Nach The Bear boomt die Haute Cuisine gefühlt so richtig im Film- und Serienbereich. Doch ist jeder weitere Gang hier auch eine weitere Delikatesse? Hier ordnet sich jedenfalls La Cocina in der Menüfolge ein:
Titel | La Cocina - Der Geschmack des Lebens |
Jahr | 2024 |
Land | Mexico |
Regie | Alonso Ruizpalacios |
Genres | Drama |
Darsteller | Raúl Briones, Rooney Mara, Anna Díaz, Motell Gyn Foster, Laura Gómez, Oded Fehr, James Waterston, Lee Sellars, Eduardo Olmos, Spenser Granese, Bernardo Velasco, Soundos Mosbah, Esteban Caicedo, Nebli Basani, José Luis Pérez, Gustavo Melgarejo Falconi, Pía Laborde-Noguez, Shavanna Calder, María Fernanda Bosque, Julia Haltigan, John Pyper-Ferguson, Roberto Oropeza, Finnerty Steeves, Leo James Davis, Kerry Ardra, Bernardo Velasco |
Länge | 140 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
La Cocina – Die offizielle Handlung
Im The Grill in Manhattan ist gerade Hochbetrieb und aus der Kasse ist Geld verschwunden. Gegen alle Köche ohne Papiere wird ermittelt und Pedro (Raúl Briones) ist der Hauptverdächtige. Er ist ein Träumer und Unruhestifter und verliebt in Julia (Rooney Mara), eine amerikanische Kellnerin, die sich nicht auf eine Beziehung mit ihm einlassen kann. Rashid, der Besitzer des The Grill, hat versprochen, Pedro bei seinen Papieren zu helfen, damit er „legal“ werden kann. Doch eine schockierende Enthüllung über Julia zwingt Pedro zu einer Tat, die das Fließband einer der geschäftigsten Küchen der Stadt ein für alle Mal zum Stillstand bringen wird.
Mehr Kunstfilm als Küchenkunst
Natürlich gab es auch vor The Bear schon Filme und Serien, die sich mit Gastronomie und Kochen beschäftigt haben und unbesungene Alltagshelden am Herd oder Künstler in der Küche mit bewegten Bildern würdigten. Doch es gibt eindeutig eine Zäsur durch den Erfolg der FX-Serie. Vorher war es oftmals die Entschleunigung und die Fokussierung auf die Kunst der Essenszubereitung – egal ob eben in ihrer Einfachheit wie in Kirschblüten und Rote Bohnen, in ihrer realen magischen Wirkung wie in Ratatouille oder in ihrer verbindenden Kraft wie in Julie und Julia oder Chef. Doch seitdem uns Jeremy Allen White und seine Küchenkollegen mit in die Hektik des Metiers entführt haben, steht dieses auch beim Zusehen kräftezehrende Darstellungsformat bei Filmemachern hoch im Kurs. Ob als One Shot eines turbulenten Abends in Boiling Point oder als rasante Menüfolge mit Hitchcock-Vibes und morbiden Abgründen in The Menu: das Tempo, die Finesse der Akteure und die Spürbarkeit der konfliktträchtigen Situation in einem Raum voller egozentrischer Kochtopf-Picassos prägt inzwischen dieses Subgenre.
La Cocina ist nun schon durch seine schwarzweiße Optik, die überwiegend spanisch sprechenden Akteure und die eher kunstvoll anmutenden Einstellungen ein weiterer frischer Ansatz. Tatsächlich ist dieser Restaurant-Thriller dann gefühlt – nicht nur wegen des Monochrom-Looks – näher an der Ripley-Serie von Netflix dran als an der Erfolgsserie über das Chicagoer Sandwich-Bistro. Die stoische Kameraarbeit, die malerisch orchestrierten, fast standbildartigen Bilder gepaart mit der ein oder anderen surreal anmutenden Szene machen den über zweistündigen Film zu einem verglichen mit anderen Kochfilmen nicht wirklich greifbaren Trip. Faszinierend, rätselhaft, aber leider auch etwas ziellos und zu elaboriert, sodass es stellenweise zur zähen Seherfahrung wird.
Prätentiös statt delikat, aber auch faszinierend und nicht leicht zu greifen
Die Verkopftheit von Regisseur Alonso Ruizpalacios ist für das Arthouse-Publikum bestimmt ein Festmahl, aber viele, die von The Bear und Co. kommen, werden sich an den exzentrischen Würzungen die Zunge verbrennen. Wenn sich die Köche hier wüst beschimpfen, fehlt irgendwie die Begründung, obwohl es natürlich wuchtig daherkommt. Aber immer wieder hat man den Eindruck, dass Sätze nur der Kunst Willen fallen und nicht weil sie organisch in die jeweiligen Situation passen. Konstruiert und gewollt, wo The Bear oder auch Boiling Point leichtfüßig und intuitiv wirken. Man merkt das La Cocina auf einem Theaterstück basiert und daher im Medium Film mit Fingerspitzengefühl adaptiert werden müsste, was Ruizpalacios in einigen Momenten famos gelingt, in einigen aber auch leider ziemlich misslingt.
Schön ist zum Beispiel, dass die Schwarzweißoptik – ähnlich wie bei Sin City – mit Farbakzenten aufgebrochen wird. Das verstärkt das rauschhafte Gefühl nochmals. Schön ist auch die Dynamik in der Beziehung der beiden Hauptfiguren, deren glaubhafte Leidenschaft und die Toxizität in ihrer Beziehung. Und schön ist, dass sich hier gekonnt mit klassischen Krimi-Tropes durch eine kammerspielartige Szenerie manövriert wird, sodass man doch auch in Sachen Aufmerksamkeit herausgefordert wird. Doch nicht alle Darstellerleistungen überzeugen vollends, manche fallen durch deutlich hinter Mara und Briones zurück, was in den Szenen ohne einen Protagonisten negativ auffällt. Die Eskalation, die dich hier step by step abzeichnet, ist nicht wirklich überraschend, das Ende auch eher erwartbar als eine überraschende Pointe, aber wenn man sich von der Atmosphäre einfangen lässt, dann bleibt man doch gebannt über den ganzen Exzess am Herd.
Zwischen intim und opulent
Einerseits sind die Einzelschicksale hier vielschichtig und repräsentativ für einige in den USA seit Jahrzehnten gewachsene Probleme. Andererseits verlieren sich fast sinnbildlich in den hektisch choreografierten Massenszenen dann die Individuen in der überbordenden, fast überbordende Vision des Machers, hier dem Schmelztiegel New York ein passendes Werk zu widmen. Diese beiden Pole kollidieren immer wieder, stehen sich gar gegenseitig ein bisschen im Weg. Denn in den ruhigen, fast poetisch einnehmenden Dialogszenen wirft einem Ruizpalacios Sätze vor, die man erstmal reflektieren müsste. Doch im Chaos der dann folgenden Minuten nimmt er einem dann jede Gelegenheit für diese Form von Verarbeitung. La Cocina ist ein (über)ambitionierter Versuch viele kleine Geschichten im Schlepptau einer großen mit zu erzählen. Das macht dann einerseits den sinnlichen Trip zu einem Projekt, das man wohl erst nach mehreren Sichtungen vollends verarbeiten kann. Andererseits hinterlässt es dann am Ende irgendwie einen leichten Beigeschmack, dass man durch weniger Zerstreuung und mehr Fokus auf die Hauptstory hier deutlich mehr Zuschauer:innen hätte ad hoc gewinnen können.
Unser Fazit zu La Cocina – Der Geschmack des Lebens
Die Faszination für das (Über)leben in der Gastronomie kann auch La Cocina vermitteln. Dazu ist die zentrale Geschichte der beiden Liebenden packend, tragisch und kompromisslos vorgetragen. Den beiden starken Hauptdarsteller:innen sei Dank: Rooney Mara wertet dieses Projekt ungemein auf, aber auch Raúl Briones verleiht seiner Rolle eine solide Ambivalenz. Leichte Kost ist der Küchen-Thriller jedoch nicht, vielmehr eine Herausforderung für alle Sinne – und das deutlich über zwei Stunden lang. Etwas weniger wäre wohl mehr gewesen und hätte die Produktion massenzugänglicher gemacht. Für die Connaisseure unter den Filmfans ist das Werk aber dennoch genauso erfüllend wie ein Besuch bei einem Michelin-Stern-Gastronomen.
La Cocina – Der Geschmack des Lebens startet am 19. Januar 2025 im Kino.
Unsere Wertung:
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