Jonas Åkerlund liefert mit Lords Of Chaos die Verfilmung des gleichnamigen Sachbuches von Michael Moynihan und Didrik Søderlind ab.
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Titel | Lords Of Chaos |
Jahr | 2018 |
Produktionsland | England, Schweden |
Regie | Jonas Åkerlund |
Drehbuch | Dennis Magnusson, Jonas Åkerlund, Michael Moynihan, Didrik Søderlind |
Genre | Biographie, Drama, Horror |
Darsteller | Rory Culkin, Emory Cohen, Jack Kilmer, Sky Ferreira, Valter Skarsgård, Anthony De La Torre, Wilson Gonzales |
Länge | 118 Minuten |
FSK | ab 18 Jahren freigegeben |
Verleih | Studio Hamburg Enterprises |
Jonas Åkerlund – Musiker und Regisseur
Åkerlunds Name ist vermutlich nicht jedem zwingend ein Begriff, dabei ist er im Film- und vor allem Musikbusiness kein Unbekannter. Sein Video zu The Prodigy’s Smack My Bitch Up im Jahre 1997 weckte die Begierden großer Stars. So sehr, dass sich heute Rammstein, Metallica, Madonna oder Roxette neben unzähligen anderen Interpreten zu seinen Stammkunden zählen, wenn es um die Gestaltung ihrer Musikvideos geht. Dabei gehören Gewalt und Provokation nicht nur in seine Musikvideos.
Auch filmisch setzte er bisher auf einen kruden Mix aus Wahnsinn und Gewalt. Ob im irren Drogenrausch Spun, dem düsteren Thriller Horsemen und ganz aktuell mit der blutigen Comic-Adaption und Netflix-Produktion Polar. Polarisierung ist dabei sein ständiger Begleiter, was er unumwunden zugibt:
„Sobald ich mitbekomme, dass eines meiner Videos diskutiert wird, denke ich: Mein Job ist getan.“
(Hermann, auf: FAZ.de, 2012)
Lords Of Chaos fällt damit bei Åkerlund in vielfacher Hinsicht auf fruchtbaren Boden. Das zugrunde liegende Sachbuch gleichen Titels ist durchaus umstritten. Dies ergibt sich zum Einen aus der Beteiligung Michael Moynihans und der Sympathie gegenüber den teils extremistischen Ansichten und Wertvorstellungen der Gesprächspartner. Zum Anderen aus der Bandgeschichte Mayhems, deren misanthropisches Menschenbild in reale Verbrechen umschlug und schlussendlich in Mord gipfelte. Zusätzlich kann man Åkerlund als eine Art Insider der Black Metal-Subkultur bezeichnen, da er, zumindest für kurze Zeit, Schlagzeuger der BM-Urgesteine Bathory gewesen ist – inwiefern er deshalb mit einzelnen (ehemaligen) Mitgliedern Mayhems verbunden war, ist mir leider nicht bekannt.
Black Metal – düster, nihilistisch, misanthropisch
Metal gilt, ganz stereotyp gesprochen, als Musik für harte Kerle. Vor allem Black Metal gilt hier als brutale Steigerung, in deren Szene Menschenverachtung und -hass und Nihilismus zum guten Ton gehören. So überrascht es nicht, dass weniger die musikalischen Gegebenheiten, sondern die Taten verschiedener Musiker aus der Szene für kritische Auseinandersetzung mit dieser sorgen.
Besonders erschwerend kommt hinzu, dass vereinzelte Künstler des Black Metal – wenn nicht sogar nationalsozialistische – extreme patriotische Ansichten offensiv vertreten. Dadurch wird in der öffentlichen Wahrnehmung von vereinzelten Personen gleich auf die gesamte Szene geschlossen, was diese in logischer Konsequenz eher in Verruf bringt. Die eigentliche Musik rückt in den Hintergrund und der Bekanntheitsgrad diverser Bands ergibt sich einzig und allein aus ihrem fragwürdigen Image.
Auch Mayhem hat seinen Ruf mit fragwürdigen Aktionen „aufgestockt“ – was uns nun wieder zum Film Lords Of Chaos zurückbringt. Åkerlund setzt seinem Film direkt voraus, dass dieser sich auf Wahrheit, Lüge „and what actually happened“ beruft, um ein möglichst authentisches Portrait der Bandgeschichte zu zeichnen – eine Glorifizierung der Taten und Personen soll durch den Film jedoch nicht stattfinden. Diese Authentizität speist sich auch aus drastischer Gewaltanwendung, die schon so etwas wie ein Markenzeichen des Regisseurs geworden ist:
„Mir geht es immer darum, etwas möglichst stark auszudrücken, und wenn ich Gewalt zeigen möchte, mache ich es eben so gewalttätig, wie ich kann.“
(ebd.)
