Mit Monsieur Klein gelang Joseph Losey eine meisterhafte allegorische Abhandlung über Schuld und Moral zu Zeiten des Nationalsozialismus. Zum 45. Jubiläum erhielt der Film 2021 eine aufwendige Restaurierung.
Titel | Monsieur Klein |
Jahr | 1976 |
Land | France |
Regie | Joseph Losey |
Genres | Mystery, Drama, Historie, Thriller |
Darsteller | Alain Delon, Jeanne Moreau, Francine Bergé, Juliet Berto, Jean Bouise, Suzanne Flon, Massimo Girotti, Michael Lonsdale, Michel Aumont, Roland Bertin, Jean Champion, Etienne Chicot, Magali Clément, Gérard Jugnot, Hermine Karagheuz, Jacques Maury, Fred Personne, Francine Racette, Isabelle Sadoyan, Louis Seigner, Elisabeth Kaza, Carole Achache, Lucienne Le Marchand, Rosine Rochette, Maurice Vallier, Pierre Vernier, François Viaur, Joseph Losey, Brigitte Ariel, Marius Balbinot, Maurice Baquet, Philippe Brizard, Jenny Clève, Raymond Danon, Christian de Tillière, Michel Delahaye, Bernard-Pierre Donnadieu, Pierre Frag, Mireille Franchino, David Gabison, Maurice Jany, Stephane Quatrehomme, Jean Topart, Danielle Verne, Dany Kogan, Thierry de Brem |
Länge | 123 Minuten |
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Die Handlung von Monsieur Klein
Januar 1942, mitten während der Besetzung von Paris im Zweiten Weltkrieg durch die Nationalsozialisten: Das Geschäft von Kunsthändler Robert Klein (Alain Delon) blüht. Für ihn sind die deutschen Besatzer eine wahre Goldgrube, da die aus dem Land fliehenden Juden kaum noch um den Wert ihrer Erbstücke feilschen. Als plötzlich eine an ihn adressierte jüdische Zeitung vor seiner Tür liegt, muss es sich um ein Missverständnis handeln. Offenbar nutzt ein flüchtiger Jude gezielt seine Identität. Seine Versuche, den Namen von der Abonnentenliste der Zeitung zu streichen und seine nichtjüdische Abstammung zu beweisen, führen jedoch ins Nichts und bestärken die Ermittlungen der Polizei dementsprechend nur noch. Also macht er sich auf die Suche nach dem mysteriösen zweiten Monsieur Klein. Doch existiert der überhaupt?
Historische Hintergründe
Nach der militärischen Niederlage Frankreichs gegenüber der Wehrmacht im Westfeldzug des NS-Regimes und der anschließenden teilweisen Besetzung unseres Nachbarstaates kollaborierte die sogenannte Vichy-Regierung; in zwei Phasen wurden daraufhin in Frankreich lebende Juden verfolgt und vernichtet. Im Oktober 1940 wurden sie aus dem öffentlichen Dienst gedrängt, andere Berufstätigkeiten wurden eingeschränkt. Nachdem im Januar 1942 auf der Wannseekonferenz hochrangige Funktionäre des NS-Regimes die „Endlösung der Judenfrage“ in die Wege leiteten, begannen im Juni desselben Jahres Massendeportationen, durch die in den folgenden zweieinhalb Jahren knapp 76.000 Juden deportiert und größtenteils ermordert wurden – lediglich 2.500 von ihnen konnten 1945 noch befreit werden.
Am 16. Und 17 Juli 1942 wurden von 9.000 französischen Polizisten im sogenannten „grande rafle“ ganze 20.000 Juden allein in Paris verhaftet, fast 13.000 davon wurden im Vélodrome d’Hiver, einer Radsporthalle, eingesperrt. Tage später wurden sie von den Deutschen in die osteuropäischen Vernichtungslager deportiert. Auf diese Razzia läuft die Geschichte von Monsieur Klein hinaus. Die Bedrohung ist schnell zu spüren, das konkrete Ereignis wird aber nie benannt – schließlich wussten die Juden damals auch nicht von den Massenverhaftungen. Die angsteinflößende Stimmung überträgt sich auch durch Joseph Loseys Drama.
Kafkaeske Parabel
Kafkaeske Parabel über die Schuld des einzelnen am Überleben des Faschismus.
– Filmdienst
Eine treffendere Beschreibung für diesen Film kann es kaum geben. „Kafkaesk“ ist hier durchaus im herkömmlichen Sinne zu verstehen; nicht einfach als „absurd“ oder „eigenartig“, wie es häufig verwendet wird. Laut Duden beschreibt das Adjektiv Situationen oder Geschichten als „auf unergründliche Weise bedrohlich“. Und tatsächlich hat Monsieur Klein auf Rezipienten eine ähnliche Wirkung wie Franz Kafkas Der Prozess beziehungsweise die gleichnamige Verfilmung von Orson Welles. In Roman wie Film wird ein Büroangestellter verhaftet und vor Gericht gebracht – und dabei in keinem Moment über den Anklagegrund aufgeklärt. Unter anderem eine Kritik an der nach Kafka immer mehr zum Selbstzweck gewordenen Bürokratie. Theodor W. Adorno las den 1914-15 entstandenen (von Kafka selbst nie vollendeten) Der Prozess als visionäre Abhandlung des sich in die Gesellschaft einschleichenden Nazi-Terrors.
