97 Prozent positive Bewertungen auf Rotten Tomatoes, dazu Nicolas Cage als Serienkiller und Maika „Ihr kennt mich doch aus It follows“ Monroe als Profilerin – kann da n0ch irgendetwas schiefgehen oder ist der neueste Horror-Streich Longlegs am Ende doch nur ein zu groß gehypter Film? Wir konnten den Film bereits sehen und verraten es euch in unserer Kritik.
Titel | Longlegs |
Jahr | 2024 |
Land | Canada |
Regie | Oz Perkins |
Genres | Horror, Krimi |
Darsteller | Maika Monroe, Nicolas Cage, Blair Underwood, Alicia Witt, Michelle Choi-Lee, Dakota Daulby, Lauren Acala, Kiernan Shipka, Maïla Hosie, Jason William Day, Lisa Chandler, Ava Kelders, Rryla McIntosh, Carmel Amit, Shafin Karim, Trey Helten, Daniel Bacon, Vanessa Walsh, Beatrix Perkins, Scott Nicholson, Peter Bryant, Charles Jarman, Hazel Bartlett-Sias, Marlea Cleveland, Melissa Shim, Malcolm Masters, Erin Boyes, Lumen Beltran, Anita Wittenberg, Michelle Cyr |
Länge | 101 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
!!!Spoiler-Warnung: Eventuell sollte man Longlegs so unvoreingenommen wie möglich schauen, daher könnten einige Leser:innen schon bei der Inhaltsangabe zu viel Informationen erhalten. Entscheidet daher selbst, ob ihr weiterlesen möchtet. Denn in der Kritik werden wir auch erwähnen, warum wir nicht in die überschwänglichen Lobeshymnen mit einstimmen können!!!
Die Story von Longlegs
Die unerfahrene FBI-Profilerin Lee Harker (Maika Monroe) wird Augenzeugin, als bei der Routinefahndung nach einem Mehrfachmörder ihr Partner umgebracht wird. Ihr Vorgesetzter Agent Carter (Blair Underwood) betraut sie mit den Ermittlungen. Diese bringen Harker nicht nur dem Killer gefährlich nahe, sondern lässt sie auch über ihre Mutter und die gemeinsame Vergangenheit nachdenken. So kontaktiert sie kurz nach Ermittlungsaufnahme ihre sich von Lee entfremdete Mutter (Alicia Witt), sondern auch der Killer schreibt ihr Briefe und sucht so den Kontakt zu Lee. Und langsam wird Lee klar: Longlegs (Nicolas Cage) und sie haben eine viel tiefere Verbindung, als sie es für möglich hält…
Horror-Hype oder viel Lärm um nichts?
Alle paar Monate wiederholt sich das Spiel. Ein in Kenner:innenkreisen heiß erwarteter Genre-Film wird entweder als das nächste Gorefest gefeiert, bei dem mindestens zwei Dutzend Kinobesucher:innen sich übergeben, den Saal verlassen oder gleich ins Krankenhaus mussten, oder aber die Kritiker:innen überschlagen sich mit Lobeshymnen und positiven Bewertungen, dank derer sich der Tomatometer in nie dagewesene Sphären bewegt. Genau dies widerfährt gerade Oz Perkins, Sohn des Norman Bates-Darstellers Antony Perkins, und seinem Film Longlegs, der aktuell (Stand 08.07.2024) bei 97% auf Rotten Tomatoes kommt. Dazu wurde eine PR-Kampagne gefahren, die dank kryptischer Websites und geschickter Trailer die Vorfreude noch zusätzlich anheizte. Und so stellt sich die Frage: Kann der fertige Film zumindest ansatzweise diese turmhohen Erwartungen erfüllen?Wenn wir ehrlich sind, müssen wir mit einem Jein antworten.
Und im Falle des Claims, Longlegs sei der gruseligste Film aller Zeiten, muss man schon fast von false advertising sprechen. Doch zunächst zum Positiven: Denn Perkins, der neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, gelingt es, gerade in der ersten Dreiviertelstunde eine maximal unbehagliche, gruselige Stimmung zu erzeugen und das Publikum unter Höchstspannung zu setzen. Seien es die Kamerawinkel, die Soundkulisse, die durchaus vorhandenen jump scare – alles erzeugt ein Gefühl der Bedrohung. Und auch, wenn sich der New Yorker bei Genre-Klassikern wie Sieben oder Das Schweigen der Lämmer bedient, schafft er es, als eigenständige Geschichte zu funktionieren. Vor allem Maika Monroes Ermittlerin Lee Harker ist nicht bloss Rookie-Profilerin, sondern sie umgibt eine Aura aus unbewältigter Vergangenheit, fehlender Empathie und fast übernatürlicher Ermittlerbegabung.
Was Longlegs nicht ist…
Doch diese interessanten Ansätze erscheinen nach einer ersten Sichtung, unser Videothekar Timo wird eine zweite so schnell wie möglich anstreben, etwas beliebig und haben eine Art Gimmick-Charakter. Denn so ganz schlau wird man nicht aus Lees Begabung, die von ihrem Chef Charter, wunderbar lakonisch gespielt von Blair Underwood, fast beiläufig mit „wenigstens ein bisschen psychic“ kommentiert wird, nicht. Eher erscheinen Lees Fähigkeiten gerade dann zum Tragen zu kommen, wenn es das Skript so möchte. Darüber groß nachdenken kann man allerdings erst nach dem Film, weil Perkins vorher die besagte Atmosphäre vollends ausspielt. Dazu gehören neben erwähntem Sounddesign und der exzellenten Kameraarbeit auch die kurzen, eruptiven Gewaltspitzen, welche er abliefert. Doch diese sind für echte Gorehounds nicht weiter erwähnenswert. Die FSK-Freigabe ab 16 Jahren ist nachvollziehbar, auch wenn es insbesondere eine Szene gibt, die sicher erhöhtes Wegguck- und Gore-Potenzial besitzt. Aber in Sachen expliziter Gewaltdarstellung ist Longlegs schon fast zahm.
Worüber man sich eher freuen kann, sind die schauspielerischen Leistungen. Insbesondere die fast in der Versenkung verschwundene Maika Monroe liefert als junge FBI-Agentin eine sehenswerte Performance ab. Ihre Lee ist von Beginn an als wenig greifbare, nahbare Heldin inszeniert, der es an sozialen Kontakten fehlt und die dadurch ein wenig entmenschlicht wirkt. Ihre Wohnortwahl im Wald spricht Bände und immer wieder zeigt sie in kleinen Momente keinerlei Empathie oder Gefühlsregung. Wenn ihr Boss sie seiner Familie bekannt machen will, fragt sie gar, ob dies sein müsse. Und so wenig uns Perkins in die Seele seiner Hauptfigur blicken lässt, umso weniger lässt er dies bei Nic Cages Killer zu. Vorweg: Ja, die Performance wird spalten. Denn als abseitige, gealterte Marilyn Manson-Version mit psychopathisch- anarchistischen Neigungen geht Cage natürlich komplett steil mit seiner Performance und dreht vor allem stimmlich frei.
Eine Klasse schlechter als die großen Vorbilder (erneute Spoilerwarnung!!!)
Doch die begrenzte Leinwandzeit ist ärgerlich. Es ist zwar löblich, dass Perkins die Figur nicht auf die Couch legt und bis ins kleinste Detail erklären will. Aber er beraubt seinem Film so die Möglichkeit, der zuvor durchaus packenden Killer-Hatz ein spannenderes Ende zu spendieren. Und es wird an Cage auch deutlich, warum Longlegs nicht in der selben Liga wie Finchers Sieben spielt. Fincher ließ Kevin Spacey als großen Knalleffekt im dritten Akt auftreten und verzichtete auf die Erwähnung des Namens im Marketing, während hier recht offen mit der Besetzung Cages umgegangen wurde. Das beißt sich ein wenig mit dem kryptischen Marketing. Zudem offenbart der Film auf der Zielgeraden eklatante Schwächen. Denn Perkins‘ Erzählweise in drei Kapiteln mag noch etwas bemüht, aber gelungen wirken, seine vielen Erklärbär-Rückblenden sind es nicht. Im Gegenteil bremsen sie nicht nur den Film aus, sondern sind in ihrer Vielzahl überflüssig.
Weil er im Schlussakt vollends Twists und Überraschungen setzt, wirkt sein Werk wie eine Arthouse-Variante typischer Genre-Ware a la James Wan. Bei der Auflösung muss zudem eine gewisse, im Genre nicht unübliche Nachsicht mitgebracht werden. Denn auch, wenn die Handlungszeit nicht konkretisiert wird und digitale Hilfsmittel zur Informationsbeschaffung ausfallen, fordert Longlegs für uns eine zu große ein. Was man hier serviert bekommt, legt es zu deutlich auf What-The-Fuck-Momente an, ohne sie sich richtig zu verdienen. Stattdessen verlangt er dafür, über diverse Dinge hinwegzusehen, die entweder kaum bis keinen Sinn ergeben oder einfach faul geschrieben sind. Da mag die bereits erwähnte Stimmung noch so Lynch-esk sein und Perkins dem Altmeister des Surrealen huldigen wollen – am Ende ist diese Atmosphäre doch nur heiße Luft.
Unser Fazit zu Longlegs
Longlegs schafft es, gerade in der ersten Stunde das permanente Gefühl von Anspannung und sich anbahnender Panik zu erzeugen. Und auch als Profiler-Psychogram punktet er zu Beginn mit einer Maika Monroe, deren Figur zwischen Verletzlichkeit und Toughness pendelt. Dabei sind es nicht die großen Gesten, sondern kleinen Momente, in denen ihre Lee ohne erkennbares Mitgefühl durch die Szenen geistert. Alles andere als ruhig und subtil ist dagegen Nicolas Cage als Serienkiller. Denn Cage dreht vor allem stimmlich total frei und liefert eine mehr als eindringliche Performance, von der wir gern mehr gesehen hätten. Doch insgesamt kann Perkins nach fulminanten Beginn das Tempo und die aufgebaute Spannung nicht zufriedenstellend beibehalten. Dafür ist sein formal herausragend inszenierter Film am Ende einfach der befürchtete, overhypte Horror-Hit, dem es außer einer beklemmenden Atmosphäre und herausragenden Darsteller:innen-Leistungen an erzählerischer Substanz mangelt.
Longlegs startet am 08. August 2024 in den deutschen Kinos.
Unsere Wertung: