Zu Beginn seiner Karriere als Regisseur schuf Bob Clarke mit Black Christmas einen Film, der nicht nur als Prototyp des Slashers bezeichnet werden kann, sondern im Laufe der Zeit zum echten Kultklassiker avancieren sollte.
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Titel | Jessy - Die Treppe in den Tod |
Jahr | 1974 |
Land | Canada |
Regie | Bob Clark |
Genres | Horror, Mystery, Thriller |
Darsteller | Olivia Hussey, John Saxon, Andrea Martin, Bob Clark, Marian Waldman, Margot Kidder, Keir Dullea, James Edmond, Doug McGrath, Lynne Griffin, Art Hindle, Michael Rapport, Leslie Carlson, Martha Gibson, John Rutter, Robert Warner, Sydney Brown, Jack Van Evera, Les Rubie, Marcia Diamond, Pam Barney, Robert Hawkins, David Clement, Dave Mann, John Stoneham Sr., Danny Gain, Tom Foreman |
Länge | 98 Minuten |
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Jess (Olivia Hussey) verbleibt mit einigen Kommilitoninnen (u. a. Margot Kidder, Andrea Martin) über die Weihnachtsferien im studentischen Wohnheim. Die weihnachtliche Idylle wird erst von ständigen obszönen Anrufen gestört und gänzlich zertrümmert, als die erste Studentin spurlos verschwindet…
Im Folgenden werden etliche Details des Films aufgegriffen, weshalb trotz 45 jährigem Bestehen akute Spoilerwarnung herrscht!
Bunte Darstellerriege
Bob Clark hatte sich für seinen dritten Langfilm das Ziel gesetzt, den amerikanischen Markt zu erobern. So sollte die Rolle des Leutnant Fuller ursprünglich von Hollywood-Größe Edmond O’Brien (The Wild Bunch; Der Mann, der Liberty Valance erschoss; Die barfüßige Gräfin) verkörpert werden. Dieser wurde von seiner Agentur, trotz fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung, zum Dreh von Black Christmas beordert. Vor Ort stellten Clark und Produzent Gerry Arbeid fest, dass O’Brien niemals den Anforderungen der Dreharbeiten standhalten würde: Nachtdrehs und eiskalte Temperaturen stellen schon gesunde Darsteller vor Herausforderungen.
Kurzerhand wurde die Rolle mit John Saxon (Nightmare On Elm Street-Reihe, Der Mann mit der Todeskralle, From Dusk Till Dawn) besetzt, der hier den engagierten Polizei-Chef gibt und seine planlosen Untergebenen zusammenhält.
Auch Clarks Vorhaben die Hausmutter Mrs. Mac mit einer weiteren Hollywood-Legende zu besetzen, scheiterte: Bette Davis‘ (Landhaus der toten Seelen, Was geschah wirklich mit Baby Jane?) Engagement stand das knappe Budget von Black Christmas im Wege. Mit Keir Dullea (2001: Odyssee im Weltraum, 2010 – Das Jahr in dem wir Kontakt aufnehmen, Der gute Hirte) stand dann aber doch noch jemand mit umfangreicherer Schauspielerfarung vor der Kamera.
Die eigentlichen Gewinne sind jedoch, die zum damaligen Zeitpunkt in den Mitzwanzigern steckenden, Olivia Hussey (Romeo und Julia, Tod auf dem Nil, Es) und Margot Kidder (Schwestern des Bösen, Superman-Reihe, Amityville Horror). Beide dominieren mit Leichtigkeit ihre Szenen, was aber nicht nur an ihren schauspielerischen Qualitäten liegt.
Black Christmas – emanzipierter Horror
Sieht man Black Christmas in der heutigen Zeit zum ersten Mal (wie der Autor dieser Zeilen), erweckt er einen unverschämt innovativen Eindruck. Paradoxerweise ist es aber gerade dieser Film, der heute in Zement gemeißelte Klischees überhaupt erst eingeführt hat. Denn genau diese etablierten Motive, zeigen sich in Clarks Film wunderbar konträr zum heutigen Standard.
Wo bei Jason & Co die Teens und Twens für Promiskuität oder wenigstens vorehelichen Sex, Drogen und Alkoholkonsum zur Rechenschaft gezogen werden und die frommen jungfräulichen Mädels schlussendlich triumphieren, wandelt Black Christmas auf gänzlich anderen Pfaden. Das erste Opfer des manischen Killers ist die artige und gesittete Clare und das Final Girl die schwangere und selbstbestimmte Jess.