Mayhem – die Lords Of Chaos
Da ich weiterführend etliche Eckdaten aus Mayhems Biografie anspreche, die so auch Verwendung im Film finden, geht den folgenden Absätzen eine Spoilerwarnung voraus.
Øystein „Euronymous“ Aarseth, Jørn „Necrobutcher“ Stubberud und Kjetil „,Morbid‘ Manheim“ Manheim gründen 1984 die Band Mayhem. Nach einigen Besetzungswechseln stieg 1988 Per Yngve „Dead“ Ohlin als neuer Sänger in die Band ein. Euronymous, der schnell erkannte, dass Provokation von ungeheurem Marktwert ist, fand in Dead einen starken Verbündeten für die Neuausrichtung der Band. Der unter Depressionen leidende Dead sorgte somit dafür, dass die Texte und Musik der Band sich weg vom Death Metal typischen Splattertext hin zur Black Metal typischen Finsternis entwickelten. Außerdem sorgte Deads Verhalten und Auftreten für einen entsprechenden Ruf in der Szene und unter Fans. Beispielsweise schnitt er sich bei Konzerten die Arme auf. Seine Bühnenbekleidung vergrub er monatelang unter der Erde, um in zerfallenden Lumpen auftreten zu können.
Sein Pseudonym hat dabei einen biografischen Ursprung. So hatte Dead in Kindheitstagen eine Nahtoderfahrung (wie diese genau aussah, ist umstritten; sein Bruder sprach beispielsweise von einem Milzriss infolge einer Schlägerei), nach welcher er sich selbst als tot ansah. Dieser Ansicht folgend, entwickelte er eine Faszination für den Tod. Er sammelte tote Tier und bewahrte sie in Tüten auf, um deren Verwesungsgestank einzuatmen. Entsprechend morbide fiel schon seine Bewerbung als Sänger aus: sein Demo-Tape steckte mit dem gekreuzigten Leichnam einer Maus im Briefumschlag.
Mayhem konnte mit Dead als Aushängeschild das Image der düsteren, nihilistischen – ja brutalen Band perfektionieren. Seine Depressionen trieben Dead letztendlich mit gerade einmal 22 Jahren in den Selbstmord: im Bandhaus schnitt er sich die Pulsadern auf und schoss sich mit einer Schrotflinte in den Kopf.
Mehr als nur Image
Euronymous nahm diesen Freitod als glücklichen Umstand an, da sich Deads Tod entsprechend der misanthropischen Gesinnung Mayhems zugkräftig vermarkten ließ. Der Umgang mit dem Tod seines Bandkollegen und Freundes seitens Euronymous lässt sich zweifelsfrei als zwiespältig definieren und heizte die Gerüchteküche immens an. Beispielsweise fand dieser Dead vor allen anderen Bandmitgliedern, fotografierte dessen Leichnam und kündigte an, diese Fotos für das kommende Album zu verwenden. Außerdem schnitzte er aus Schädelsplittern Anhänger, die er an befreundete Bands versendet hat. Weiterhin galt das Gerücht, dass er aus Deads Gehirn einen Eintopf gekocht haben soll.
Euronymous schob den Selbstmord Deads auf die zunehmende Kommerzialisierung der Szene und versuchte Mayhem dadurch als true und beständig zu definieren. Es galt, den angekündigten Nihilismus und Hass auf Religion und Menschen nicht nur auszusprechen, sondern zu leben.
Mit dem Eintritt Varg „Count Grishnackh“ Vikernes‘ bei Mayhem begann eine Art Wettrennen, um den abgründigsten Vertreter des Black Metal innerhalb der Band zu finden. Es folgten Brandstiftungen in Kirchen, um dem Hass auf das Christentum ein Ventil zu geben. Dabei blieb es nicht – im Umfeld der Band ereignete sich sogar ein Mord (Bård Guldvik „Faust“ Eithun stach 37 Mal auf Magne Andreassen ein).
Die steigende Gewalt(bereitschaft) holte schlussendlich Euronymous selbst ein. Am 10.08.1993 wurde dieser von Varg mit 23 Stichen (zwei in den Kopf, fünf in den Hals und 16 in den Rücken) in seinem Appartement getötet.
Mythos trifft Mainstream
Åkerlund hält sich detailliert an die überlieferten und vom Buch geschilderten Geschehnisse und berücksichtigt dabei akribisch kleine Details. So findet sich der von Dead vor seinem Suizid verfasste Brief („Excuse the blood„) ebenso wieder, wie das von ihm getragene „I ♥ Transylvania„-Shirt. Der von Euronymous geführte Plattenladen „Helvete“ findet Platz im Film, genau wie der „ Svarte Sirkel“ samt Kellergewölbe und Black Metal-Graffiti. Die Liste ließe sich noch mit zahlreichen weiteren Beispielen fortführen, doch einige der feinen Akzente sollen natürlich noch selber vom Zuschauer entdeckt werden.
