Mit La Gomera kredenzt uns der rumänische Auteur Corneliu Porumboiu ein verworrenes Spiel voller Anspielungen auf die Filmgeschichte. Doch gelingt ihm dabei auch ein stimmiger Film?
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Titel | La Gomera: Verpfiffen und verraten |
Jahr | 2019 |
Land | France |
Regie | Corneliu Porumboiu |
Genres | Thriller, Krimi |
Darsteller | Catrinel Marlon, Vlad Ivanov, Rodica Lazăr, Sabin Tambrea, Antonio Buíl, Agustí Villaronga, István Téglás, George Pistereanu, Julieta Szönyi, Cristóbal Pinto, David Agranov, Andrei Popescu, Ioan Coman, Bogdan Dumitrescu, Sergiu Costache, Andrei Ciopec, Ennaamane El Haulaili, Anthony Martinez, Li Yi, Ana Luz Arteaga |
Länge | 98 Minuten |
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Darum geht’s in La Gomera
Polizist Cristi (Vlad Ivanov) kommt per Fähre auf der kanarischen Insel La Gomera an. Hier wird er von einem spanischen Gangster in Empfang genommen, der ihm prompt die Pfeifsprache, genannt „El Silbo“, beibringen will. Schnell erkennt der Zuschauer, dass Cristi so gar nichts mit seinem Quasi-Namensvetter aus der Bibel zu tun hat: Er ist durch und durch korrupt und ließ sich in Bukarest mit Matratzenhändler und Geldwäscher Zsolt (Sabin Tambrea) ein. Doch der flog auf und sitzt nun im Gefängnis, Cristi wird seitdem überwacht und abgehört. Deswegen gibt sich Zsolts Freundin Gilda (Catrinel Marlon) vor den Beamten als Cristis Geliebte aus und lockt ihn auf besagte Insel, um ihm El Silbo beizubringen. Denn mit dem Gepfeife kann er trotz Überwachung mit der Mafiabande kommunizieren und Zsolt aus dem Knast befreien – der weiß als einziger, wo die 30 Millionen des letzten Coups versteckt sind.
Kompliziert erzählte Geschichte mit Wiedersehwert
Schon die ersten Klänge – Iggy Pops The Passenger – zeigen, wo es hingeht: auf eine sprunghafte, rastlose Reise, die Regisseur und Drehbuchautor Corneliu Porumboiu extrem verschachtelt erzählt. Mehrere Zeitebenen werden ineinander verworren, gleichzeitig wird der Film in mehrere Kapitel unterteilt. Die stellen jeweils zentrale Akteure vor, so beispielsweise Cristi, Gilda und Zsolt als Figuren, aber auch die Pfeifsprache El Silbo als zentraler Bestandteil der Geschichte – und dabei wechselt teilweise auch die Perspektive der Erzählung. Das ist zwar grundsätzlich clever, durchaus unterhaltsam und sorgt vor allem für gesteigerte Aufmerksamkeit, verkompliziert den Plot stellenweise aber etwas unnötig. So gehen durch die kompakte Erzählweise bei der erstmaligen Sichtung gerade in der ersten Hälfte ein paar wichtige Sätze unter. Und so gewinnt La Gomera tatsächlich mit dem zweiten Mal sehen noch an Unterhaltungswert dazu.
Stilsichere Inszenierung
Und das lohnt sich, denn Porumboiu beweist in den knackigen 97 Minuten Laufzeit erneut, dass er einer der interessantesten rumänischen Filmemacher ist. 2006 gewann er bereits mit seinem Langfilmdebüt 12:08 – Jenseits von Bukarest die Goldene Kamera bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Und auch La Gomera feierte beim prestigeträchtigen Festival an der französischen Côte d’Azur Premiere. Zu Recht, denn der Film hat neben dem skurrilen Plot auch einige feine Ideen auf optischer Ebene zu bieten. So beginnt jedes der Kapitel mit einer schlichten, einfarbigen Einblendung – in der Reihenfolge der Regenbogenfarben: rot, orange, gelb, grün, hellblau, dunkelblau, lila und weiß. Die jeweilige Farbe dominiert im folgenden Kapitel dann auch das Bild – oder markiert zumindest Details; oft durch Textilien, aber auch durch Wandfarben, die Inneneinrichtung oder Lichtgebung. Eine inszenatorische Spielerei, auf die in Filmen eindeutig zu selten zurückgegriffen wird. Zusammen mit seinem Kameramann Tudor Mircea liefert Porumboiu dabei außerdem wunderschöne Bildkompositionen.
Von Hayworth bis Hitchcock – filmische Anspielungen
Des Weiteren ist La Gomera gespickt mit filmgeschichtlichen Zitaten. Angefangen bei Gilda als Anspielung auf die klassische Femme fatale aus den 40er und 50er Jahren – vom engen, roten Kleid bis hin zur Pose, die sie Zigaretten-rauchend vor dem Spiegel einnimmt, verdeutlicht das der Film in so gut wie jeder Szene. Und auch der Name Gilda ist sicherlich kein Zufall: Den trug nämlich bereits Rita Hayworth im gleichnamigen Film von 1946 – eben jener Film noir, der sie endgültig berühmt machte. Beim Besuch im Kino, der auch Cristis Vorgesetzte korrupt erscheinen lässt, läuft John Fords Klassiker Der Schwarze Falke (1956) – der Showdown von La Gomera findet dann in einem Western-Filmset statt. Am auffälligsten dürfte allerdings das klare Zitat von Alfred Hitchcocks berühmt-berüchtigter Duschszene aus Psycho (1960) sein. Doch der Film verkommt dabei nie zum reinen Versatzstück, denn allein schon mit El Silbo hat La Gomera natürlich einen exklusiven Einfall.
Skurrilität auf La Gomera: El Silbo
Die Szene, in der Cristi beginnt, die Pfeifsprache zu lernen, ist von trockenem Humor durchsetzt. Da er nicht genügend Lungenvolumen habe, solle er erst einmal im Meer schwimmen gehen. Auch wie er sich mit stoischem Gesichtsausdruck pistolenartig den angewinkelten Zeigefinger zwischen die Lippen presst, hat etwas Ulkiges. Doch die Darstellung der Sprache ist tatsächlich sehr gelungen: Wie im Film werden bei El Silbo akustische Merkmale der gesprochenen Sprache mit Pfiffen imitiert. Dabei können zwei Vokale und vier Konsonanten wiedergegeben werden. Die erstaunliche Lippen-und-Zungen-Akrobatik erlaubt durch das Erreichen einer gewissen Lautstärke und Tonhöhe das kommunizieren über eine Entfernung von mehreren Kilometern. Die bekannteste, auf der titelgebenden Kanarieninsel La Gomera praktizierte, Pfeifsprache Silbo Gomero wurde 2009 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Seitdem ist sie an dortigen Schulen ein Pflichtfach (!) – es wird von etwa 20.000 „Pfeifern“ ausgegangen.
Aus der einzigartigen Idee mit dem speziellen Lippengeflöte wird aber leider etwas zu wenig gemacht, hier hätte es durchaus noch Potenzial für mehr und vor allem humoristischere Momente gegeben, beispielsweise durch Verständigungsprobleme. So bleibt die Krimi-Komödie aber immerhin stets unterschwellig schwarzhumorig, herrlich grotesk, extrem stylish und teils ungemein erotisch.
Ein Langweiler und eine Femme fatale
Dafür sorgt in erster Linie das rumänische Model Catrinel Marlon als verführerische Femme fatale Gilda, die tatsächlich auch schauspielerisch mit am beeindruckendsten ist. Auch Antonio Buíl als ruppiger Gangster und Pfeifsprachen-Lehrer ist hervorzuheben. Grundsätzlich kann eigentlich ausnahmslos jeder Nebendarsteller in seiner eigenen Art und Weise überzeugen. Schade ist jedoch, dass ausgerechnet der Hauptdarsteller, Vlad Ivanov, ausschließlich mit versteinertem Gesichtsausdruck durch das Geschehen wandelt. Das mag zwar an und für sich erzählerisch Sinn ergeben (nach außen scheint es, er hätte alles unter Kontrolle), doch den Zuschauer nervt das mit der Zeit. Eine wirkliche Bindung zur Figur mag man durch die dauerhafte Lakonie von Ivanov jedenfalls nicht eingehen.
Unser Fazit zu La Gomera
La Gomera ist ein kleiner, pfiffiger und sympathischer Indie-Film. Leider wird nicht jedes Potenzial voll ausgeschöpft und ausgerechnet der Hauptdarsteller schlurft wie ein Zombie gleichgültig durch die Gegend. Trotzdem bietet die Krimi-Komödie genug interessante Elemente, um den Zuschauer an der Stange zu halten.
La Gomera ist digital zum Kauf erhältlich und erscheint am 29. Mai 2020 auf DVD.
Unsere Wertung:
© Alamode Film