Der Regisseur und freischaffende Künstler Andrew Levitas hat einen neuen Film gedreht und für diesen sogar die Schauspielstars Johnny Depp und Bill Nighy gewinnen können. Der Streifen feierte auf der diesjährigen Berlinale Premiere und im Folgenden könnt ihr lesen, wie gelungen wir Minamata finden.
Titel | Minamata |
Jahr | 2020 |
Land | Japan |
Regie | Andrew Levitas |
Genres | Drama, Historie |
Darsteller | Johnny Depp, 美波, Hiroyuki Sanada, Bill Nighy, Jun Kunimura, 加瀬亮, Tadanobu Asano, Akiko Iwase, Katherine Jenkins, Lily Robinson, Ayumi Takano |
Länge | 115 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
Worum geht in Minamata?
Erzählt wird eine Geschichte nach wahren Begebenheiten. Der journalistische Fotograf W. Eugene Smith (Johnny Depp) konnte sich im Zweiten Weltkrieg mit seinen Bildern einen Namen machen. Allerdings hat er dadurch auch psychische Schäden erlitten und ist nun Alkoholiker und pleite. Als schließlich die Japanerin Mitsuo Yamazaki vor seiner Haustür auftaucht und von einer vertuschten Vergiftung der japanischen Bevölkerung durch Chemikalien im Trinkwasser berichtet, will Smith zunächst ablehnen, überlegt es sich nach erster Sichtung des Materials jedoch anders. Nachdem er es geschafft hat, auch seinen Vorgesetzten (Bill Nighy) zu überzeugen, macht er sich auf den Weg nach Japan, wo er sich mit den böswilligen Besitzern der Chemieanlage, aber auch seinen eigenen Dämonen konfrontiert sieht. Seine Berichterstattung sorgte letztendlich durch seine vielfach rezipierten eindrucksvollen Bilder für eine weltweite Aufmerksamkeit des Falls.
Hin und hergerissen
Geschichten nach wahren Begebenheiten stellen Filmschaffende mitunter vor gewisse Schwierigkeiten. Einerseits sollen historische Ereignisse möglichst nachvollziehbar auf die Leinwand gebannt werden, während man andererseits versucht, seine eigene Interpretation des Geschehens darzustellen. In dieser misslichen Lage befindet sich auch Regisseur Andrew Levitas, der merkliche Probleme mit dieser Zwickmühle hat. Anders als zum Beispiel im Oscar-prämierte Spotlight entscheidet sich Levitas, weniger die journalistische Arbeit in den Vordergrund zu rücken, sondern unternimmt den Versuch, eine Charakterstudie des Photografen W. Eugene Smith zu entwerfen. Dass ihm dabei zuweilen der Fokus auf die eigentliche Geschichte verloren geht, ist nur eines der Probleme, mit denen sich Minamata herumschlagen muss. Er schafft es nämlich leider nur selten, gelungene Momente zu kreieren. Zu vorhersehbar und alltäglich wirkt seine Handlungskonstruktion, sodass weder Smith als Journalist und Fotograf noch die Tragik der realen Ereignisse bleibenden Eindruck hinterlassen.
Keine kohärente Hauptfigur
Dabei kann man nicht behaupten, der Regisseur und Künstler Levitas hätte es nicht versucht, dem Streifen einen besonderen Stil zu verleihen. Seine Erfahrungen im Bereich der Fotografie sind ohne jeden Zweifel zu erkennen. Er schafft es, Bildkompositionen darzustellen, die durchaus von künstlerischer und ästhetischer Qualität zeugen, jedoch Bedeutung und Tiefe vermissen lassen. Ausgesprochen nah positioniert er die Kamera an seinem Hauptdarsteller Johnny Depp, den man leider auch schon in besserer Form gesehen hat. Fast wirkt es so als wolle Levitas weniger den Ereignissen als viel mehr der Glorifizierung eines der einflussreichsten journalistischen Fotografen Tribut zollen. Direkt in der ersten Szene sehen wir ihn bei der Entwicklung von Fotos in seiner Rotlichtkammer. Die schnellen Schnitte und hektischen Bewegungen unterlegt er mit metallischer Rockmusik und zeigt damit zwar einen unruhigen Menschen, jedoch nichts über dessen Kunst.
So richtig wird man aus der Hauptfigur nicht schlau. Einerseits brennt er für seine journalistische Arbeit und diese gibt Halt und Konstantes in seinem Leben und doch scheint es an ihm zu nagen. Schlimme Erinnerungen aus seiner Zeit im Zweiten Weltkrieg prasseln blitzlichtartig auf ihn herein. Es bleibt fraglich, weshalb er diese Energie nicht auf seine Arbeit ummünzen kann. Smith verkommt zum klassischen geschundenen Helden, der im Grunde jeglichen moralischen Halt verloren zu haben glaubt und dennoch ein gutes Herz besitzt. Leider hat man diese Handlung schon mehrfach eindrucksvoller und insbesondere nachvollziehbarer erlebt. Hier scheint es so als müssten die schrecklichen realen Ereignissen den Protagonisten bei seiner Selbstbewältigung unterstützen und nicht umgekehrt. Dass dies an einer Stelle auch direkt so formuliert wird, führt zu einem verworrenen Bild, denn die großen, relevanten Themen und Fragen werden von Levitas wissentlich ignoriert.
Minamata fällt trotz spannender Thematik zäh aus
Levitas besitzt ein unverkennbares Gespür für cineastisch großartige Einstellungen. Die Momente, in denen er die Brücken zwischen Film und Standbild zieht, sind eindrucksvoll in Szene gesetzt und können begeistern. Eine Handlung kann er mit diesen wunderschönen Bildern jedoch nicht erzählen. Sobald etwas mehr Bewegung auf der Leinwand geschieht, verliert das Publikum den Überblick, stilistisch entsteht keine stringente Einheit und die Dialoge und Motive der Hauptfiguren bleiben auf äußerst rudimentärem Level. Selbst die Musik kann zwar in manchen Szenen Stimmung kreieren, schafft es aber ebenfalls nicht, dem Streifen mehr Orientierung und Zielstrebigkeit zu verschaffen. Es reicht eben nicht aus, die innere Zerrissenheit eines Protagonisten fast ausschließlich durch seinen Alkoholkonsum und einen ständigen Zynismus darzustellen. Auf diese Weise fließt die Handlung relativ belanglos und oberflächlich dahin, sodass weder die emotionale noch die politische oder gesellschaftliche Ebene wirken kann.
Eben diese Vernachlässigung der immer noch aktuell relevanten Themen ist es, die den Film letztendlich zu einem ziemlich zähen Kinoereignis machen. Auch wenn im Abspann Bilder weiterer Trinkwasservergiftungen durch Chemikalien eingeblendet werden, so stellt der Streifen keinerlei aktuelle Bezüge. Selbst die von Schauspiel-Routinier Bill Nighy porträtierte Rolle des profitorientierten Leiters einer journalistischen Abteilung verursacht keine neuen Problematiken, welche Minamata durchaus eröffnen könnte. Auch ihm wird am Ende vergeben, wenn er angesichts der ihm zugestellten Fotos Mitleid zeigt. Dass er daran jedoch auch verdient, scheint nebensächlich. Die Gegenpartei, also der geldgierigen Besitzer des Chemielabors, wird ebenfalls plakativ als Unmensch verunglimpft, sodass die 0815-Geschichte im Nu erzählt ist.
Unser Fazit zu Minamata
Alles in allem inszeniert der Regisseur und Künstler Andrew Levitas eine äußerst oberflächliche und dadurch belanglose Geschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert und mit Johnny Depp und Bill Nighy sogar starbesetzt gespielt wird. Insbesondere dem Drehbuch gelingt es allerdings nur selten, eine kohärente Stellungnahme zu den Ereignissen und dargestellten Figuren zu beziehen. Weder politisch noch gesellschaftlich oder individual-psychologisch kann der Streifen mit etwas anderem als altbekannten Mustern aufwarten. Angesichts dieser Ungereimtheiten treten die ästhetisch anmutenden Bilder und ausgewählten audio-visuelle Impressionscollagen in den Hintergrund und verkommen zu einer einfachen Reminiszenz an die Kunst der Fotografie. Den Kontext einer staatlichen Vertuschung von Fakten hat zuletzt erst Roman Polanski mit seinem neusten Film Intrige deutlich vielschichtiger und eindrucksvoller thematisiert. Minamata wirkt wie ein vergessenswerter Film, dessen zugrunde liegende Geschichte jedoch zumindest durch das Erinnern nicht vergessen werden wird.
Der Film feierte am 21. Februar seine Weltpremiere auf der Berlinale und ist ab diesem Zeitpunkt auf dem Festival zu sehen. Ein deutscher Kinostarttermin ist noch nicht bekannt.
Unsere Wertung:
© Larry Horricks / HanWay Films