Sieben Jahre hat Regisseur Jan-Ole Gerster benötigt, um nach dem gefeierten Abschlussfilm seines Filmstudiums, Oh Boy, einen neuen Streifen zu realisieren. Mit Lara ist es nun soweit und entsprechend hoch sind die Erwartungen. Diesmal mit Corinna Harfouch in der Hauptrolle, während Tom Schilling in einer kleineren Rolle ebenfalls wieder dabei ist. Wie der zweite Film des Nachwuchs-Regisseurs aus Deutschland geworden ist, erfahrt ihr im Folgenden.
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Titel | Lara |
Jahr | 2019 |
Land | Germany |
Regie | Jan Ole Gerster |
Genres | Drama, Komödie, Musik |
Darsteller | Corinna Harfouch, Tom Schilling, Volkmar Kleinert, André Jung, Gudrun Ritter, Rainer Bock, Hildegard Schroedter, Susanne Bredehöft, Steffen Jürgens, Tina Pfurr, Till Butterbach, Mala Emde, Hendrik von Bültzingslöwen, Friederike Kempter, Maria Dragus, Mark Filatov, Edin Hasanović, Birge Schade, Alexander Khuon, Johann von Bülow, Stephan Taubert |
Länge | 98 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
Worum geht es in Lara?
Lara muss gerade eine schwierige Zeit durchstehen. Ihr Sohn, den sie mit strikter Hand zu einem renommierten Pianisten ausgebildet hat, will keinen Kontakt mehr zu ihr – nicht einmal an ihrem Geburtstag. Ausgerechnet dann findet nämlich die Uraufführung seiner ersten eigenen Komposition statt. Daher entscheidet Lara, sich Gehör zu verschaffen. Sie kauft die verbliebenen 22 Karten des Konzertes auf und verschenkt diese an Personen aus ihrem Bekanntenkreis. Dass diese durch die spendable Geste zumeist eher überrascht sind, ist leider kaum verwunderlich. Lara hält ihre Meinung nicht lange zurück und macht sich dadurch wenige Freunde. Sie hat kaum ein gutes Wort für jemanden übrig und übt an allem und jedem harsche Kritik. Auf diese Weise wird es schwer für sie, den Kontakt zu ihrem Sohn erneut herzustellen…
Ein schweres Erbe nach Oh Boy
Nach einem solchen Achtungserfolg, wie ihn Jan-Ole Gerster mit seinem ersten Spielfilm Oh Boy erfahren durfte, geht man unweigerlich mit einer gewissen Erwartungshaltung an den erst zweiten Film des Regisseurs. Sich eines Vergleiches zu entziehen, fällt allerdings während der Sichtung des Streifens noch schwerer als im Vorhinein. Gerster gelingt ein Balanceakt. Zuweilen trägt Lara seine jetzt schon unverkennbare Handschrift und und wirkt in anderen Momenten zugleich so anders und neu, dass man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl bekommt, eine Neuauflage des preisgekrönten Films von 2012 betrachten. Augenscheinlich bleibt der Grundansatz zunächst derselbe. Auch in Lara verfolgt man eine Person über einen gesamten Tag hinweg, wie sie in der Hauptstadt eine Lebenskrise durchleidet, welche sich anhand der verschiedensten Begegnung bemerkbar macht.
Jedoch wählt man hier eine neue Perspektive. Hatte man in Oh Boy noch den Eindruck, die Welt um den Protagonisten wäre vollkommen aus den Fugen geraten und er wäre der Einzige, der mit vernünftigem Sachverstand versucht, seine Angelegenheiten zu regeln, so ist es hier die Hauptfigur Lara, die ihrer Umwelt Schwierigkeiten bereitet. So sehr man sie in manchen Momenten auch ins Herz schließen möchte, so bestimmt möchte man sich auch von ihr distanzieren. Diesen Spagat meistert insbesondere Hauptdarstellerin Corinna Harfouch bravourös. Sie hat sichtlich Spaß daran, die gebrochene Lara mit all ihren Skurrilitäten und ihrem unnahbaren Handeln darzustellen. Mit ihrer harschen Art vermag sie es, allen Personen ihres Bekanntenkreises von einem Moment auf den nächsten vor den Kopf zu stoßen und ihnen den Boden unter den Füßen zu entziehen. Gerster befasst sich hier eindringlicher mit dem Individuellen denn dem großen Ganzen.
Feinfühlige Momente
Der Charakter der gescheiterten Künstlerfigur, die nunmehr nichts als Kritik und Spott für ihre Umwelt erübrigen kann, ist zwar nichts vollkommen Neues, aber dennoch vermag es Gerster, immer neue Facetten der Thematik zu verdeutlichen und somit ein komplexes Bild der Person zu kreieren. Einerseits liegt dies am Drehbuch von Blaž Kutin, welches so absonderliche Situationen beschreibt, dass man entweder lachen oder verblüfft erstarren muss. Gerster scheint seinen Spaß an solchen Spielchen zu haben, findet sich hier doch schließlich eine weitere Gemeinsamkeit mit seinem Debütwerk. Allerdings ist die Gesellschaftsanalyse einer Generation nicht ganz so bissig und auf den Punkt wie bei dem Vorgänger. Dafür setzt er sich vermehrt mit der Beziehung zwischen den Altersgruppen auseinander. Im Besonderen beschreibt er feinfühlig, wie schwer es mitunter fallen kann, die richtigen Worte zu finden, wenn man um eine Einschätzung gebeten wird.
Gerster als einer der interessantesten Regisseure aus Deutschland
Andererseits ist es Gersters Bildsprache, die immer wieder für Aufsehen sorgt. Den Schwarz-Weiß-Bildern mit Jazzmusik-Untermalung setzt er dieses Mal matte und trübe Farben entgegen und versprüht damit eine ungemeine Lethargie, welche durch die meist klassische Klaviermusik noch unterstrichen wird. Alles ist gesetzt, geplant, durchstrukturiert und dennoch leblos. Die starre Kameraarbeit von Frank Griebe wirkt klar konzipiert und gleichzeitig unmotiviert und vermittelt dadurch den Zustand der Protagonistin. Aus den Bildern spricht Intelligenz, aber auch Langeweile und Trübsal. Besser kann man die Stimmungslage der gescheiterten Künstlerin nicht wiedergeben!
Außerdem arbeitet Lara mit zahlreichen symbolischen Einstellungen. Besonders einprägsam ist die leere Regalwand, in der einmal das Klavier gestanden hat, oder das übergroße Plakat ihres Sohnes am Eingang des Konzerthauses. Somit bedarf es nicht vieler Worte, um die Situation zu verstehen. So geht geschickte filmische Erzählung!
Die bösen Kritiker! – aber ein bisschen Kritik muss sein, oder nicht?
Lara ist eine Perfektionistin. Kritik sieht sie nicht als Strafe oder Demütigung an, sondern als notwendige Worte der Wahrheit. Dass es sich mit einer solchen Person schwer zusammenleben lässt, erfährt auch ihr Sohn Victor am eigenen Leben. Die Szenen mit Wiederkehrer Tom Schilling und Corinna Harfouch gehören zu den beeindruckendsten des gesamten Films. Nicht nur das Schauspiel der beiden ist beeindruckend, sondern auch ihr Verhältnis an sich. Der Sohn, der nach Anerkennung lechzt und die Mutter, die es einfach nicht bei einem Kompliment belassen kann, sondern stets etwas auszusetzen hat, führt zu einem unausweichlichen Konflikt. Leicht kann man sich dabei ertappen, dass man sich selbst die Frage stellt, wie man persönlich in solchen Situationen agieren würde. Die zweifelnden Kunstschaffenden gegen die ewig murrenden kritischen Stimmen, die nichts selbst wagen, aber viel auszusetzen haben. Ein ewiger, aber notwendiger Konflikt, der leicht zu gegenseitigem Unverständnis führen kann.
Leider verpasst es Lara im Endeffekt, alle klugen Einfälle und Gedanken zu einem gemeinsamen Schlusspunkt zu bringen. Dies gestaltet sich mit Sicherheit bei einem episodenhaften Film wie diesem als schwierig. In Oh Boy hat Gerster allerdings bewiesen, dass er einen großartigen Schlusspunkt setzen kann. Auch wenn er es auf eine ähnliche Weise versucht, so entsteht doch nicht die selbe Strahlkraft. Erst wenige Minuten nach dem Abspann fällt zudem auf, dass sogar einige Handlungsstränge völlig ins Leere laufen und dass es letzten Endes auch an einer tieferen hintergründigen Bedeutung fehlt. Abseits einer interessanten Charakterdarstellung und der Mutter-Sohn-Dynamik ringt sich der Regisseur diesmal nicht zu einem allumfassenden Bild durch, was schade ist. Schließlich sind alle nötigen Zutaten vorhanden. Allerdings werden sie noch nicht in herausragender Zusammensetzung vermischt.
Unser Fazit zu Lara
Alles in allem kann Lara bewegen und zum Nachdenken anregen. In der kurzen Laufzeit gelingt es Regisseur Jan-Ole Gerster, das Porträt einer Frau zu erstellen, deren Welt um sie herum zerfällt. Hintergründe werden dabei weniger beleuchtet als der Status Quo. Damit macht der Regisseur einen Schritt weg vom Gesellschaftlichen in Oh Boy und hin zum Individuellen innerhalb der Gesellschaft. Das kann man nun mögen oder auch nicht, aber es ist kaum abzustreiten, dass sich Gerster auch mit diesem Streifen seine Position als einer der interessantesten Filmschaffenden aus Deutschland sichert. Einziges Manko sind teils lose Enden und die nicht ganz so bissige Gesellschaftsanalyse wie noch vor sieben Jahren. Dennoch ist Lara allein schon für eine herausragende Corinna Harfouch und einen ebenso sympathischen Tom Schilling einen Blick wert. Besonders für Freunde des deutschen Independent-Kinos stellt der Streifen eine absolute Empfehlung dar. Lara bleibt nachhaltig im Gedächtnis.
Der Film läuft ab dem 07. November in den deutschen Kinos.
Unsere Wertung:
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