Musikvideo-Regisseur Carlos Moreno liefert mit seinem Spielfilmdebut Perro Come Perro einen klassischen Gangster-Thriller ab, würzt diesen aber mit reichlich kolumbianischen Esprit.
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Titel | Perro come Perro - Den Letzten fressen die Hunde |
Jahr | 2008 |
Land | Colombia |
Regie | Carlos Moreno |
Genres | Action, Drama, Liebesfilm, Thriller |
Darsteller | Marlon Moreno, Óscar Borda, Álvaro Rodríguez, Blas Jaramillo, Andrés Toro, Julián Caicedo, Hansel Camacho, Paulina Rivas, Diego Quijano, Luis Ariel Martinez, Rodrigo Vélez, Harold Devasten, Guillermo Piedrahita, Hector Mejia, Jorge Zuniga, Gianina Arana |
Länge | 98 Minuten |
Wer streamt? | Derzeit leider auf keinem Streamingdienst verfügbar. |
Der klassische Gangster
Mafiosi, Kartellmitglieder, Drogenschmuggler, Reichtum, Macht, Gewalt. Wenn ein Sujet die Tonfilmära in Amerika immer wieder fasziniert hat, dann war es mit Sicherheit die organisierte Kriminalität. Weitet man die Begrifflichkeit auf den normalen Gangsterfilm aus, kann man für jedes Jahrzehnt einen Streifen dieses Genres anführen. Nicht zu leugnen ist allerdings die ständig wiederkehrende Beschäftigung mit Verbrechen im großen organisierten Stil. Gerne auch in Anlehnung an real existierende Verbrecher der 1920er Jahre und des fortlaufenden Zeitgeschehens. Exemplarisch seien folgend einige Werke angeführt: Der Pate (1972), Scarface (1983), Es war einmal in Amerika (1984), GoodFellas (1990), Casino (1995). Neben der stets präsenten Begeisterung für kriminelle Stoffe einten diese Filme ihren Hang zur Ausschweifung und Ausführlichkeit. Oft wurden ganze Lebenswege biographisiert. Vom Beginn als kleiner, aufstrebender Gangster, über den eindrucksvollen, oft brutalen Aufstiegskampf, bis hin zum unvermeidlichen und finalen Ende, einer Erlösung gleich.
Der moderne Ganove
Weniger episch, dafür aber ungleich düsterer, unmittelbarer und roher stellen sich die jüngeren Vertreter von Gangsterfilmen dar: Pusher (1996-2005), Rise of the Footsoldier (2007), Chiko (2008), A Day of Violence (2010) oder Dealer (2014). Diese setzen auf hektisches Tempo und atemlose Hetzjagden durch die Unterwelt und dank Low-Budget-Faktor und bewegten Handkameras auf gnadenlose Authentizität. Wenig überraschend, dass die genannten Beispiele auf dem europäischen Markt anzusiedeln sind.
Neben diversen lateinamerikanischen Filmen, die sich zwar im selben Milieu aufhalten, dieses aber aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, reiht sich der kolumbianische Perro Come Perro ganz in die Tradition der zuvor genannten europäischen Werke ein: Victor reißt sich Geld bei einem schiefgelaufenen Drogendeal unter den Nagel, welches aber dem lokalen Paten El Orejón gehört. Dieser möchte sein Geld unter allen Umständen binnen kürzester Zeit wieder in seine Obhut nehmen. Dazu stellt er Victor zwei Ganoven an die Seite, die ihm helfen sollen, dass Geld wiederzubeschaffen. Wie im Genre üblich, spitzt sich die Situation für alle Beteiligten immer weiter zu…
Klassische Handlung…
Der Plot offenbart sich im ersten Moment als durch und durch klassisch. So stellt sich die Handlung zwar noch immer als nervenaufreibende Jagd nach dem verschwundenen Geld dar, verfrachtet diese jedoch fast schon kammerspielartig in ein Hotelzimmer. Dort verbringen Victor (Marlon Moreno) und Benitez (Óscar Borda) sehr viel Zeit und warten auf weitere Anweisungen. Ironischerweise wissen Victor und der Zuschauer seit Beginn des Films, wo das Geld von Victor versteckt gehalten wird. Er spielt den ganzen Film über den Unwissenden und versucht so Geld und Leben für sich zu behalten. Dennoch bleibt es durchgehend spannend, da man gemeinsam mit Victor hofft, nicht aufzufliegen.
Zusätzlich wird relativ früh offenbart, dass Victor nicht (nur) aus Habgier handelt. Vielmehr möchte er sich mit dem Geld einen familiären Traum erfüllen. Dabei spielt Moreno seinen Victor überzeugend zwiespältig. Ein Kleinkrimineller, der sich in seiner ihm zugedachten Rolle unwohl fühlt und sie eher wider besserer Chancen auszufüllen scheint. Was getan werden muss, um die eigene Haut zu retten wird getan, aber Spaß scheint ihm seine Arbeit nicht zu bereiten. Sein mimisches Spiel ist dabei zwar sichtlich auf finstere Blicke reduziert, passt aber hervorragend zu seiner knurrigen und wortkargen Figur.
