Der überaus wandelbare spanische Regisseur Álex de la Iglesia erschuf im Jahr 2010 mit Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod eine Groteske zwischen politischer Parabel und bizarrem Liebesdrama.
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Titel | Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod |
Jahr | 2010 |
Land | Belgium |
Regie | Álex de la Iglesia |
Genres | Abenteuer, Komödie, Drama, Horror, Thriller |
Darsteller | Carlos Areces, Carolina Bang, Antonio de la Torre, Manuel Tallafé, Enrique Villén, Santiago Segura, Alejandro Tejerías, Manuel Tejada, Gracia Olayo, Sancho Gracia, Paco Sagarzazu, Terele Pávez, Luis Varela, Fernando Guillén Cuervo, Fofito, Juan Viadas, Fran Perea, Joaquín Climent, Juana Cordero, Fernando Chinarro, Jorge Clemente, Sasha Di Bendetto, Ángel Acero, David Sánchez Calvo, José Manuel Cervino, Isidro Montalvo, Javier Botet, Raúl Arévalo, Luz Valdenebro, Ignasi Vidal, Josu Ormaetxe, Josean Bengoetxea, Chusa Barbero, Fernando Soto, Merche Romero, Elsa Cabo, Anita Torres, David M. Antón, Biaffra, Mikel Bustamante, Diego Calderón, Sixto Cid, Luis Lobos Negros, Ángel Cristo, Alexander Estrella, Torcuato Fernández Miranda, Manuel Fraga, Francisco Franco, Raphael |
Länge | 101 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
Álex de la Iglesia gilt unter Genrefans als Garant für vielseitiges und abgefahrenes Kino. Bis zum Januar 2012 war ich allerdings völlig ahnungslos, dass es sich bei dieser Person um einen Regisseur mit Rang und Namen handelt. Längere Zeit zuvor, kam ich in das Sehvergnügen von The Oxford Murder, den Namen des Regisseurs merkte ich mir aber nicht. Im besagten Frühjahr 2012 lief der zu diesem Zeitpunkt (auf dem deutschen Markt) neueste Streich von de la Iglesia im Programmkino: Mad Circus oder im originalen Titel poetischer als Balada triste de trompeta bezeichnet.
Der deutsche Filmtitel mutet üblicherweise etwas reißerisch an, ist hier aber auffällig passend gewählt. Der Untertitel (Eine Ballade von Liebe und Tod) weicht die doch harte Konzeption des „Wahnsinnigen Zirkus“ wieder etwas auf. Und so ergibt sich tatsächlich eine konventionell-unkonventionelle Namensgebung, die ganz im Sinne des zu bezeichnenden Films steht. Denn eines steht fest: üblich oder gar beliebig ist hier mit großer Sicherheit nichts. Ein grotesker Gewalttraum voll Liebe und Trauer, Eros und Thanatos, Glück und Hass. Wie sagt de la Iglesia selber:
„Ich habe diesen Film im Jahr 1973 angesiedelt, dem Jahr, in dem ich acht Jahre war. Ich erinnere mich an jene Zeit wie an einen Traum, der keinen Sinn ergab. […] Das alles vermischt sich in meiner Erinnerung zu einer seltsamen Halluzination, bei der ich selbst nicht mehr weiß, wer Kind war, und wer Clown.“
(Einleger der 2 Disc Special Edition)
Kriege und Clowns
Bevor der Film in das Jahr 1973 wechselt, gibt es einen kurzen Prolog im Jahre 1937 (ob man dem Zahlendreher noch Bedeutung anrechnen kann, entzieht sich meiner Kenntnis). Der spanische Bürgerkrieg tobt und mitten in eine Zirkusaufführung platzen Widerstandskämpfer, um Verstärkung zwangszurekrutieren. So kommt es, dass Javiers Vater als mit Machete bewaffneter Clown an vorderster Front gegen die Francofaschisten kämpft. Nachdem der Widerstand von diesen erfolgreich niedergeschlagen wird, wird Javier von seinem Vater getrennt, der fortan in einem Arbeitslager sein Dasein fristet. Jahre später, 1973, tritt Javier in die väterlichen Fußstapfen.
Mit dem Fluch belegt, niemals ein lustiger Clown sein zu können, da er seit seiner frühesten Kindheit nur Leid und Elend erfahren hat, ist er verdammt, den traurigen Clown zu mimen. Der Zirkus, in dem er schlussendlich anheuert, wirft ihn mitten hinein in die Beziehung zwischen der wechselhaften Natalia und deren sadistischen Freundes Sergio. Zu allem Überfluss ist Javier vom ersten Augenblick an verzaubert von Natalia und die Abwärtsspirale beginnt sich alsbald zu drehen.
Bürgerkrieg. Faschismus. Politik. Zirkus. Clowns. Liebe. Tod. Was sich wie eine beliebige Aufzählung zusammenhangloser Begriffe anhört, ergibt tatsächlich ein rundes Bild. Es fällt nicht schwer, aus der „oberflächlichen“ Rahmenhandlung eine durch und durch politische Parabel herauszulesen. Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod funktioniert grundsätzlich auch wunderbar als gegen den Strich und auf Krawall gebürstetes Unterhaltungskino – folgt man jedoch dem Subtext, ergibt sich ein erschreckendes Portrait Spaniens zur (Nach)Kriegszeit unter Francisco Franco. So werden zwar einige tatsächliche Geschehnisse der spanischen Geschichte eingewoben (beispielsweise das Bombenattentat auf Francos rechte Hand Luis Carrero Blanco), die Handlung selbst ist jedoch fiktiv – mit dem parabelhaften Charakter erhält Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod allerdings Allgemeingültigkeit.