Åkerlund setzt auf eine kühle Inszenierung, die aber auch vor einigem kruden/grotesken Humor nicht zurückschreckt. Das mag im düsteren Kontext des Films im ersten Moment unpassend wirken, ruft aber auch immer wieder in Erinnerung, dass die handelnden Personen quasi noch Jugendliche waren, die zuerst nicht mehr wollten, als revoltieren.
Inwiefern Åkerlund als ehemaliger Drummer Bathorys direkt an Euronymous & Co dran war, ist mir leider nicht bekannt. So oder so, macht es sich Åkerlund aber doch recht einfach. Das undurchsichtige und gefährliche Verhältnis von NS-Ideologie, Hass und Gewalt der Szene nach außen und auch untereinander wird wenig bis gar nicht erwähnt. Der Konflikt wird viel mehr ab einem gewissen Punkt nur noch zwischen Euronymous und Varg ausgetragen. In dieser Hinsicht fällt es auch schwer, angekündigte Neutralität zu glauben. Vielmehr bekommt man den Eindruck, dass Euronymous als bedachter und netter Kerl, während Varg als durch und durch verblödeter Trottel dargestellt wird. Andererseits bekommt man Euronymous ebenso als Blender und Manipulator präsentiert, der sich die Hände nicht beschmutzt und stattdessen im Schein der bösen Taten seiner Mitstreiter sonnt.
Abschlussplädoyer der Anklage
Abschließend noch einige unwiderrufliche Fakten:
Kristian/Varg „Count Grishnackh“ Vikernes – wegen Mordes an Øystein „Euronymous“ Aarseth, Brandstiftung, versuchter Brandstiftung und dem Besitz von Waffen/Sprengstoff zu 21 Jahren Haft verurteilt
Bård Guldvik „Faust“ Eithun – wegen Mordes an Magne Andreassen zu 14 Jahren Haft verurteilt
Snorre „Blackthorn“ Ruch – wegen Beihilfe zum Mord an Øystein „Euronymous“ Aarseth zu 8 Jahren Haft verurteilt.
Wer in die düstere Welt der Lords of Chaos eintauchen möchte, kann dies seit dem 29. März 2019 mit der gewöhnlichen DVD und Blu-ray von Studio Hamburg tun. Sammler können sich auf das am 16.04.2019 erscheinende Mediabook mit alternativem Cover freuen.
Es empfiehlt sich zur Sichtung des Films wenigstens die Lektüre von Sekundärliteratur, wenn nicht sogar der eigentlichen Vorlage. Zu empfehlen ist die Verfilmung des tragischen Stoffes wohl allen True Crime-Interessierten und Fans des Milieus, wobei hierbei anzumerken ist, dass der Film über weite Teile auf die titelgebende Musik verzichtet. Schauspielerisch mögen einige Rollen auf dem ersten Blick irritieren, in der Summe liefern alle Beteiligten aber eine überzeugende Arbeit ab.
Unsere Wertung:
Titel | Lords of Chaos |
Jahr | 2018 |
Land | United Kingdom |
Regie | Jonas Åkerlund |
Genres | Drama, Musik, Thriller, Horror |
Darsteller | Rory Culkin, Emory Cohen, Jack Kilmer, Sky Ferreira, Valter Skarsgård, Anthony De La Torre, Sam Coleman, Jonathan Barnwell, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Lucian Charles Collier, Andrew Lavelle, James Edwyn, Gustaf Hammarsten, Jon Øigarden, Arion Csihar, Jason Arnopp, Levente Törköly, Petra Anita Mark, Flóra Zsoldos, Anna Zsoldos, Dzsenifer Bagi, Ivett Leszkovszki, Anna Fésus, Zsuzsanna Bíró, Melinda Mária Mátay, LaJosné Gyongyi Gyurkovszki, Dorina Fülop, Patrick McMenamin, Eric Casey Lamme, Matt Devere, Tom van Heesch, Gábor Meszlényi, Álmos Kovács, Anette Martinsen, Adrian Mills, Jørn Madislien, Espen Aas, Viktor Filep, Marina Miraglia, Antonio Mancino, Yukari Snapes, Klemens Koehring |
Länge | 118 Minuten |
Wer streamt? | Kaufen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Rakuten TV Leihen: Apple TV, Amazon Video, Google Play Movies, YouTube, Rakuten TV |
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