So gesehen könnte man Monsieur Klein durchaus als Weiterführung dessen betrachten. Das antisemitische Denken hat sich hier bereits weit verbreitet. Und wir verfolgen eine Figur, dessen Handeln zum Leid der Juden beiträgt, dessen Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal einer ganzen Bevölkerungsgruppe aber nach und nach schwindet. So wird uns sukzessiv offenbart, wie schrecklich seine Untätigkeit gegen ein faschistisches System war. Kafkas Werke waren immer auch Parabel. Und auch das nimmt Losey auf und überträgt es auf seinen Film. Die sich auf Bildebene abspielenden Geschehnisse haben meist auch eine symbolische Bedeutung, in jedem Fall werden aber für eine Parabel übliche Fragen über die moralischen und ethischen Grundsätze einer Gesellschaft aufgeworfen.
Loseys visuelle Erzählung
Das geniale Drehbuch wurde zunächst Costa-Gavras angeboten, der insbesondere durch politisch engagierte Filme wie Z (1969) oder Der unsichtbare Aufstand (1972) bekannt wurde und in dessen Œuvre Monsieur Klein ohne Weiteres gepasst hätte. Die Hauptrolle sollte Jean-Paul Belmondo besetzen. Doch die übernahm schließlich Konkurrent Alain Delon, der daraufhin den US-amerikanischen Regisseur Joseph Losey ins Boot holte, mit dem er zuvor bereits Das Mädchen und der Mörder (1972) drehte. Losey lebte, in den USA als Sozialist in der McCarthy-Ära vom Berufsverbot betroffen, ab den 1950er-Jahren im Exil in Europa. Hier realisierte er meist Filme, die sich subtil mit sozialen und gesellschaftlichen Machtstrukturen beschäftigen. So auch Monsieur Klein.
Direkt in der ersten Szene zeigt Losey eine „ärztliche Untersuchung“ von Nationalsozialisten, in der festgestellt werden soll, ob eine Frau jüdisch ist oder nicht. Sie steht völlig entblößt da, wird behandelt wie Vieh. Die Würde des Menschen ist hier im wahrsten Sinne des Wortes antastbar. Und verdeutlicht, rein visuell erzählt, wie wichtig eben diese, seit 1949 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland an höchster Stelle stehend, ist. Die verstörte Frau ist komplett alleingelassen, doch es bleibt nicht bei diesem bedrückenden persönlichen Schicksal. Wir folgen ihr auf den Gang – und es wimmelt im Wartezimmer nur so von weiteren Personen, die die gleiche Behandlung erwarten. Losey zeigt auf simple Art und Weise, was der Terror der Nazis im Einzelnen als auch im Kollektiv anrichtet. Auch weiterhin schafft es der Regisseur, Vieles im Unausgesprochenen zu übermitteln und die Geschichte primär mit filmischen Mitteln meisterhaft zu erzählen.
Kühl, kühler, Delon
Ein Glücksfall ist auch die Besetzung Delons. Der französische Star mit den Augen kältester Farbtemperatur sorgt mit seinem stoischen Gesichtsausdruck für die nötige Kühle seines Charakters. Die Kälte im Gesicht Delons perfektionierte schon die Werke von Jean-Pierre Melville (Vier im roten Kreis, Der eiskalte Engel), trägt Monsieur Klein aber noch einmal mehr – schließlich nutzt hier der unsympathische Protagonist das Elend der verfolgten Juden achtlos aus. Doch er gewinnt immer mehr Umsicht für das trostlose Paris um ihn herum. Was er später – zu spät – sieht, verstört ihn so sehr wie die Anfangsszene uns Zuschauer:innen. Die Augen werden glasiger, der Gesichtsausdruck müder. Die Realisation der Wirklichkeit, von der er sich als Kunsthändler in gewisser Weise abkapselte, erschüttert sein Innerstes. Und so wandelt sich die Suche nach seinem Doppelgänger immer mehr zu einer Suche nach sich selbst.
Delon wurde für seine Darstellung für den höchsten französischen Filmpreis, den César, nominiert – auch ein Sieg bei der Zeremonie wäre verdient gewesen. Für sechs weitere Kategorien war Monsieur Klein nominiert, einheimsen konnte das Psychodrama drei: Bester Film, Beste Regie und Bestes Szenenbild. Auch lief er im Wettbewerb um die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes; hier konnte sich 1976 allerdings Martin Scorseses Meisterwerk Taxi Driver durchsetzen.
Unser Fazit zu Monsieur Klein
Vielschichtiges, beklemmendes Drama, das aufgrund unterschiedlicher möglicher Interpretationen Diskussionen fördert und den Zuschauer nach zwei Stunden nachdenklich und bedrückt zurücklässt. Perfekt inszeniert von Jospeh Losey – und mit dem Cast um Alain Delon ebenso gut besetzt. Der französische Star liefert hier eine der besten Leistungen seiner Karriere.
Monsieur Klein ist am 23. September 2021 in einer restaurierten Fassung auf Blu-ray und DVD erschienen und digital erhältlich.
Unsere Wertung:
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