Mit Paranza – Der Clan der Kinder widmet sich Claudio Giovannesi der Verfilmung eines Stoffes aus der Feder des Gomorrha-Autors Roberto Saviano. Ob euch dabei wieder eine mitreißende Unterwelt-Story erwartet, erfahrt ihr bei uns!
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Titel | Paranza - Der Clan der Kinder |
Jahr | 2019 |
Land | Italy |
Regie | Claudio Giovannesi |
Genres | Drama, Krimi |
Darsteller | Francesco Di Napoli, Artem Tkachuk, Viviana Aprea, Pasquale Marotta, Ciro Pellechia, Mattia Piano Del Balzo, Ciro Vecchione, Alfredo Turitto, Luca Nacarlo, Carmine Pizzo, Valentina Vannino, Aniello Arena, Roberto Carrano, Adam Jendoubi, Renato Carpentieri |
Länge | 112 Minuten |
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Von Gomorrha zum Clan der Kinder
Giovannesi inszenierte bereits zwei Folgen der Serie Gomorrha, welcher das gleichnamige investigative Sachbuch Savianos als Vorlage diente. Für Saviano wurde sein Buch zwar zum internationalen Bestseller (übersetzt in 51 Sprachen, innerhalb von zwei Jahren vier Millionen Mal verkauft), aber auch zeitgleich zum Ende seines privaten Lebens. Die Camorra zeigte sich logischerweise wenig erfreut von Savianos Enthüllungen. Es folgten Morddrohungen, woraufhin Saviano unter Personenschutz gestellt wurde. Seitdem musste er seinen Aufenthaltsort alle paar Tage wechseln und den Kontakt zu Freunden abbrechen – das Buch hat sein Leben zerstört, wie er selbst sagt.
Der Journalist und Autor ermittelt seitdem noch immer in der kriminellen Halbwelt, hat 2016 mit La paranza dei bambini (Der Clan der Kinder) nun seinen ersten Roman veröffentlicht. Trotz fiktiver Handlung, basiert Der Clan der Kinder noch immer auf den realen Vorkommnissen in Savianos Geburtsstadt Neapel. Im Sommer 2015 war medial vom Terror durch Baby-Gangs zu hören. Grund dafür: die Riege alter Capos und Killer saß in Gefängnissen ein, wodurch ein Machtvakuum entstanden war, das die jüngere Generation auszufüllen suchte.
In Paranza – Der Clan der Kinder folgt der Zuschauer nun einem solchen „Baby“ bei seinem alltäglichen (Über)Leben im neapolitanischen Viertel Sanità.
Paranza – Der Clan der Kinder
Nicola (Francesco Di Napoli) und seine Kumpel ziehen gemeinsam durch Neapels Viertel und werden dabei fast täglich mit der All- und Übermacht der Camorra konfrontiert. Tagsüber drücken sie sich die Nasen an Schaufenstern der luxuriösen Boutiquen platt, nachts träumen sie davon, endlich einen der teuren Tische im Nachtclub Joira buchen zu können. Mehr durch Dummheit als durch tatsächliche Absicht landen sie vor Lino Sarnataro, einer lokalen Mafiagröße. Für diesen übernehmen sie erste Aufträge als Laufburschen. Natürlich wollen die Jugendlichen in der Karriereleiter der organisierten Kriminalität noch viel weiter hinauf. Doch der Weg nach oben lässt sich nur mit Waffengewalt bewältigen, und an der Spitze ist man ein perfektes Ziel für alle Neider…
Große Vorbilder, eigenständige Bearbeitung
Der Inhalt zeigt schon: Die in Paranza – Der Clan der Kinder erzählte Geschichte ist keine neue. Wie so oft im Milieu des organisierten Verbrechens träumt ein Kleinganove vom Aufstieg in den Mafia-Olymp. Im Gegensatz zu den meisten anderen Filmen dieses Genres sind die ausführenden Organe hier jedoch minderjährig. Das weckt natürlich Assoziationen an Sergio Leones Es war einmal in Amerika und Fernando Meirelles‘ City Of God. Doch auch in Anbetracht dieser großen Vorbilder ist die Konsequenz, mit der ein zeitgenössisches Jugendproblem hier aufgegriffen wird, dennoch beachtlich.
In der italienischen Sprache ist „paranza“ ein Wort mit vielen Bedeutungen, u.a. als Bezeichnung für Fischerboote, hat es vor allem um Neapel als Synonym für kriminelle Banden Einzug in den Sprachgebrauch gehalten. Besonders perfide, weil sinnbildlich für die Machenschaften der Camorra stehend, ist die Verwendung von „paranza“ im Sinne einer Fischfangtechnik. Bei dieser Technik werden in der Nacht Fische mittels Lampenschein geködert und so mit Leichtigkeit eingefangen. Im Umfeld des Filmes beziehungsweise Buches lässt sich der Titel also entweder als „Bande von Kindern“ oder „Fang der Kinder“ übersetzen.