…mit miesen Figuren – aber tollen Darstellern
Borda als Benitez stellt das komplette Gegenteil dar: ebenso wortkarg, aber deutlich kälter spielt er den skrupellosen Killer, der seine Arbeit gewissenhaft durchführt. Seine Figur durchläuft dank eines Subplots jedoch eine drastische Wandlung, was seiner Figur eine gewisse Unvorhersehbarkeit beschert. Das absolute Gegenstück zu den beiden anderen Figuren stellt Sierra, gespielt von Álvaro Rodríguez, dar.
Ständig am Quasseln, rassistische oder sonstige geschmacklose Witze reißend, vermittelt er anfangs den Eindruck eines nervigen Trottels, stellt sich mit fortlaufender Spieldauer aber als interessanteste, weil undurchsichtigste, Figur heraus. Der restliche Cast ist passend gewählt, einzig Blas Jaramillo als El Orejón schießt etwas über das Ziel hinaus und gibt seine Darstellung des temperamentvollen Paten ein bisschen zu energisch.
Gangster meets Voodoo in Perro Come Perro
Action ist rar gesät, dafür aber gezielt eingesetzt und in einem nachvollziehbaren Rahmen gehalten. Perro Come Perro interessiert sich mehr für seine Charaktere als um großes Effektgewitter um diese herum. Außerdem punktet er mit einem stimmigen Look und einer gehörigen Portion Lokalkolorit. Die fast schon monochromen gelblich-braunen Bilder schlucken viel der natürlichen Farbgebung, geben dem Film einen “sandigen” Anstrich und transportieren die flirrende kolumbianische Hitze mühelos. Nachtaufnahmen und einige andere Sequenzen wirken dank des starken Blaufilters dafür entsprechend kalt und unwirtlich.
Paulina Rivas als Iris sorgt für eine gehörige Portion Mystik im ansonsten geerdeten Gangsterflick. Sie betreibt in einem Nebenstrang schwarze Magie und wertet die gewöhnliche Geschichte entsprechend auf. Zwar wäre die Handlung ohne diesen Umweg deutlich stringenter ausgefallen, aber der Anflug an Flüchen, Geistern und Visionen sorgt so für frischen Wind im staubigen Drogenmilieu. Zumal sich die entsprechenden Passagen trotz aller Mystik noch immer sehr bodenständig präsentieren und das Geflecht aus Mafia und Spiritualität ein organisches und nachvollziehbar-bodenständiges Gesamtbild ergibt.
Trockener Humor und treibende Rhythmen
Weiterhin lockert Perro Come Perro seinen Pessimismus immer wieder mit bösem Humor und sogar einem, letzten Endes sehr schmerzlichen, Running Gag auf. Musikalisch gibt es ebenso wenig auszusetzen: treibende lateinamerikanische Rhythmen, geheimnisvolle Chorgesänge untermalen die spirituelle Passagen und vor allem der Titelsong “Perro Come Perro” von Superlitio hat Ohrwurmcharakter.
Der kolumbianische Beitrag besticht durch Selbstständigkeit kann sich damit aus dem Einheitsbrei schälen. Auch wenn die Handlung im Endeffekt in klassischen Bahnen verläuft, wird das Bekannte geschickt um feine Nuancen erweitert und vermag somit trotz oft verwendeter Zutaten zu überraschen.
Mögliche Zensur der deutschen Fassung?
Abschließend noch eine Anmerkung zur deutschen Fassung des Filmes. Deren Synchronisation ist durchaus als gewöhnungsbedürftig zu bezeichnen. Vor allem Hauptfigur Victor wirkt etwas monoton und lustlos, was zwar gewissermaßen zu seinem Charakter passt – im deutschen wirkt es aber doch eher gelangweilt. Notfalls kann aber auch der originale Ton ein- und deutsche Untertitel hinzugeschalten werden. Spannender ist die deutsche Fassung bezüglich eines möglichen Zensurhintergrundes.
Bei Betrachtung des Making Ofs fiel mir auf, dass dort in einer Szene eine verstümmelte Leiche gezeigt wird – was wiederum nicht auf Zensur hindeuten muss, schließlich zeigt ein Making Of normalerweise Dinge, die es nicht immer den finalen Film schaffen. Im Zuge der Ausarbeitung dieses Reviews stieß ich allerdings auf einen Clip, der mutmaßlich aus dem originalen Film entspringt, da dieser mit spanischem Ton unterlegt war. Und siehe da: dort taucht jene Sequenz aus dem Making Of schlüssig im Film selbst auf. Zu sehen ist eine etwa 40 sekündige und von Schwarzbildern unterbrochene Sequenz, in der jene verstümmelte Leiche entsorgt wird.
Diese Szene macht den Film nicht zwangsläufig brutaler, würde aber tatsächlich noch eine rundere Wirkung haben. Überhaupt scheint Zensur, sollte diese vorliegen, an dieser Stelle willkürlich, da sich Perro Come Perro nicht von drastischen Effekten leiten lässt und selbst in dieser kurzen Bildfolge alles andere als verherrlichend oder glorifizierend wirkt.
Unsere Wertung: