Sam Esmail ist das Mastermind, dem Serienfans mr.Robot verdanken. Doch auch Homecoming avancierte zu einem Geheimtipp. Dafür arbeitete der Schöpfer schon einmal mit Julia Roberts zusammen. Ist nun auch das neue gemeinsame Projekt Leave the World Behind eine Empfehlung wert?
Titel | Leave the World Behind |
Jahr | 2023 |
Land | United States of America |
Regie | Sam Esmail |
Genres | Drama, Mystery, Thriller |
Darsteller | Julia Roberts, Ethan Hawke, Mahershala Ali, Myha'la, Farrah Mackenzie, Charlie Evans, Kevin Bacon, Vanessa Aspillaga, Orli Gottesman, Alexis Rae Forlenza, Josh Drennen, Erica Cho, Pavel Frolov, Jesse King, Kevin Kenny, Stephanie Groves, Sam Esmail, Heather Lee |
Länge | 142 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: Netflix, Netflix basic with Ads |
Leave the World Behind – Die offizielle Handlungsangabe
Amanda (Julia Roberts) und ihr Mann Clay (Ethan Hawke) wollen in diesem apokalyptischen Thriller des preisgekrönten Drehbuchautors und Regisseurs Sam Esmail mit ihren Kindern Archie (Charlie Evans) und Rose (Farrah Mackenzie) ein Wochenende in einem luxuriösen Ferienhaus verbringen. Doch der Familienurlaub wird jäh unterbrochen, als zwei Fremde – G.H. (Mahershala Ali) und seine Tochter Ruth (Myha’la) – nachts auftauchen, um sich in dem Haus, das angeblich ihres ist, vor einer Cyber-Attacke in Sicherheit zu bringen. Als sich die Familien der bevorstehenden Katastrophe und der immer bedrohlicher werdenden Gefahr bewusst werden, müssen sie sich mit dem Zusammenbruch der Welt auseinandersetzen.
Leave the World Behind basiert auf dem für einen National Book Award nominierten Roman von Rumaan Alam.
Der Endjahres-Endzeitfilm 2023
Irgendwie scheint es doch Methode zu haben: 2021 lieferte uns Netflix mit Don’t Look Up einen satirischen Beitrag zum Apokalypsen-Subgenre, 2022 folgte mit Weißes Rauschen die Literatur-Verfilmung, die ebenfalls auf Menschen im Angesicht der Katastrophe blickte und nun wiederum ein Jahr später gibt es vor dem Jahreswechsel mit Leave the World Behind den diesjährigen Endzeit-Beitrag. Diesmal stammt der erneut starbesetzte Film von einem Regisseur, der schon in seinen Serienwerken mr.Robot oder Homecoming viel mit dem Unausgesprochenen zu spielen wusste. Nun aber hat er eine äußerst ambitionierte Genre-Melange in Überlänge abgeliefert, die aus ihren Ansätzen viel herausholt, aber trotzdem das Gefühl hinterlässt, dass sogar noch mehr drin gewesen wäre.
Disaster movies have a tendency to rely on set pieces and the characters become secondary. But what I loved about adapting this story was the opportunity to invert that process — the set pieces become about who these people are and the disaster elements are secondary. Sam Esmail
Wer die Inhaltszusammenfassung nicht vorab gelesen hat, auf den wird die erste Stunde noch rätselhafter wirken. Denn Esmail spielt über lange Zeit mit der Erwartungshaltung, indem er falsche Fährten legt und mit Genre-Tropes spielt. Auf der anderen Seite sind dann aber die symbolischen Bilder, mit denen er auf die nahende Katastrophe anspielt irgendwo zwischen plakativ und plump. Ein Tanker, der ungebremst auf die Küste zusteuert, ein einstürzender Jenga-Turm. Es steckt insgesamt fast zu viel Metaphorik in diesem Skript, was den Eindruck verstärkt, dass Esmail hier die Botschaften eher mit Dampfhammer statt Pipette platziert. Biblische Motive, Rassismus-Klischees, und so weiter und so fort.
