Der Dokumentarfilm It Must Schwing – The Blue Note Story ist ein liebevolles Porträt zweier Außenseiter, die vor den Nazis in die USA flohen. In New York gründeten Alfred Lion und Frances Wolff das Blue-Note-Plattenlabel, mit dem sie den Modern Jazz populär machten. Warum der Film nicht nur für Jazzfans interessant ist, erfahrt Ihr hier.
Titel | It Must Schwing - Die Blue Note Story |
Jahr | 2018 |
Land | Germany |
Regie | Eric Friedler |
Genres | Dokumentarfilm |
Darsteller | Alfred Lion, Herbie Hancock, Quincy Jones, Wayne Shorter, Thelonious Monk, George Benson, Sonny Rollins, Ron Carter, Horace Silver, Lou Donaldson, Bennie Maupin, Michael Cuscuna, Sheila Jordan, Benny Golson |
Länge | 115 Minuten |
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Davon handelt It Must Schwing – The Blue Note Story
Zwei Deutsche jüdischen Glaubens fliehen vor den Nazis in die USA und gründen in New York ein Plattenlabel, mit dem sie den Modern Jazz und seine farbigen Musiker berühmt machen. Was in It Must Schwing klingt wie ein fantastisches Märchen ist die wahre Geschichte von Blue Note Records, dem Label, das den Sound des Jazz über Jahrzehnte maßgeblich geprägt hat.
Der Dokumentarfilm It Must Schwing – The Blue Note Story erzählt diese erstaunliche Geschichte der Freunde Alfred Lion und Frances Wolff, die als Alfred Löw und Frank Wolff 1908 in Berlin geboren wurden. Schon als Teenager schlossen sie Freundschaft, verbunden durch die gemeinsame Liebe zur Musik. Ein Konzert des amerikanischen Bandleaders Sam Wooding 1925 in Berlin wurde zur Initialzündung. „Ich hörte diese Musik und war sofort hin und weg“, wird sich Lion in einem seltenen Radiointerview 1964 erinnern. „Dieser Beat fuhr mir gleich in die Knochen.“
Jazz wurde später von den Nazis verboten. Dennoch gab es längere Zeit immer noch Platten zu kaufen. Mit den Swing-Boys, auch Swing-Jugend genannt, gab es sogar eine Art Untergrundbewegung von jugendlichen Fans. Ob Lion und Wolff damit in Kontakt geraten waren, ist allerdings fraglich. It Must Schwing verrät darüber nichts. Lion indes erkannte die heraufziehende Gefahr früh und floh Mitte der 30er Jahre mit seiner Mutter aus Deutschland. Nach einer Zwischenstation in Chile erreichten sie die USA. Besessen vom Jazz ließ er sich in New York nieder. Wolff folgte erst 1939, schloss sich dann aber sofort seinem alten Jugendfreund an, der bereits erste Plattenaufnahmen produziert hatte.
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Auf der Suche nach „Race Records“
Lion hatte 1938 in der Carnegie Hall die Revue „From Spiritual to Swing“ gesehen. Es war das erste große Konzert mit afroamerikanischem Jazz überhaupt, unter anderem mit den damaligen Boogie-Woogie-Größen Albert Ammons, Meade Lux Lewis und Pete Johnson. Musik, die er liebte, die aber kaum auf Platten zu haben war. Als so genannte „Race Records“ konnte man nur wenige Exemplare in Geschäften in Harlem kaufen. Also lud er Ammons, Lewis und Johnsson zusammen mit seinem damaligen Kompagnon Max Margulis zu Aufnahmen ein – die erste Platte der Blue Note Records entstand.
Margulis blieb eine Randfigur, aber als Wolff wenig später dazu stieß, war eine visionäre Partnerschaft begründet. Der Fotograf Wolff prägte mit seinen Bildern zusammen mit der Grafik des später dazustoßenden Designers Reid Miles ab den 50er Jahren den typischen Blue-Note-Look der Plattencover.
Es mag auf dem ersten Blick seltsam erscheinen, dass ausgerechnet Lions mit stark cartoonhaftem Akzent vorgebrachtes „It must schwing“ zu einer Art Leitspruch des Labels werden sollte. War Swing doch die etwas verwässerte Jazzversion der Weißen, wie sie von Benny Goodman, Glenn Miller, den Dorsey-Brüdern oder auch Frank Sinatra verkörpert wurde. Die Liebe des deutschen Juden Löw galt aber der schwarzen Musik, dem Jazz des Ghettos. Und „Schwing“ war eben der Kern dieser Musik, wie er erkannt hatte. Es ging um den Groove. „Es musste Schwingen. Es musste dieses ‚Swing Ting-Tingtingteting‘ haben. Ohne das ist es kein Jazz“, sagt Trompeter Charles Tolliver in einem der Interviews in It Must Schwing – The Blue Note Story. Dies war die Seele der Musik.
