Eine Comicadaption, die bei den Filmfestspielen von Venedig für minutenlange Standing Ovations sorgt und am Ende sogar den goldenen Löwen gewinnt – Der Hype rund um Todd Phillips’ Interpretation des geschminkten Batman-Antagonisten hätte größer nicht sein können. In dieser Rezension wollen wir ergründen, ob Joker diesen Vorschusslorbeeren gerecht wird. Und für alle, die den Film bereits gesehen haben, gibt es am Ende nach dem Fazit noch einen ausgiebigen Spoilerbereich. Denn über Joker muss gesprochen werden. Los geht’s.
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Titel | Joker |
Jahr | 2019 |
Land | Canada |
Regie | Todd Phillips |
Genres | Krimi, Thriller, Drama |
Darsteller | Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen, Shea Whigham, Bill Camp, Glenn Fleshler, Leigh Gill, Josh Pais, Rocco Luna, Marc Maron, Sondra James, Murphy Guyer, Douglas Hodge, Dante Pereira-Olson, Carrie Louise Putrello, Sharon Washington, Hannah Gross, Frank Wood, Brian Tyree Henry, April Grace, Mick Szal, Carl Lundstedt, Michael Benz, Ben Warheit, Gary Gulman, Sam Morril, Chris Redd, Mandela Bellamy, Demetrius Dotson II, Greer Barnes, Ray Iannicelli, Bryan Callen, Peter Hans Benson, Vito Gerbino, Adam Quezada, Xavyer Ureña, Evan Rosado, Damian Emmanuel, Mike Troll, Jane Fergus, David Gibson, Tony D. Head, Jeff McCarthy, Kim Brockington, Troy Roberts, Lou Young, Michael-Scott Druckenmiller, Craig Austin, John Cenatiempo, Danny Schoch, Keith Buterbaugh, James Ciccone, Rich Campbell, Roger Squitero, Steven Elson, Graham Mabry, John Alldred, Alonzo Wright, Jack Wilkins, Richard Baratta, Mary Kate Malat, Adrienne Acevedo Lovette, Justin Theroux, Alissa Bourne, Jamaal Burcher, John Cashin, Jason John Cicalese, Brendan Patrick Connor, Blaise Corrigan, Dennis Jay Funny, James P. Harkins, Joseph Hernandez, Ben Heyman, Graham Maby, Jesse Schratz, Isabella Ferreira, Shade Rupe |
Länge | 122 Minuten |
Wer streamt? | Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Sky Store, Rakuten TV, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload, Freenet meinVOD |
Worum geht’s in Joker?
Wir befinden uns im Gotham City der frühen 1980er Jahre. Arthur Fleck, gespielt von Joaquin Phoenix, lebt ein Leben am Rande der Gesellschaft. Er wohnt mit seiner Mutter Penny (Frances Conroy, bekannt aus Six Feet Under und American Horror Story) in einem kleinen und recht betagten Appartement in Gotham City und verdingt sich als Gelegenheitsclown.
Erschwert wird Arthurs Leben durch eine relativ seltene Krankheit, die ihm vollkommen unkontrollierbare und zu zufälligen Zeitpunkten stattfindende Lachanfälle beschert. Als ihm eines Tages sowohl seine Therapie als auch seine Medikamente wegen Budgetkürzungen abgekündigt werden und er durch einen Zufall an eine Waffe kommt, setzt sich eine verheerende Abwärtsspirale in Bewegung, die Arthur Stück für Stück in die Figur des Jokers verwandelt.
Braucht man das?
Die sogenannten Origin-Stories gehören, besonders im Bereich der Comic-Verfilmungen, mittlerweile zum guten Ton eines jeden Franchises. Während so gut wie jeder wichtige Charakter des Marvel Cinematic Universe (MCU) eine solche Geschichte spendiert bekommt, hielt sich DC in ihrem Cinematic Universe damit bislang eher zurück. Und auch Joker ist keineswegs die Origin-Story des zuletzt von Jared Leto dargestellten verrückten Clowns aus Suicide Squad. Ob, und wenn ja in wie weit, es die Origin-Story des legendären Jokers von Heath Ledger aus The Dark Knight ist, ergründen wir später in diesem Text ein wenig. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass der von Hangover-Regisseur Todd Philips inszenierte Joker komplett für sich allein stehen kann. Er funktioniert sowohl als Comic-Verfilmung als auch als eigenständiges Drama. Was von beidem er hauptsächlich ist, das kann jeder Zuschauer für sich selbst bewerten. Doch bevor ich dieses tue, werfen wir zunächst einen Blick auf das Handwerk.
Der Regisseur von bitte was?