Konsequent, aber wenig Neues
Stichwort City Of God: Bei aller Lebensfeindlichkeit in den Favelas schaffte es Regisseur Meirelles, den Lebensmut der Bewohner zu verpacken und zu vermitteln. Stilistisch bot er Disconächte in rauschhaft-fiebriger Optik, warme Sepiatöne und doch wieder kalt-blaue Farben, wenn die Gewalt allgegenwärtig wurde. Und City Of God entließ den Zuschauer mit einem Funken Hoffnung aus den gefährlichen Eingeweiden Rio de Janeiros. In Paranza – Der Clan der Kinder zeigen die finalen Bilder den Anfang vom Ende -wobei sich unweigerlich die Frage aufdrängt, ob dieses Ende tatsächlich erst dann beginnt oder nicht, gleich einem Damoklesschwert, von Geburt an über den Jugendlichen in Neapel schwebt.
So authentisch und ungeschönt sich das Drama über weite Strecken präsentiert, so routiniert werden die Genreklischees ausgespielt. Natürlich gibt es überforderte Eltern – wohlgemerkt nur Mütter, über den Verbleib der Väter schweigt der Film. Man kann wohl nur mutmaßen, dass sie im Gefängnis sind oder tot. Es gibt es mächtige alte Männer, die von der heißblütigen Jugend erst vergöttert, später abgesägt werden. Und schließlich gibt es die junge Liebe, die eine Chance auf Ausbruch aus dem System verheißt.
Spannender als die abgespulten Genrestandards ist die Verlockung, die die organisierte Kriminalität auf die Jugendlichen Kinder ausübt. Gemäß dem Sprichwort „Hast du was, bist du was!“, wird das erste illegal verdiente Geld direkt in den Nike-Store getragen. Im Club kann man all den verhassten feindlichen Gangs und Cliquen dann endlich vom VIP-Abteil aus die Meinung geigen.
Professionelle Laien
Nicola träumt davon, so etwas wie ein gerechter Capo zu werden – keine Schutzgeldzahlungen, keine Gewalt, ein entspanntes und glückliches Leben für alle Beteiligten. Diese Robin Hood-Verklärung wird jedoch zerschmettert, denn nicht einmal Nicolas Weggefährten halten lange an diesem Traum fest. Die Gier nach mehr, immer mehr, verschlingt letztendlich jeden. Absurder Höhepunkt dieses Wahnsinns sind die vor Kitsch überquellenden Villen der Bosse, all die Statussymbole, die nur fehlende Menschlichkeit übertünchen.
Der krasse Kontrast der naiven Jugendlichen zu den eiskalten Mörder, die sie scheinbar innerhalb nur eines Wimpernschlags werden. Die Logik der mafiösen Strukturen ist unerbittlich: An die Spitze kommt man nur mit Gewalt und um seinen Rang zu wahren, muss weiterhin Gewalt ausgeübt werden. Es ist ein erschreckender Kreislauf, der glaubhaft von den Laienschauspielern verkörpert wird. Unschuldig dreinblickende Kinderaugen, deren Unschuld aber schon lange vom System ausgelöscht wurde. Trotz des zarten Alters schon völlig ausgebrannt, rastlos. Ungeachtet der emotionalen Tristesse gestaltet sich der Film merkwürdig glatt und konturlos.
Im Gegensatz zu Gomorrha (Film, nicht Serie), der sich entsprechend der literarischen Vorlage von Roberto Saviano sehr nüchtern und sperrig gibt, zeigt sich Paranza – Der Clan der Kinder trotz des düsteren Inhalts zugänglich. Diese Zugänglichkeit wird aber leider mit einer Handlung vom Reißbrett erkauft. Handwerklich überzeugt der Film hingegen. Die Kamera weicht den Figuren nicht von der Seite und hängt lange an den Gesichtern der Jugendlichen, was die Blicke in die viel zu früh gealterten Gesichter intensiviert.
Unser Fazit zu Paranza – Der Clan der Kinder
Der Film von Claudio Giovannesi konnte im vergangenen Jahr auf verschiedensten Festivals mit Nominierungen und auch Auszeichnungen glänzen u. a. erhielt er für Paranza – Der Clan der Kinder den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch.
An Extras finden sich auf der Veröffentlichung neben obligatorischem Trailer auch Interviews mit Beteiligten, unter anderem auch Vorlagen-Autor Roberto Saviano, so wie ein Hinter den Kulissen-Feature. Netter Einfall: Die Veröffentlichung ähnelt im Design der Blu-ray des Quasi-Vorgängers Gomorrha und unterstreicht die inhaltliche Nähe beider Filme.
Wer von Geschichten über Gangs, deren Infrastruktur und inneres Gefüge, angereichert mit reichlich Authentizität, nicht genug bekommen kann, darf hier also gerne zugreifen.
Paranza – Der Clan der Kinder erschien am 16. Januar 2020 auf DVD und Blu-ray im Vertrieb von Prokino!
Unsere Wertung:
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© Prokino