche Kriegseuphorie in Schrecken, Leid und Angst umkehrt, während sie in den Schützengräben verzweifelt um ihr Leben kämpfen.
Annähernd Hollywood-Produktionsstandard
Für die erste deutsche Filmumsetzung der bekannten Vorlage von Erich Maria Remarque, die inzwischen fast 100 Jahre alt ist, hat sich Netflix definitiv nicht lumpen lassen. Im Westen nichts Neues ist ein Film für die große Leinwand und jeder der die Gelegenheit hat sollte ihn auch dort sehen und nicht warten, bis er mit einem Monat Versatz kostenlos im Streaming-Abo erscheint. Allein das Schlachtfeld-Set ist gigantisch und steckt hinter vergleichbaren Hollywood-Produktionen in nichts zurück. Die Kameraarbeit von James Friend ist sensationell: das Spiel mit dem Licht, die Positionierung der Kamera in den Kampfszenen, dazu Luftaufnahmen und zahlreiche sich langsam aufbauende Totalen – wie gesagt: Bilder fürs Kino.
Antithese und Ergänzung zu 1917
Dabei ist natürlich eine Verwandtschaft im Geiste zu Sam Mendes 1917 nicht von der Hand zu weisen. Allein schon wegen des Fokus auf eine sehr geringe Anzahl an Perspektiven und die Unmittelbarkeit als Zuschauer mit im Gefecht befindlich zu sein. Doch irgendwie ist Im Westen nichts Neues auch das Kontrastprogramm zum Plansequenz-Kriegsspektakel des britischen Filmemachers. Während in 1917 die Handlung quasi in Echtzeit miterlebt werden kann, strapaziert im direkten Vergleich Edward Berger mit seiner Langsamkeit doch ab und an die Nerven des Publikums. Die Motivation dafür ist selbstredend und alles andere als innovativ: Im Ausharren der Bilder unberührter und menschenleerer Natur soll die Sinnlosigkeit des Krieges als solches gespiegelt werden. Die Kernbotschaft liegt ja schon im Genre des Antikriegsfilms und muss speziell in Zeiten, in denen tatsächlich in Europa wieder ein Krieg geführt wird, über dessen Sinnhaftigkeit noch in Generationen Verwunderung herrschen wird, nicht erneut herausgestellt werden.
Es geht niemals um den Einzelnen, sondern immer nur um das Gesamte
Auch an viele weitere Filmklassiker des Genres werden im Laufe der knapp zweieinhalb Stunden Erinnerungen wach. Edward Berger inszeniert hier einen handwerklich über jeden Zweifel erhabenen Beitrag zu einem Genre, in dem kaum noch Innovation möglich ist. Im Westen nichts Neues funktioniert als zeitgemäße Adaption eines literarischen Meilensteins hervorragend, als für sich stehender Antikriegsfilm dafür nicht ganz ohne Abstriche.
Im Genre kaum Neues
Neben dem permanenten Gefühl, dass man solche Szenen schon zuhauf gesehen hat, ist ein weiteres Problem der Neuverfilmung, dass einige Bilder zu dominant ausgespielt werden und so der Eindruck entsteht, dass mit Absicht durch die audiovisuelle Stärke über die inhaltliche Formelhaftigkeit hinwegzutäuschen versucht wird. Der Film sieht nunmal fantastisch aus. Die Schlachten zwischen den Schützengräben wirken lebensecht. Man kann das dreckige Wasser förmlich fühlen, die Kälte am eigenen Leib nachvollziehen. Die verdreckten Soldaten sehen zudem auch wirklich so aus, als hätten sie wochenlange Kriegsstrapazen in den Knochen. Die Maske ist ebenfalls preisverdächtig.
Für Kaiser, Gott und Vaterland
Wobei man jedoch schon neue Pfade betritt, ist beim Score, den hier Volker Bertelmann (Stowaway) zu verantworten hat. Anfangs dominieren Synthesizer-Salven, die in immer kürzer werdenden Abständen peu à peu eine Drohkulisse wie Gewitterwolken am Horizont aufbauen. Das wird dann noch durch sehr dominante Trommeleinsätze untermauert. Ein bisschen erinnert dies zwar an Das Boot, aber dennoch verleiht die musikalische Gestaltung dem Werk doch eine gewisse Eigenständigkeit, die auf inhaltlicher Ebene weitestgehend fehlt. Auch wenn im Verlauf der Soundtrack immer orchestraler wird, so bleiben speziell die akustisch dominanten Anfangsminuten im Ohr.
Ein Newcomer strahlt an der Seite bekannter Namen
Sehr spannend ist die Besetzung der Hauptfigur, an deren Seite man als Zuschauer:in einen Großteil der Handlung miterlebt. Denn Felix Kammerer, ein junger österreichischer Theaterdarsteller, ist im Filmbereich ein absolut unbeschriebenes Blatt. Doch schon nach wenigen Minuten ist klar, dass er perfekt in die Rolle des Paul Bäumer passt, denn auch dieser wurde im Roman ja quasi ins kalte Wasser geworfen. Die anfängliche Kriegseuphorie, die sogar noch durch ein ausdrucksstarkes Lächeln im Gesicht bei den ersten Märschen untermalt wird, weicht schnell dem Entsetzen angesichts der Aussichtslosigkeit des Unterfangens, in dem sich Paul und seine Kameraden befinden. Von da an entspinnt sich eine recht konventionelle Geschichte von Freundschaft, Kameradschaft, Loyalität und der permanenten Frage nach dem Sinn des Kämpfens.
Überraschungen werden weder Buchkenner noch Fans des Genres erleben. Doch emotional überzeugt dieser Film trotzdem auf ganzer Linie. Die Gräuel des Krieges – egal wie oft man sie auf der Leinwand oder dem Fernseher gesehen hat – wissen zu schocken. Je mehr man sich in die Soldaten hineinversetzen kann, desto intensiver ist das Filmerlebnis. Und da beispielsweise mit Albrecht Schuch oder Edin Hasanovic hier Schauspieler verpflichtet wurden, die genau wissen, wie sie beim Publikum die richtigen Knöpfe drücken müssen, geht Im Westen nichts Neues trotz der Vorhersehbarkeit durch Mark und Bein.
Bilder, die man nicht vergisst
Mehr als die 08/15-Aussage, dass Krieg nunmal sinnlos ist, bleiben dann einige Bilder im Gedächtnis haften. Die Leichenberge zu Beginn, die mit reichlich Komparsen realistisch wie möglich gestalteten Grabenkämpfe, das Blut, das Wasser, der Dreck – an optischen Leckerbissen mangelt es der Neuverfilmung nicht. Dabei kocht natürlich wieder die alte Frage hoch: darf man etwas so grausames wie den Krieg mit solch stilistisch schönen Bildern darstellen? Wenn die Bilder dabei wie die letzten Szenen des Films so stark von Tragik und Schock geprägt sind, dann lautet die Antwort eindeutig ja. Denn auch wenn der Ausgang der Geschichte ja bekannt ist, so versetzt einen die finale Pointe doch unweigerlich in eine Schockstarre. Und somit bleiben dann die Bilder, die mahnenden Charakter haben am Ende doch noch länger hängen, als die so spektakulär choreografierten Metzeleien.
Unser Fazit zu Im Westen nichts Neues
Keine Frage: die Neuauflage des Klassikers ist Netflix geglückt. Schauwerte für die Kinoleinwand und eine zeitlose Antikriegsbotschaft treffen auf einen stark aufspielenden Newcomer und ein solides Kriegsdrama. Im internationalen Vergleich braucht sich diese deutsche Produktion nicht zu verstecken und ist auch nicht von ungefähr der deutsche Beitrag für die kommende Oscarverleihung. Lediglich die langsame Erzählweise und die Tatsache, dass dem Genre per se nichts hinzugefügt wird, was man nicht schon etliche Male sehen konnte, mindern den Gesamteindruck ein wenig. Als zeitgemäße Umsetzung eines knapp hundertjährigen Buches ist Im Westen nichts Neues aber mehr als gelungen. Und daher gibt es mit entsprechender Geduld eine klare Empfehlung.
Im Westen nichts Neues ist ab dem 29. September im Kino zu sehen und ab Ende Oktober auch bei Netflix abrufbar!
Unsere Wertung:
© Netflix