Für die Inszenierung von Joker zeichnet sich Todd Phillips verantwortlich. Den kennt man, wie bereits kurz angerissen, vor allem von der Hangover-Trilogie. Und von Road Trip. Und von Stichtag. Zugegeben, mit Blick auf das bisherige Œuvre von Herrn Phillips liegt wenig ferner als ein bildgewaltiges und hartes Sozial-Drama. Und dennoch spielt die Inszenierung von Joker in der Champions League mit. Hier trifft die oft zitierte Redewendung „Every frame a painting“ wie die Faust aufs Auge. Gemeinsam mit seinem langjährigen Haus-und-Hof-Kameramann Lawrence Sher (der dieses Jahr bereits für die Kamera des bildgewaltigen Godzilla: King of Monsters verantwortlich war) zeichnet Phillips ein grandios düsteres Bild von Gotham City. Von der Bildkomposition bis zum Schnitt greifen die visuellen Gewerke bei Joker Hand in Hand und liefern Schauwerte am laufenden Band.
Untermalt wird die dramatische Abwärtsspirale Arthur Flecks von einem großartig zusammengestellten Soundtrack. In manchen Textzeilen finden sich sogar Hinweise auf mögliche Deutungen des Gesehenen. Aufmerksames Hinhören wird also belohnt.
Alles in allem ein technisch brillanter Film. Kann da die Schauspielerriege rund um Joaquin Phoenix mithalten?
Der personifizierte Joker
Die Antwort ist recht simpel: Ja! Bereits die ersten Stimmen von der Weltpremiere im Rahmen der Filmfestspiele Venedig lobten die Performance von Joaquin Phoenix in Oscar-Sphären. Und nun, da der Film der breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, ist man sich bei allen Meinungen und Kontroversen bezüglich des Films als Ganzem in einem Punkt einig. Phoenix liefert bei Joker die beste Leistung seiner Karriere ab. Nicht zuletzt durch seinen dramatischen Gewichtsverlust (angeblich nahm er für den Film circa 23 Kilo ab) passt er optisch perfekt in die Rolle des ins soziale und gesellschaftliche Abseits gedrängten Eigenbrödlers, der, laut eigener Aussage, einfach nur lustig sein will.
Dass Phoenix ein sehr guter Schauspieler ist, hat er zuletzt mit A Beautiful Day und Don’t Worry unter Beweis gestellt. Auch dort durfte er die Rollen von Charakteren einnehmen, die in ihren Geschichten nicht immer moralisch einwandfrei und doch aus irgendwie nachvollziehbaren Gründen so handeln wie sie handeln. In Joker läuft Phoenix nun aber zur absoluten Hochform auf und reißt im Grunde den kompletten Film an sich.
Da ist der Rest des Ensembles, so schade das auch sein mag, lediglich schmückendes Beiwerk. Sei es Frances Conroy als seine Mutter Penny, Zazie Beetz als seine Nachbarin Sophie oder sogar Robert De Niro als Showmaster Murray Franklin. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass sich der restliche Cast vornehm zurückhält, damit Joaquin Phoenix in voller Pracht aufspielen kann. Und da er diese Einladung dankend annimmt, wäre eine Nichtberücksichtigung bei den Oscars eine absolute Frechheit.
Die Story von Joker
Doch was bringen Technik und Schauspiel, wenn die Kerndisziplin eines jeden Films vernachlässigt wird? Nämlich, eine interessante Geschichte zu erzählen.
Man konnte sich im Vorhinein schon fragen, warum es eine Origin-Story für einen Comic-Bösewicht braucht, der bei seinem letzten medialen Auftritt, im Rahmen der Dark Knight-Trilogie, als Charakter eingeführt wurde, der „die Welt einfach nur brennen sehen will“. Gibt es bei einer solchen Figur genug Fleisch, um eine zweistündige Charakterstudie zu füllen? Und selbst wenn: Entmystifiziert der Film dann nicht einen Charakter, der gerade deshalb so interessant ist, weil es keinen rational nachvollziehbaren Auslöser für sein Handeln gibt?
Da man bei der Beantwortung dieser Fragestellungen sehr schnell in gefährliche Spoilerbereiche abdriften kann, möchte ich vorab das spoilerfreie Fazit ziehen.
Mein Fazit zu Joker
Joker ist genau die Art von Film, von dem vorab niemand wusste, wie sehr er ihn eigentlich braucht. Großartig bebildert und beeindruckend unaufgeregt inszeniert, veredelt eine oscarreife Performance von Joaquin Phoenix den Film zum Meisterwerk. Egal ob Comic-Fan oder nicht, diesen Joker sollte sich jeder Filmliebhaber auf der Netzhaut zergehen lassen.
Ab hier Spoiler!
Nach Genuss des Films gibt es potenziell einige Themen, über die es sich nachzudenken lohnt. Wenn ihr als treue Filmtoast-Leserschaft mitdiskutieren wollt, dann macht das gerne über die Kommentarfunktion unter dem Text. Ansonsten gilt ab jetzt eine schärfste Spoilerwarnung.
Einordnung in den Kanon
Bereits Minuten nach der Ankündigung, es wäre ein neuer Joker-Film in der Mache, diskutierte das halbe Netz über Sinn und Unsinn sowie über eine potenzielle Einordnung in den Kanon. Wird Todd Phillips die Vorgeschichte des Jokers erzählen, den uns Christopher Nolan im Rahmen seiner Dark Knight-Trilogie beschert hat? Wenn ja, wie wird mit dem leider erzwungenen Wechsel des Schauspielers umgegangen? Wenn nein, dockt der Film gar an den noch in Produktion befindlichen Batman-Film mit Robert Pattinson in der Hauptrolle an? Oder ist die Figur des Jokers hier gar komplett losgelöst von allen Vorlagen?