It Must Schwing fantasievoll animiert
Der Dokumentarfilm von Eric Friedler enthält zahlreiche Interviews, Erinnerungen und Statements von bekannten Musikern wie Herbie Hancock, Sonny Rollins, Wayne Shorter, Quincy Jones, Ron Carter oder George Benson, daneben seltenes Film- und Bildmaterial mit Lion und Wolff. Bewegende Worte findet auch Sheila Jordan, die einzige weiße Sängerin, die bei Blue Note Aufnahmen veröffentlichen konnte. Als Executive Producer von It Must Schwing – The Blue Note Story war Wim Wenders an dem Projekt beteiligt. Wobei man sich gefreut hätte, etwas mehr und detaillierter über die Art seines Beitrags zu erfahren.
Der Film setzt in seiner Erzählweise auf für eine historische Dokumentation ungewöhnliche, aber effektive Wege. Statt Szenen semidokumentarisch mit Schauspielern nachzustellen, arbeitet er mit fantasievollen Animationen. Eine Methode, die auch bei Filmen mit aktuelleren Themen wie etwa Persepolis ausgezeichnet funktioniert. Detailliert gezeichnete und in schwarz-weiß gehaltene Zeichentricksequenzen, mit zeitgenössischer Musik unterlegt, lassen das Flair der Epoche lebendig werden. Wenn anfangs die Knickerbocker-Jungs durch die Berliner Salons tanzen, abrupt unterbrochen von der Machtergreifung Hitlers, der in zeitgenössischem Filmmaterial im offenen Wagen Einzug in Berlin hält, kann man schon mal schlucken.
Ein Teil der Bürgerrechtsbewegung
It Must Schwing ist eben nicht nur eine Geschichte über die Musik, sondern auch über Politik und Gesellschaft. Blue Note Records war auch für die Bürgerrechtsbewegung in den USA von Bedeutung. Und es kam wahrscheinlich nicht von ungefähr, dass sich ausgerechnet vor den Nazis geflüchtete Juden mit den Schicksalen ausgegrenzter und verfolgter Farbiger in den USA identifizieren konnten. Sie sahen Parallelen zwischen den Gewaltexzessen gegen Farbige und Juden. Und sie spürten den Schmerz, der sich in der Musik manifestierte. „Sie hörten das Leid in der Musik, denn sie konnten das Leid gut nachempfinden“, sagt Sheila Jordan im Interview. Und als erste überhaupt gaben Lion und Wolff farbigen Musikern ein Podium, eine Öffentlichkeit.
Herbie Hancock betont: „Jazz ist in vielerlei Hinsicht eine Reaktion auf Diskriminierung, auf Versklavung und auf unmenschliches Verhalten.“ Was in It Must Schwing die berührend animierte Sequenz mit Billie Holidays „Strange Fruit“, der wohl bittersten aller Blues-Balladen, eindrucksvoll illustriert. Für Hancock haben Lion und Wolff die Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren auf ihre Weise vorangebracht, und Sonny Rollins fordert, dass sie „endlich als Unterstützer der Bürgerrechtsbewegung angesehen werden“.
Das letzte Interview mit dem Tonmeister
Für Barry Singer, Kolumnist des New Yorker, prägten sie „einen Soundtrack der Beziehung zwischen Schwarz und Weiß“. Ein Sound, zu dem auch der legendäre Toningenieur Rudy Van Gelder beigetragen hat. Ihm gelang es immerhin umzusetzen, was Lion hören wollte: einen Sound, der unverfälscht wie bei einem Live-Konzert klang. Van Gelder gab Eric Friedler für It Must Schwing – The Blue Note Story im Jahr 2016 sein letztes Interview. Nur wenige Wochen später starb er. Bei der Erinnerung an den 1987 verstorbenen Alfred Lion und dem bereits 1971 verstorbenen Frances Wolff kamen ihm die Tränen.
Unser Fazit zu It Must Schwing – The Blue Note Story
Dieser Dokumentarfilm zeigt ein beeindruckendes Porträt zweier Ausnahmegestalten der Musikgeschichte. Mit ihrer zutiefst empfundenen Liebe für den afroamerikanischen Jazz, aber auch ihrer Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft, legten sie einen wichtigen Grundstein für die Entwicklung des Modern Jazz. Der zuvor schon in der ARD gezeigte Film ist aber nicht nur für Jazzfans ein Gewinn, sondern für alle, die sich mit der Geschichte von Ungleichheit und Verfolgung, aber auch mit dem Lob der Freiheit auseinandersetzen wollen.
It Must Schwing – The Blue Note Story erscheint am 24. April 2020 als 2-Disc-Edition. Das Bonusmaterial enthält neben einem sieben Minuten längeren Directors Cut (OmU) ein 32-seitiges Booklet mit Hintergrundinformationen.
Unsere Wertung:
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