Suspense in der Luxusvilla
Der Thriller funktioniert bestimmt nicht für jeden im Publikum. Einigen wird das Tempo fehlen, anderen werden die Botschaften zu verkopft daherkommen. Doch was zweifelsohne kein Zuschauer und keine Zuschauerin monieren wird, ist die fantastische Atmosphäre, die hier von beginn an immer weiter anschwillt. Die langsamen Kamerafahrten mit sehr bedachten Drohnenaufnahmen werden verstärkt von einem feinfühligen Score. Beginnt der Film noch mit R’n’B-Musik, weicht im Verlauf jede Form von Popkultur einem dissonanten Geklimper, das die Mystery-Komponente immer mehr in den Vordergrund rückt. Wer Homecoming gesehen hat, weiß, dass Esmail schon des Öfteren mit Hitchcock-artigen Suspense-Instrumenten gearbeitet hat. Auch Leave the World Behind hat einige Momente, die vom Altmeister inspiriert sind. Aber auch ein Hauch von M. Night Shyamalan liegt permanent in der Luft, da man doch permanent auf einen großen Twist wartet. Ob dieser kommt, soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden.
Das Schiff kommt auf uns zu.
Die Location ist sehr gut gewählt, um einen der vielen Kommentare zu verstärken: Die isolierte Luxus-Gegend als Symptom der Wohlstandsverwahrlosung. Die fast schon klinisch-kalte Designervilla weckt Erinnerungen an Parasite. Als Bühne eines dann doch immer mehr kammerspielartigen Theaters mit einem sehr überschaubaren Ensemble, verstärken die seelenlose Innenräume die Paranoia-Thriller-Elemente der Geschichte.
„Haben Sie immer noch nicht kapiert, was da draußen los ist?“
Julia Roberts hat sich in den letzten Jahren auf wenige Auftritte beschränkt. Was diese eint: die einstige Pretty Woman ist längst ihrem Klischee entwachsen. Als Misanthropin eingeführt, darf sie ihre fiesesten Seiten nach außen kehren. Ethan Hawke als ihr Ehemann ist das naive Spiegelbild zu ihr und auch er überzeugt über aller Maßen. Der Cast in Leave the World Behind ist klein, aber jeder drückt der Story maßgeblich seinen Stempel auf. Mahershala Ali ist mal wieder die Wucht durch seine einmalige Verkörperung von Ruhe selbst in den ernstesten Situationen und Myha’la spielt seine Tochter mit ganz eigenem Charme ohne zu sehr ins Biestige abzudriften. Selbst die beiden Kinderdarsteller, Farrah Mackenzie und Charlie Evans, die Tochter und Sohn des Ehepaares spielen, sind gut gecastet und überzeugend.
Stufe eins ist Isolierung.
Man muss über die plakative erste Subebene hinwegsehen, dann landet man bei einer weiteren Bedeutungsebene, die deutlich mehr Interpretation bedarf. Denn die Figuren sind alle in gewisser Weise Stellvertreter für die Gesellschaftskritik der Story. Hier liegt der Reiz, aber darauf muss man sich einlassen wollen, denn rein als Unterhaltungsprodukt ist dieser Endzeit-Thriller doch recht zäh. Es gibt erstaunlich pointierte Einzelaufnahmen, aber zu wenige, um sich daran durch die über zwei Stunden zu hangeln. Wer nicht bereit ist, sich mit den Kernaussagen weitergehend zu beschäftigen, wird sich durch den Netflix-Thriller durchquälen oder gar nicht bis zum Ende durchhalten. Dieses Ende hat es jedoch zweifelsohne in sich…
Unser Fazit zu Leave the World Behind
Zynische Zivilisationskritik, mittelmäßiges Mysterium, passabler Paranoia-Thriller – Leave the World Behind erfüllt nicht ganz die Erwartungen, die man auf Basis der Zutaten haben dürfte, doch eine Enttäuschung ist der Film deswegen noch lange nicht. Vielmehr ist es ein Werk, das man sich in Ruhe ansehen und auf sich wirken lassen sollte. Im besten Fall hat man danach noch Lust, darüber zu sinnieren, im schlechtesten Fall ärgert man sich über die überlange Laufzeit als Zeitverschwendung.
Leave the World Behind läuft seit dem 8. Dezember 2023 bei Netflix!
Unsere Wertung:
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