Diese Fragestellung lässt sich auch nachdem die Credits durchgelaufen sind nicht final beantworten. Vom Geiste her könnte sich der Joker von Phillips zum Joker von Nolan entwickeln. Doch sollte dem wirklich so sein, so hat der Film ein anderes Problem, welches ebenfalls Tür und Tor für Diskussionen öffnet. Nämlich ein Zeitproblem.
Bruce Wayne ist in Joker ein kleiner Junge, der wohlbehütet in seinem Elternhaus aufwächst und für den der hier noch recht junge Butler Alfred eine große Bezugsperson zu sein scheint. In der zweiten Hälfte des Films trifft Arthur Fleck dann auf den jungen Bruce Wayne. Der Joker von Phoenix ist aber in einem sehr ähnlichen Alter wie der Joker von Ledger aus The Dark Knight.
Als Vorgeschichte hält die Origin-Story also nur her, wenn es dieses angesprochene Treffen zwischen Joker und Bruce nie gab und es nur in der Imagination von Fleck stattgefunden hat. Das bringt uns zu der zentralen Frage: Was geschieht wirklich und was geschieht nur im Kopf von Arthur? Wir erleben den Film aus seiner Perspektive. Doch ist er auch ein zuverlässiger Erzähler?
Zuverlässiger Erzähler?
Dass er das nicht immer ist, das erfahren wir durch den Sub-Plot mit Arthurs Nachbarin Sophie. Nach seinem ersten Gewaltausbruch scheint es, als hätte er in ihr einen Seelenverwandten gefunden. Sowohl Liebhaberin als auch fleischgewordene moralische Rechtfertigung für seine amoralische Tat. Doch gerade als wir uns an das ungleiche Paar gewöhnen wollen, erfahren wir, dass das alles nur in Arthurs Kopf stattfand. Sophie hat ihren merkwürdigen Nachbar sogar nur peripher wahrgenommen, keinesfalls aber gekannt.
Dieser recht einschneidende Twist findet mitten im Film statt und ist damit sehr untypisch platziert. Häufig stellen Filme mit diesem Stilmittel gen Ende das bisher Gesehene auf den Kopf. Doch bei Joker passt die Platzierung mitten in der Story wie die Faust aufs Auge.
Ab diesem Zeitpunkt darf der Zuschauer nämlich rätseln, in wie weit die Handlungen rund um Arthur der Realität entsprechen. Trifft Joker wirklich Bruce, auch wenn dieser als Sohn eines sehr reichen Industrie-Magnaten rund um die Uhr bewacht werden müsste? Agiert er nach seiner Transformation zum Joker wirklich so lässig und cool? Tanzt er tatsächlich so beschwingt und elegant die Treppen herunter? Tritt er wirklich so routiniert in der Late-Night-Show von Murray Franklin auf?
Das Ende
Vielleicht liegt der ultimative Hinweis zur Beantwortung dieser Fragen am Ende des Films versteckt. Nämlich als Arthur in der Nervenheilanstalt Arkham Asylum gezeigt wird. Ihm gegenüber sitzt eine Doktorin, die verblüffende Ähnlichkeit mit seiner Therapeutin aus dem ersten Drittel des Films hat. Als Arthur einen seiner offenbar unkontrollierbaren Lachanfälle bekommt, fragt sie ihn, was so witzig sei. Darauf antwortet Arthur, dass sie das nicht verstehen würde. Doch warum sagt er das? Weil er sich darüber amüsiert, dass Bruce Waynes Eltern getötet wurden? Oder weil alle Ereignisse des Films nur in seinem Kopf stattgefunden haben und er die ganze Zeit im Arkham Asylum festsaß?
Auch hier liefert uns der Film lediglich Hinweise zur Deutung, allerdings keine klare Antwort. Und genau dieser Umstand macht Joker enorm interessant. Zudem ist der Film durchsetzt mit interessanten Details und Mysterien. Ist euch beispielsweise aufgefallen, dass die Uhren im Film immer 11.11 Uhr zeigen? Oder habt ihr euch nicht gefragt, warum sich Arthur in den Kühlschrank setzt und warum man nie sieht, dass er ihn auch wieder verlässt?
Some final words
Egal, wie man es dreht und wendet, ob als düstere Origin-Story oder hartes Gesellschaftsdrama, Joker funktioniert auf so gut wie allen Ebenen. Filmisch und technisch über jeden Zweifel erhaben, liefert die Erzählung von Todd Phillips zudem genügend Raum für Diskussionen und Interpretationen. Im Gesamtpaket mit der oscarreifen Performance von Joaquin Phoenix ist Joker ein heißer Anwärter auf den Film des Jahres 2019.
Unsere Wertung:
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