Politische Parabel
Sergios Person stellt dabei den Diktator, Javier die Opposition und Natalia das Volk dar. Sergio gibt sich nach außen hin als freundlich und lustig, nicht umsonst spielt er im Kosmos des Zirkus den lustigen Clown. Verständnis, Liebe und Humor lassen ihn augenscheinlich vertrauenswürdig und herzlich erscheinen, weshalb er der Publikumsmagnet des Zirkus ist. Bemerkenswerter Weise ist Sergio nicht einmal der Zirkusdirektor, spielt sich aber als dieser auf: die übrige Belegschaft wird oft von ihm verhöhnt und selbst der eigentliche Direktor kann sich nicht qua Amtes gegen ihn durchsetzen. In einer eindrucksvollen Szene wird sein autoritäres Bestreben besonders deutlich.
Nach einem geschmacklosen Witz erhält er von Javier Konter und stellt daraufhin fest, dass er vorgibt, was lustig ist und was nicht. Gleichzeitig tritt Javiers oppositionelle Art hier erstmals in den Vordergrund, ohne das ihm dies überhaupt bewusst wird. Natalia spricht ihn später daraufhin fast bewundernd an, dass er als einziger den Mut aufbringt sich gegen Sergio zu stellen, selbst wenn es nur ein fehlendes Lachen über dessen Witze ist.
Aus filmischer Sicht bleibt Natalias Charakter, abgesehen von ihrer bemerkenswerten optischen Präsenz, leider ziemlich blass, was den Konkurrenzkampf von Sergio und Javier wenig überzeugend gestaltet. In Hinsicht auf den politischen Unterton ergibt dieses Defizit aber durchaus Sinn. Als „Volk“ ist sie der Spielball zweier konkurrierender Mächte, die um ihre Gunst und Zustimmung buhlen. Während Javier als „Opposition“ anfänglich den friedvollen Weg versucht, führt Javier als „Diktator“ von Beginn an eine Schreckensherrschaft, die Widerworte mit Gewalt und Terror verstummen lässt.
Trotz oder gerade wegen der zu erwartenden Repressalien kokettiert Natalia als „Volk“ lange Zeit mit Sergio. Javier lernt währenddessen auf schmerzliche Weise, dass ihn versöhnliche und sanfte Handlungsweisen nicht zu seinem Ziel bringen. Als seine Methoden daraufhin ebenfalls unvorhersehbarere, unbeherrschtere und brutalere Züge annehmen, verschreckt er Natalia dennoch.
Liebe und Wahnsinn – Mad Circus
Das „Volk“ flieht wieder einmal mehr in die Fänge des „Diktators“, den es als gefestigte Instanz wahrnimmt. Nach brutaler Überzeugung durch die mittlerweile wahnsinnige „Opposition“ zu einem Liebesbekenntnis gezwungen, gipfelt die Buhlerei der beiden faschistischen Parteien, in einem desaströsen Finale, welches dem „Volk“ jegliche Handlungsmöglichkeit nimmt. Vom Terror und der Brutalität des rechten Flügels gleichermaßen gelähmt und beflügelt und vom Terror des linken Flügels ebenso verängstigt und verletzt, wird das „Volk“ aufgerieben und findet ein vernichtendes Ende. Aufgerieben und verheizt in den Ränkespielen beider Akteure hängt Natalia am Ende in den Seilen. Für die Überlebenden bleibt nur die traurige Gewissheit Alles verloren zu haben.
Unter Betrachtung des Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod punktet dieser ebenso auf ganzer Linie. Die Ausstattung ist einfallsreich und schwankt zwischen farbenfroh und abstoßend. Das Dreiergespann aus Javier, Sergio und Natalia harmoniert als sich zuspitzendes Liebesdrama brillant. Wie schon erwähnt bleibt Natalia (Carolina Bang) jedoch ziemlich entrückt, so dass das Begehren der beiden Männer nur auf Natalias Körperlichkeit reduziert wird. Was sich Sergio (Antonio de la Torre) und Javier (frappierende Pastewka-Ähnlichkeit: Carlos Areces) dabei für ein brutales Psychoduell liefern ist schlichtweg famos.
Nach relativ kurzer Laufzeit sind beides gebrochene Männer, die in ihrem Liebeswahn noch desaströser und gefährlicher werden als zuvor. Während de la Torre durchweg als sadistischer Barbar brilliert, kann Areces zweierlei Charakter spielen. Mit seinem gutmütigen Javier kann man in seiner schüchternen und trotteligen Art sympathisieren, während sein dem Wahn verfallener Javier furchteinflößend und abstoßend in Erscheinung tritt. Dabei gibt es einige herbe Gewaltausbrüche und –effekte zu erleben. Vor allem die „Verwandlung“ Javiers kann wenig hartgesottene Gemüter verschrecken.
Musikalisch lässt Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod keine Wünsche offen, neben sanften Streicherklängen punkten vor allem die treibenden Trommeln. Während des zwischengeschobenen Vorspanns prasselt so ein unaufhaltsames Kaleidoskop aus fiktiven und realen Horrorikonen (Frankenstein, Cannibal Holocaust, Hitler u. v. m.) mitsamt einem musikalischen Crescendo auf den Zuschauer ein, dass man halbwegs auf den noch kommenden Wahnsinn vorbereitet ist. Wenn im Auftakt dann ein Clown mit Machete in Zeitlupe und tristen Farben das Blut unter faschistischen Soldaten nur so spritzen lässt, nimmt einen der Film gefangen. Oder lässt einen den Kinosaal verlassen, wie zwei ältere Damen eine Reihe vor mir.
Unsere Wertung:
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