Es ist aufgrund des Respekts vor den in der Realität Leidtragenden der Konflikte im Nahen Osten immer ein Drahtseilakt, fiktionale Stoffe vor diesem Hintergrund zu erzählen. Mit Die Schattenjäger gibt es nun einen weiteren Film, der sich mit dem Syrienkonflikt aus einer bestimmten Perspektive auseinandersetzt. Gelingt hier die Balance zwischen Achtung und Unterhaltungsmedium?
Titel | Die Schattenjäger |
Jahr | 2024 |
Land | Belgium |
Regie | Jonathan Millet |
Genres | Drama, Mystery |
Darsteller | Adam Bessa, Tawfeek Barhom, Julia Franz Richter, Hala Rajab, Shafiqa El Till, Sylvain Samson, Mohammad Saboor Rasooli, Faisal Alia, Mudar Ramadan, Pascal Cervo, Marie Rémond, Dorado Jadiba, Fakher Aldeen Fayad, Jacques Follorou, Janty Omat |
Länge | 106 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
Die Schattenjäger – Die offizielle Handlung
Fesselnder Verschwörungsthriller, der der Realität angemessen ist
Noch immer schaffen es wenige Filme, die sich quasi-introspektiv mit den Krisenherden im Nahen Osten beschäftigen, in der westlichen Medienwelt an eine große Öffentlichkeit. Ursachen hierfür könne mannigfaltig sein: Die Sprache, die Komplexität der politischen Situationen oder auch schlicht die Tatsache, dass die Darstellenden in unserem Markt keine Reichweite mitbringen. Wenn dann gelingen vereinzelte Achtungserfolge, wenn beispielsweise Macher, die schon größere Projekte stemmen konnte, sich noch einmal diesen Themen zuwenden, wie in Rebel im Jahr 2023. Oder aber dadurch, dass die Produktionsumstände schon allein für Schlagzeilen sorgen, wie zuletzt bei Die Saat des heiligen Feigenbaums.
Die Schattenjäger hat jetzt allein auf dem Papier schon mal mit Adam Bessa einen Hauptdarsteller an Bord, der durch Nebenrollen in Tyler Rake: Extraction 1 und 2 oder in der Netflix-Produktion Mosul ein solides Level an Bekanntheit mitbringt. Aber abgesehen davon muss sich auch dieser Film wieder darauf verlassen, dass sich die eventuellen Qualitäten durch Mundpropaganda verbreiten und somit die Aufmerksamkeit quasi von allein kommt.
Mutiges Projekt in großen Fußstapfen
Und diese Aufmerksamkeit hat dieses Projekt von Jonathan Millet zweifelsohne verdient! Denn die Perspektive ist etwas ganz anderes, die Erzählform mutig und die Story unheimlich fesselnd. Dabei ist es nicht eine tickende Bombe oder etwas Vergleichbares, was hier dafür sorgt, dass man in den Bann des Thrillers gezogen wird. Hier spielt sich sehr viel auf der psychischen Ebene ab. Unser Protagonist hat große Probleme mit seinem Trauma umzugehen, bekommt aber weder Hilfe noch kann er sich davon auch im Exil lossagen, wird er doch durch seine Mission quasi aus der Distanz noch im Krieg zurückgelassen.
Wir begleiten also einen überforderten jungen Mann, der peu à peu den Realitätsbezug verliert. Damit haben schon wahrlich kultverdächtige Kriegsdramen aus Hollywood und Co. gespielt, wie beispielsweise Jacobs Ladder, und auch andere Projekte aus Europa und Nahost, haben schon diese Darstellungsform gewählt, um Kriegstraumata abstrakt zu vermitteln.
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Methodisch, ruhig, nervenzehrend
Immer wieder wählt man hier eine Ego-Shooter-Ansicht während Hamid mit seinen Auftraggebenden kommuniziert. Das dient zum einen als Kommentar, wie absurd es eigentlich ist, auf PC und Konsole Krieg zu spielen während anderswo auf dem Planeten reale Bomben fallen. Andererseits erschließt sich aus dieser Virtualisierung des echten Kriegsschauplatzes auch das Abdriften Hamids in Sphären, in denen das Wahr und Falsch leicht zu verschwimmen drohen.
Die Schattenjäger ist ein ruhiger Thriller, der viel mit dem Beobachten und Warten spielt. Und er spielt mit der individuellen Interpretation des Gesehenen in Anbetracht einer Vorbelastung der Sinneswahrnehmung. Dabei gelingt es, auch das Publikum ab und an nicht mehr sicher sein zu lassen, ob das Gezeigte jetzt real ist oder durch die Wahrnehmung Hamids verzerrt wurde. Darauf muss man sich voll einlassen und bereit sein zu akzeptieren, dass es nicht auf alles eine endgültige Antwort geben wird. Wer Eindeutigkeit braucht, ist hier nicht richtig aufgehoben.
Gut und Bessa
Sorry für das schlechte Wortspiel, aber man könnte diese ambivalente Figur wohl kaum besser besetzen als mit Adam Bessa. In vielen Szenen ist der französische Darsteller auf sich allein gestellt, kann lediglich mit seiner Mimik spielen – und schafft es dort eine riesige Bandbreite verschiedener Gemütszustände hineinzulegen. Die Augen vermitteln neben einer flegmatischen Müdigkeit auch eine Resignation, aber doch gelingt es immer wieder durch kleine Nuancen in deren Ausdruck zu erkennen, dass Hamid ein Ziel erreichen muss – und will. Er tut sich schwer, zwischenmenschlich noch zu agieren, aber wenn er darin so etwas wie Hoffnung erkennt, dann blitzt das sanft in seinen Augen auf.
In seiner ruhigen Art erinnert Die Schattenjäger an Spionage-Klassiker wie Der Dialog. Hier wie da gibt es nahezu keine Action, kaum einen Score, der gewisse Gefühle verstärken würde und keine frontalen Auseinandersetzungen. Die Dialoge werden geflüstert, manchmal wird sogar nur nonverbal kommuniziert. Kleine Gesten, große Wirkung. In den letzten Jahren gab es mehrere belgische und französische Produktionen, die so ein Konzept hatten und dank ausgeklügelter Drehbücher trotz eines minimalen Budgets mit einem starken Cast extrem spannende Geschichten geboten haben. So reiht sich nun dieser Film in eine Reihe mit Black Box oder The Wolfs Call ein – hat aber durch seinen thematischen Fokus hier noch einen weiteren Köder, mit dem ein potenzielles Publikum angelockt werden könnte.
Unser Fazit zu Die Schattenjäger
Für diejenigen, die für Hochspannung weder Verfolgungsjagd noch tickende Zeitbomben brauchen, ist Die Schattenjäger wie gemacht. Der Thriller spielt mit den Sinnen seines Protagonisten und des Publikums, glänzt mit starken, stillen Dialogen und wirft dabei noch auf einen komplexen Konflikt eine frische Perspektive. Fesselnd, nachdenklich und ambivalent, kurzum: besonderes Kino!
Die Schattenjäger startet am 27. Februar 2025 im Kino.
Unsere Wertung:
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