Noch vor Alien präsentieren Clark und Drehbuchautor Roy Moore in ihrem Horrorthriller starke emanzipierte Frauenfiguren. Jess ist nicht nur schwanger, sondern möchte über ihren eigenen Körper bestimmen. Sie ist es, die ihren Freund mit der geplanten Abtreibung konfrontiert und er ist es, der sein akademisches Scheitern auf sie projiziert. Gerade die männlichen Figuren sind dabei auffallend passiv und schwach. Ob Jess‘ Freund, die überaus unfähigen Polizisten oder der Vater des ersten Mordopfers – meist glänzen die Männer mit cholerischem Gebaren oder planlosem Nichtstun.
Dafür glänzt Margot Kidder als Barb nicht nur mit ungeheurer Attraktivität, sondern mit enormer Schlagfertigkeit. Sie verdreht den (spießigen und sexuell scheinbar sehr engstirnigen) Männern mit ihrer burschikosen Art den Kopf und unterhält den Zuschauer mit ihrem selbstbewussten Auftreten.
Beeindruckendes Handwerk
Wo spätere Vertreter des Genres oft auf ausgefallene Todesumstände und Morde setzen, besticht Black Christmas mit Atmosphäre. Natürlich ist es fraglich, dass die Polizei das Schwesternhaus nicht von oben bis unten durchsucht oder nie auf die Idee kommt, den Dachboden zu inspizieren. Denn genau in diesem verschanzt sich der Killer. Was für den Zuschauer recht schnell klar ist, bleibt für die Protagonisten lange im Unklaren. Und genau aus diesem Umstand zieht der Film seine Spannung: Hier ist kein übernatürliches, unbesiegbares Wesen dabei, die wehrlosen Mädchen zu jagen, sondern ein Mensch, der sein perfides Katz-und-Maus-Spiel mit ihnen austrägt und unerkannt inmitten seiner Opfer lauert.
Vor allem der Moment, wenn Jess klar wird, dass die anstößigen Anrufe in ihrem Heim, ihrer sicheren Zuflucht, ihren Ursprung haben, explodiert die Spannung förmlich. Hinzu kommt, dass Jess in diesem Moment unwissenderweise die letzte Überlebende unter ihren Freundinnen ist. Black Christmas spielt also geschickt mit der trügerischen Sicherheit der eigenen vier Wände. Durch das Spiel mit dieser Urangst schafft der kanadische Schocker es spielend dem Zuschauer einen Schauer über den Rücken zu jagen.
Verstärkt wird die gnadenlose Spannung eines Home Invasion Thrillers durch die eingesetzte Point-Of-View-Kamera. Kameramann Reg Morris hat sich selbst eine Kamera-Rig gebastelt, um seine Arbeitsgerät freihändig transportieren zu können: Herausgekommen sind so die beklemmenden Kamerafahrten aus Sicht des Killers, der sich gleich zu Beginn des Films munter unter die feierwütige Meute mischt. Auch seine Anrufe sorgen für steigendes Unbehagen. Während diese anfangs noch als spaßhafte Anrufe unflätigen Inhalts abgetan werden können, offenbaren sie mit zunehmender Laufzeit die tief gestörte Seite des Killers. Um die furchterregende Stimmung zu erzeugen, wurden die Sprüche von gleich fünf verschiedenen Personen aufgenommen. Das Repertoire reicht so von Kreischen, Schluchzen und Keuchen in allen Tonlagen.
Veröffentlichung von Black Christmas
Als passendes Geschenk zum Nikolaustag veröffentlicht Capelight Pictures den Film am 6.12.2019 als Re-Release aus ihrem Katalog. So wird man vor die Wahl zweier HD-Veröffentlichungen gestellt, die für jeden Sammler interessant sein sollten. Zum Einen wird ein klassisches Mediabook mit DVD und Blu-ray und zum Anderen eine der derzeit angesagten VHS-Editionen (natürlich mit Blu-ray anstelle Videokassette) geboten. Während der originale Filmtitel das Mediabook ziert, prangt auf der VHS-Edition der deutsche Verleih-Titel mitsamt ursprünglichem Cover.
Dieser Review liegt das Mediabook zu Grunde, welches neben dem informativen Essay mit weiterem Bonusmaterial glänzt: Neben Audiokommentaren sind vor allem die verschiedenen Making-Ofs und Dokumentationen interessant, da dort verschiedenste Anekdoten (einige Trivia aus dem obigen Text fußen beispielsweise darauf) kundgetan werden, die Einblicke über das übliche Marketing-Geschwafel hinaus gewähren.
Unsere Wertung:
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© Capelight Pictures