Cem Kaya zelebriert in seiner Dokumentation Liebe, D-Mark und Tod – Ask, Mark ve Ölüm 60 Jahre Musik von türkeistämmigen Migrant:innen in Deutschland. Die alternative Nachkriegsgeschichte gewann bei der Berlinale 2022 den Publikums-Preis in der Kategorie Panorama Dokumente und hat seitdem national und international eine Vielzahl weiterer Preise erhalten. Was den Film so besonders macht, erfahrt ihr in unserer Kritik!
Titel | Liebe, D-Mark und Tod |
Jahr | 2022 |
Land | Germany |
Regie | Cem Kaya |
Genres | Dokumentarfilm |
Darsteller | İsmet Topçu, Ömer Boral, Yüksel Ergin, İhsan Ergin, Metin Türköz, Adnan Türköz, Yüksel Özkasap, Cevdet Yıldırım, Cavidan Ünal |
Länge | 98 Minuten |
Wer streamt? | Abonnement: MagentaTV, MUBI Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, maxdome Store, MagentaTV, Microsoft Store, Videoload |
Liebe, D-Mark und Tod – Ask, Mark ve Ölüm
Als Anfang der 1960er Jahre im Zuge des Anwerbeabkommens die ersten Arbeiter aus der Türkei nach Deutschland kamen, brachten sie auch ihre Musik mit. Überrumpelt und enttäuscht von den Arbeitsbedingungen und voll Sehnsucht nach der Heimat, entstand eine neue Musikrichtung: die Gurbetçi-Lieder – Lieder aus der Fremde. Einer der ersten Interpreten war Metin Türköz. Seine Lieder verkauften sich millionenfach unter den in Europa lebenden Migrant:innen, von der übrigen Bevölkerung völlig unbemerkt.
Von den Gurbetçi-Liedern bis zum Hip-Hop geht der Film lose chronologisch vor. Cem Kaya interviewt Künstlerinnen wie Yüksel Özkasap, die Nachtigall von Köln, und Cavidan Ünal, die Diva von Europa. Er stellt Bands wie Derdiyoklar vor und Musiker wie Cem Karaca, der aus der Türkei fliehen musste und im deutschen Exil mit seiner Band Die Kanaken sozialkritische Lieder auf Deutsch singt. Vorgestellt werden Hochzeitsbands und Gazinos, Gaststätten mit Musikprogramm, aber auch Plattenfirmen und der Kassettenmarkt, welche alle zum Erfolg der Musikerinnen und Musiker beigetragen haben.
Ergänzt wird das Bild durch umfangreiches Archivmaterial, das die Geschichte der türkischen Musik im Ausland auch unter sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten beleuchtet: Von falschen Versprechungen und ungleichen Arbeitsbedingungen über den plötzlichen Anwerbestopp 1973, die krisengeschüttelten 1980er Jahre und die Nachwendezeit mit der traurigen Häufung rassistischer Übergriffe bis in die Gegenwart. Es entstand eine Musikszene, die ihre Wurzeln in der Türkei hatte, ihre Blütezeit aber in Deutschland erlebte. Sie ist bis heute allgegenwärtig.
Liebe, D-Mark und Tod – Der Titel ist Programm
Wie der Titel, der auf einem Gedicht des Autors Aras Ören basiert, ist auch der Film in drei Teile gegliedert. Vor allem in den ersten Liedern wird die Liebe besungen: die Liebe zur Heimat und ihren Menschen oder die enttäuschte Liebe zu Deutschland. Vieles sind Volkslieder, die auf der Tradition der Aşıks basieren. Sängern, die durch das Land zogen und in ihren Liedern die Politik aufs Korn nahmen. D-Mark beschreibt die Hochphase vieler Musikschaffender in den 80er Jahren. Türkische Hochzeiten bringen den Musiker*innen teils exorbitante Trinkgelder. Um den Markt zu bedienen, müssen sie ein riesiges Repertoire an Liedern aus 81 türkischen Provinzen sowie kurdische und arabische Lieder beherrschen. Tod ist das Kapitel über die Brandanschläge und rassistischen Übergriffe, die Angst und Schrecken verbreiteten. Auch alte TV-Ausschnitte zeigen oft die Ignoranz gegenüber den lediglich als Arbeitskräfte geduldeten Migrant:innen und ihren Kindern, und die Moderationen tragen oft einen unterschwelligen Rassismus in sich.
Wer 60 Jahre Musikgeschichte in einen Film packen will, muss aussortieren. An vielen Stellen würde man gerne mehr erfahren. Doch trotz des Tempos und dieser Einschränkung zeigt sich die Dokumentation enorm vielschichtig. Regisseur Cem Kayan bringt viele Facetten ans Licht, indem er Interviews mit Zeitzeugen und Archivmaterial einbindet. Neben der Musik erhält das Publikum auf diesem Wege auch ein wenig historisches Hintergrundwissen. Etwa wie sich 1973 deutsche Frauen und Arbeitsmigrant:innen aus Italien, Griechenland und der Türkei bei Pierburg und Ford solidarisieren, um für gleichen Lohn zu kämpfen. Oder über die Kinder der Arbeiter:innen, die oft sich selbst überlassen werden, da beide Elternteile arbeiten müssen und sich Staat und Gesellschaft kaum für sie interessieren.
Der Musik wird genügend Raum gegeben
Bei so vielen Interviews könnte man meinen, dass die Musik manchmal zu kurz kommt. Das ist bei Liebe, D-Mark und Tod – Ask, Mark ve Ölüm glücklicherweise nicht der Fall. Die Künstler:innen spielen zum Teil vor der Kamera. Zahlreiche Archivaufnahmen vermitteln die Emotionen der Musik und erwecken längst vergangene Auftritte zum Leben – Tanz, Musik und das längst vergessene Leben in Almanya, wie zum Beispiel auf dem Basar, der zu West-Berliner Zeiten der U-Bahnhof Bülowstraße war. Unterschiedliche Musik und ihre Interpret:innen aus mehreren Jahrzehnten bereichern das Bild mit Anekdoten und lustigen, aber auch nachdenklich machenden Geschichten. Zwar wird nicht genau auf die Entstehung der Songs eingegangen, aber schon das Setting und die Instrumente oder Sammlungen, die die Künstler:innen zeigen, bieten einen umfassenden Einblick in die damalige Musikszene.
Unser Fazit zu Liebe, D-Mark und Tod
Auf unterhaltsame Weise wird dem Publikum eine bunte Collage über die Anfänge des Einwanderungslandes Deutschland und teils fast vergessene Musik präsentiert. So fügen sich vielfältige Eindrücke zu einem Mosaik rund um die gemeinsame deutsch-türkische (Musik-)Geschichte. Denn abseits von Superstar Tarkan, der sich Ende der 90er sehr erfolgreich in den deutschen Charts platzieren konnte (im Film aber nicht vorkommt), gab es seit den 60er Jahren viele türkische und türkischstämmige Musiker:innen, die unter dem Radar eine enorme Anzahl an Platten verkauften. Für jeden, der historisch oder musikalisch interessiert ist, bietet der Film spannende Einblicke.
Liebe, D-Mark und Tod – Ask, Mark ve Ölüm ist seit dem 31. März 2023 als VoD und DVD erhältlich!
Unsere Wertung:
© Rapid Eye Movies